Retro der Woche 22/2023

Bei den Treffen der Märchenschachfreunde in Andernach gibt es stets ein Kompositionsturnier, in dem meist neue Bedingungen ausprobiert oder bekannte Themen abgewandelt oder verallgemeinert werden.

In diesem Jahr war das vorgegebene Thema eines der zweiten Art: Verallgemeinerung des Maslar-Themas. Dabei zieht ein Stein A kritisch, wird von Stein B der anderen Partei verstellt, wonach die Verstellung ausgenutzt wird – und anschießend der Schlag AxB erfolgt.

In vielen Andernach-Turnieren waren Retros, speziell Beweispartien sehr weit vorn platziert, und auch in diesem Jahr war sich das Richter-Trio bernd ellinghoven, Hans Gruber und Kjell Widlert schnell einig, dass die teilnehmende Beweispartie auf den ersten Platz gehörte. Und die möchte ich heute zeigen.

Michel Caillaud
Andernach 2023, 1. Preis
Beweispartie in 16,5 Zügen (12+13)

 

Die üblichen ersten Untersuchungen einer Beweispartie-Stellung (Welche Bauernschläge sind sichtbar? Sind zumindest von einer Partie die geforderten Züge im Diagramm sichtbar oder komplett ableitbar?) funktionieren hier zunächst beide nicht — also müssen wir nach anderen Stellungsmerkmalen Ausschau halten, die uns bei der Lösungsfindung Indizien liefern.

Und das könnte, wie wir das schon gelegentlich gesehen haben, der fehlende Läufer sein, der zu Hause geschlagen werden musste.

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Retro der Woche 25/2022

Wenn sich zwei große Meister — das könnt ihr hier sogar wörtlich nehmen: zwei Großmeister — zusammentun, um gemeinsam eine Aufgabe zu bauen, kann man schon ein wenig mehr als „nur“ eine gute Aufgabe erwarten. Ich glaube, das heutige Problem wird diesen hohen Erwartungen gerecht.

Michel Caillaud & Reto Aschwanden
Donani-50 Turnier 2003, 2. Preis
Beweispartie in 20,0 Zügen (12+15)

 

Bei Weiß sind wir mit dem Zählen der sichtbaren Züge schnell fertig; wir kommen auf drei, und das hilft uns noch nicht viel weiter. Vielversprechender ist das Zählen bei Schwarz: 2+2+4+1+3+6=18, aber das kann so noch nicht stimmen: Sowohl für die lange Rochade als auch für die Turmzüge in den Südwesten benötigen wir ein freies Feld c8; der dortige Läufer muss das Feld also verlassen haben und wieder zurückgekehrt sein — und damit sind alle schwarzen Züge bereits nachgewiesen.

Aber noch ein paar andere Fakten können wir daraus ableiten:

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Retro der Woche 46/2021

Ich möchte noch beim Preisbericht des diesjährigen Champagne-Turniers, bleiben, nachdem wir an den beiden letzten Sonntagen bereits die ersten Preise der Beweispartien und der übrigen Retros gesehen haben.

Heute präsentiere ich euch „nur“ eine Doppelsetzung des geforderten Themas, aber was für eine — lasst euch überraschen!

Roberto Osorio
Champagne-Turnier 2021, 3. Preis Gruppe A
Beweispartie in 19 Zügen (13+15)

 

Bauernschläge sind im Diagramm nicht zu sehen, darum beginnen wir mit dem Zählen der sichtbaren schwarzen Züge. Da kommen wir auf 2+1+3+5+3+5=19 — damit sind alle schwarzen Züge bereits erklärt. Dabei wissen wir noch nicht, ob Kf8/Te8 durch O-O, Te8, Kf8 oder durch Ke7, Te8, Kf8 entstanden sind — für die Zügezahl ist das auch irrelevant.

Das Schachgebot im Diagramm macht zusammen mit sBg5 den Weg des sLe3 eindeutig: Lf8-d6-f3xe3+. Ansonsten wäre ja auch ein Weg Lf8-h6-e3 und g6/hxg6-g5 möglich, für beides benötigen wir vier Züge.

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Retro der Woche 36/2021

In den letzten Jahren kann man nicht nur in der Schwalbe, sondern auch in vielen anderen Problemzeitungen den Trend feststellen, dass der absolute und prozentuale Anteil an (klassischen) Beweispartien abnimmt. Inwieweit das nur eine „Konjunkturdelle“ ist, werden wir wohl in fünf oder zehn Jahren sehen; das momentan laufende 11. WCCT könnte möglicherweise darauf hindeuten, ist die Beteiligung an der Retroabteilung dort doch sehr gut.

Auch in den schon erwähnten feenschach-Preisberichten manifestiert sich der Eindruck eines Rückgangs. Aus „meinem“ Preisbericht für den Jahrgang 2018 möchte ich die bestplatzierte Beweispartie (im Gesamtrang auf Platz vier gelandet) vorstellen:

Bernd Gräfrath
feenschach 2018, 1. ehrende Erwähnung
Beweispartie in 10 Zügen, zwei Lösungen (11+10)

 

Sicherlich ein extrem lösefreundliches Stück: Doppelte Homebase, zwei Lösungen, relativ kurz: Wenn das nicht zum Lösen vom Blatt reizt, dann weiß ich es kaum!

So elegant solche Homebase-Positionen sind, so wenig Ansätze bieten sie zum Lösen: Weder verrät die Bauernposition etwas über (die reichlich vorkommenden) Schläge, noch kommen wir mit dem Zählen sichtbarer Züge weiter: Unseren einzigen Hilfen sind die fehlenden Steine.

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Retro der Woche 34/2021

Nachdem ich in der letzten Woche hier den 1. Preis der Beweispartien im Schwalbe-Retroturnier 2011 vorgestellt hatte, bleiben wir beim Thema, wechseln allerdings ins Jahr 2018. Eigentlich sollte dieses Turnier von einem Zweier-Team gerichtet werden, leider blieb nur Hans Gruber übrig, was allerdings der Qualität des Berichts sicher keinen Abbruch getan hat.

Reto Aschwanden
Die Schwalbe 2018, 1. Preis Abteilung A
Beweispartie in 22 Zügen (12+14)

 

Nach längerer Schaffenspause hat sich erfreulicherweise der Schweizer Großmeister Reto Aschwanden zurückgemeldet und sofort wieder großartige Aufgaben veröffentlicht.

Die weiße Stellung weist überhaupt keine sichtbaren Züge auf, hier haben wir also eine sogenannte Home Base, was immer wieder sehr ästhetisch wirkt, aber bei Schwarz lohnt es, de Züge zu zählen: 4+2+3+5+3+5=22 — alle schwarzen Züge sind erklärt. Dies heißt speziell, dass die fehlenden [Ba7] und [Bg7] zuhause geschlagen worden sein müssen: Ihnen fehlen ja Zugmöglichkeiten, da alle bereits erschöpft sind.

In seinem Preisbericht spricht Hans von „Fragen und Verzweiflung“, „denn Weiß kann fast beliebig spielen und muss nur Sorge tragen, dass seine Figuren in der zur Verfügung stehenden Zeit verschwinden“

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Retro der Woche 18/2021

Heute möchte ich die kleine Serie recht kurzer Beweispartien von Reto Aschwanden (siehe RdW 14/2021 und RdW 16/2021) fortsetzen mit einem Stück, das 2005 von Hans Gruber als Richter den ersten Preis im Jahresturnier von StrateGems erhielt — er konnte also seinen „Titel aus dem Vorjahr“ verteidigen.

Reto Aschwanden
StrateGems 2005, 1. Preis
Beweispartie in 18 Zügen (14+14)

 

Weiß muss offensichtlich in seinen 18 Zügen nichts tun außer [Bb2] und [Bh2] loszuwerden – ansonsten ist zumindest sichtbar nichts passiert. Bevor wir allerdings die schwarzen Züge zählen, überlegen wir uns, wie die Türme am zugsparsamsten ihre Diagrammfelder erreicht haben können?

Unabhängig von deren Wegen sehen wir, dass [Sg8] gezogen haben muss, um [Th8] heraus zu lassen: Der Springer hat also mindestens zwei Züge gemacht. Die Türme sind am sparsamsten mittels langer Rochade und dann beide via g8 und g5, wobei der „erste“ weiter nach e5 zieht, zu platzieren.

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Retro der Woche 14/2021

Beim Andernach-Treffen 2008 hatten Hans Gruber, Ulrich Ring und ich vereinbart, uns als „Richter-Kollektiv“ anzubieten, um noch ausstehende Preisberichte zu erstellen — nicht nur für Die Schwalbe, sondern auch für andere Zeitungen.

Für das Jahr 2005 war in der Schwalbe kein Retro-Preisrichter benannt worden, sodass wir Anfang 2010 diese Aufgabe übernahmen; in Andernach haben wir nach vorheriger Diskussion per Mail die Schluss-Abstimmung vorgenommen.

Heute möchte ich aus diesem qualitativ hervorragenden Turnier den ersten Preis vorstellen; die Aufgabe gehörte zu den sechs, die Reto Aschwanden zum WCCI 2004—2006 einreichte, bei dem er den Weltmeistertitel im Komponieren von Retros gewann.

Reto Aschwanden
Die Schwalbe 2005, 1. Preis
Beweispartie in 20 Zügen (14+11)

 

Bei Schwarz sind nur zwei Züge des Königs sichtbar, ansonsten scheint es so, als müsse sich Schwarz „nur“ um das Schlagenlassen seiner fünf fehlenden Steine (beide Läufer, drei Bauern) kümmern.

Bei Weiß hingegen sind im Diagramm alle 20 erforderlichen Züge sichtbar, bis auf wenige Ausnahmen (Bg6, Sh2) sind auch die „Zugwege“ aller weißen Steine erkennbar.

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Retro der Woche 10/2021

Heute gehen herzliche Glückwünsche an den WDR zum Geburtstag „der Maus“: Die Sendung mit der Maus feiert heute ein halbes Jahrhundert… Für viele von uns sicher ein Begleiter durch die Kindheit — und auch durch die Erwachsenenzeit, speziell dann mit eigenen Kindern.

Als ich damals die Leserkommentare zur heutigen Beweispartie las, musste ich an ein anderes Kleintier denken. Warum, werde ich zum Schluss aufklären…

Michel Caillaud
Die Schwalbe 2013, 1. Preis
Beweispartie in 21 Zügen (11+14)

 

Das Diagramm verrät im ersten Moment nicht allzu viel über die Lösung: nur ein einziger Doppelbauer bei insgesamt sieben fehlenden Steinen, und bei Weiß sind nur wenige Züge sichtbar.

Allerdings hilft uns das Zählen der schwarzen Züge schon deutlich weiter: 3+2+3+3+4+6=21 – alle schwarzen Züge sind erklärt.

Das sind schon viele Informationen – vor allen Dingen sagen sie nicht nur etwas über das schwarze Spiel aus!

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