Retro der Woche 32/2019

In der letzten Woche hatte ich kurz das Stichwort „Autoren-Lösen“ angesprochen, und da möchte ich heute anhand eines Beispiels näher drauf eingehen.

Wenn ich eine Aufgabe von Tom Volet aus New York sehe, schaue ich sofort nach Möglichkeiten für Schachschutz: Das ist ein besonders beliebtes Thema von ihm, das er in immer neuen Variationen zu bearbeiten vermag.

Thomas Volet
Phénix 2005
Löse auf! (14+12)

 

Betrachten wir zunächst aber die Schlagbilanz: Die beiden fehlenden weißen Türme wurden auf c6 und h6 von schwarzen Bauern geschlagen.

Bei Weiß sehen wir vier Schlagfälle: cxb, zweimal bxa sowie f5xe6; damit sind auch die fehlenden schwarzen Steine (Dame, zwei Springer sowie [Bf7]) erklärt. Der fehlende schwarze Bauer konnte nicht direkt geschlagen werden, er muss sich also schlagfrei auf f1 umgewandelt haben.

Auffällig ist auch, dass kein König im Schach steht und trotzdem offen gelassen ist, wer mit der Rücknahme beginnen muss.

Allerdings sehen wir bei genauerem Hinschauen, dass Schwarz im Diagramm nur die Rücknahmemöglichkeit g7xTh6 hat, und danach wäre er endgültig retropatt.

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Retro der Woche 31/2019

Bleiben wir noch etwas bei dem Schwalbe-Preisbericht 2016 von Preisrichter Henrik Juel: nach der ersten ehrenden Erwähnung in der letzten Woche möchte ich euch heute die direkt dahinter platzierte Aufgabe vorstellen.

Jorge Joaquin Lois & Roberto Osorio
Die Schwalbe 2016, 2. ehrende Erwähnung
a) letzter Zug? b) Beweispartie in 25 Zügen (14+13)

 

Das ist schon mal eine recht ungewöhnliche, originelle „Doppelforderung“ -– von „Zwillingsbildung“ will ich in diesem Falle nicht unbedingt sprechen. Wenn die Frage nach dem letzten Zug eindeutig beantwortet werden kann, ist dies natürlich auch der letzte Zug der Beweispartie. Anders herum stimmt diese Überlegung nicht unbedingt: Der letzte Zug einer Beweispartie muss nicht ein eindeutig letzter Zug für die Stellung sein: Ohne den Zeitdruck der Beweispartie kann es meist auch andere letzte Züge geben.

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Retro der Woche 22/2019

Aufgaben, in denen der mögliche Inhalt im Diagramm gut verborgen bleibt, finde ich besonders attraktiv. Heute möchte ich euch solch eine Aufgabe vorstellen, die vor einem Jahr als slowakisch-französisches Teamwork im Problemist erschienen ist.

Marek Kolčák & Michel Caillaud
The Problemist. 2018
Beweispartie in 17,5 Zügen (14+15)

 

Das Diagramm verrät wirklich nicht allzu viel vom möglichen Lösungsverlauf: Der einzig fehlende schwarze Stein wurde vom [Bg2] geschlagen. Bei Weiß fehlen [Ta1] und [Bf2]. Und für das Verschwinden des [Ta1] kann man sicher noch einmal drei Züge zu en sichtbaren drei weißen Bauernzügen hinzurechnen – aber das hilft auch noch nicht viel, da wir damit nur genau ein Drittel der weißen Züge erklärt haben.

Bei Schwarz sieht man schon ein wenig mehr: Zunächst einmal 1+0+3+3+2+2=11 schwarze Züge, sodass hier „nur“ sechs Züge frei sind.

Aber schauen wir uns einmal an, wie der fehlende schwarze Stein verschwinden konnte.

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Retro der Woche 20/2019

In den letzten Wochen hatte ich hier bereits den ersten, zweiten und vierten Preis des Retro-Informalturniers 2016 der Schwalbe vorgestellt — da seid ihr sicher nicht allzu überrascht, dass heute der dritte Preis an der Reihe ist?

Roberto Osorio & Jorge J. Lois
Die Schwalbe 2016, 3. Preis
Beweispartie in 26,5 Zügen (12+12)

 

Dies ist mal wieder eine Beweispartie, bei der man mit dem reinen Zählen der weißen Züge nicht allzu weit kommt: Wir sehen bei Weiß einfach nur neun Bauernzüge, sonst nichts. Und auch das Zählen bei Schwarz (0+1+2+4+5+3=15) lässt noch elf schwarze Züge offen. Da ist die Untersuchung der Bauernstruktur zumindest etwas ergiebiger.

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Retro der Woche 13/2019

Im letzten Retro der Woche hatte ich euch den ersten Preis der Beweispartien der Schwalbe 2008 vorgestellt, heute geht es um den dritten Preis der klassischen Retros: Die ersten beiden Preise findet ihr im Retro der Woche 8/2015 bzw. 46/2018. Auch heute orientiere ich mich an den Kommentaren des Preisrichters Nicolas Dupont.

Michel Caillaud (Günter Lauinger gewidmet)
Die Schwalbe 2008, 3. Preis
Matt in 2 Zügen (12+13)

 

Beginnen wir dieses Mal direkt mit der (formalen) Lösung:

1.0-0-0! ([2.Dxd7#] 1.– Td8/Ta7 2.Sg7#/Db8# — 1.Td1? 0-0-0!

Wir haben es hier offensichtlich mit der „RS-Konvention“ (Retro-Strategie) zu tun: Wenn zwei Rochaden sich gegenseitig ausschließen, dann ist es erlaubt, eine auszuführen und damit die andere zu verhindern — oder mit anderen Worten: „Wer zuerst kommt, mahlt zuerst.“

Also geht es im „retroanalytischen Teil“ dieser Aufgabe darum zu zeigen, dass die schwarze Rochade nicht mehr zulässig ist, wenn Weiß noch rochieren darf, ansonsten aber zulässig wäre.

Betrachten wir dazu erst einmal die Schlagbilanzen:

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Retro der Woche 40/2018

Gestern ist auf der Mitgliederversammlung der Schwalbe Geburtstag gefeiert worden: Die PDB ist am 29. September 2000 online gegangen, sie wurde also gestern volljährig! Entwickelt hatten sie Gerd Wilts und Hans-Peter Reich gemeinsam und mit zahlreichen Helfern initial befüllt.

Vom ersten Tag an hat sich Gerd Wilts um die Pflege und Weiterentwicklung der PDB gekümmert, hat vor allen Dingen bis vor wenigen Monaten die PDB Hardware für die Schwalbe kostenfrei betrieben. Das geht nun nicht mehr, aber er kümmert sich weiterhin um Verwaltung, Pflege und Weiterentwicklung.

Zum Dank und in Anerkennung der immensen Verdienste von Gerd Wilts um die Schwalbe und die PDB, die ja seit 2011 unter der Flagge der Schwalbe segelt, hat ihm die Vereinigung gestern die goldene Ehrennadel der Schwalbe verliehen. Dazu auch von meiner Seite, im Namen aller Retrofreunde, ein ganz herzlicher Glückwunsch!

Natürlich stelle ich zur Feier des Tages heute eine Aufgabe von Gerd vor – übrigens eine meiner Lieblingsaufgaben!

Gerd Wilts
Europe Echecs 1991,1. Preis, Andrej Frolkin gewidmet
Welches war der erste Zug des Th8? (14+12)

 

Eine zunächst völlig absurd erscheinende Frage, die der Autor da stellt: Das Nordost-Viertel des Bretts ist bis auf en Springer auf dem Themafeld vollkommen frei!

Direkt im Diagramm sichtbar sind nur zwei weiße Schläge: axb und b2xc3. Irgendwie muss auch sBh2 an der weißen Bauernphalanx vorbeigekommen sein, aber das ist noch nicht klar, wie das passiert sein kann.

Könnte vielleicht [Ba2] dreimal geschlagen haben, was dann alle fehlenden schwarzen Steine erklären würde?

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Retro der Woche 39/2018

Traditionell hatte Michel Caillaud beim WCCC wieder sein „Champagner-Turnier“ ausgerichtet – in diesem Jahr war der Valladão-Task gefordert: In einer Aufgabe kommen alle drei „Sonderzüge“ (Rochade, Umwandlung und en passant Schlag) vor. Das Turnier hatte zwei Gruppen: Beweispartien und andere Retros.

In der letzten Woche hatte ich hier eine Aufgabe der „anderen Retros“ vorgestellt, heute kommt nun wie angekündigt eine Beweispartie.

Vidmantas Satkus
Champagner-Turnier 2018, Abteilung A, 1. Preis
Beweispartie in 23,5 Zügen (13+12)

 

Das Thema ist natürlich auch in Beweispartien nicht völlig neu (auf Vergleichsaufgaben kommen wir gleich noch zurück), und es war sicher schon im Vorfeld klar, dass eine einfache Darstellung des Themas hier keine Blumentöpfe in Form von Champagnerflaschen werde gewinnen können.

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Retro der Woche 16/2018

(Siehe Hinweis vom 20. April 2018)

Heute habe ich mal wieder ein schon etwas älteres Stück hervorgeholt: In den letzten 15 Jahren hat sich die Gattung der eindeutigen Beweispartien unglaublich weiterentwickelt.

Das heißt aber nicht, dass Aufgaben aus jener Zeit nach heutigem Maßstab „schwach“ sein müssen: Auch damals haben die Könner schon tolle Aufgaben gebaut!

Einer diese Könner ist Gerd Wilts, der leider u.a. wegen seines unglaublichen Engagements für die PDB (richtig: Familie und Beruf hat er auch noch …) viel zu selten zum Komponieren kommt. Aber all seine Aufgaben sind sehenswert, kann ich versichern, so natürlich auch die heutige.

Gerd Wilts
feenschach 2003, 2. ehrende Erwähnung
Beweispartie in 22,5 Zügen (14+10)

 

Der letzte Zug der Beweispartie ist schon klar: 23.Txd8# — nur ist noch nicht klar, was auf d8 geschlagen wurde. Wenn wir uns die Stellung ein wenig anschauen, fällt sofort auf, dass nur zwei schwarze Züge im Diagramm zu sehen sind; bei Weiß hingegen lohnt es zu zählen: 3+1+5+2+2+9=22 — ein weißer Zug ist noch übrig. Aber reichen 22 Züge wirklich? Das würde voraussetzen, dass wir Tc1xc8xd8# und Th6-c6 spielen. Dafür müsste [Bc7] durch [Bb2] geschlagen worden sein, [Bc2] irgendwie von Schwarz. Um dann aber die drei Bauernschläge am Königsflügel auf schwarzen Feldern hinzubekommen, muss sehr früh Th6-c6 erfpgen, das aber geht erst, wenn schon der weiße Turm auf c8 und der Bauer auf c7 steht.

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