Retro der Woche 29/2024

Sonntag, 14. Juli – französischer Nationalfeiertag UND Nicolas Dupont hat heute Geburtstag: Genz herzlichen Glückwunsch – und natürlich ein hervorragender Anlass, von Nicolas eine Aufgabe vorzuführen.

Wir alle kennen und schätzen ihn als einen der wichtigsten und besten „Proofgame of the Future“ Komponisten; vielleicht weniger bekannt ist, dass er gelegentlich gern und höchst erfolgreich auch Märchen-Beweispartien komponiert.

Eine davon habe ich für heute ausgesucht, sie nutzt die Bedingung „Immunschach“, die recht leicht zu erklären ist:

Ein Stein (auch Könige) kann nur geschlagen oder bedroht werden, wenn dessen Circe-Wiedergeburtsfeld frei ist, sobald der Schlagtäter sein Zielfeld erreicht hat. Ansonsten ist der Stein “immun”.
So steht es im Märchenschach-Lexikon der Schwalbe.

(Hinweis Wenn ihr Immunschach-Probleme mit Popeye oder Jacobi testen wolltt, nutzt die Bedingung RexInclusive, weil dort im Gegensatz zur Definition prinzipiell “Rex exclusive” gilt.)

Nun wollen wir uns anschauen, was Nicolas mit dieser Bedingung zaubert.

Nicolas Dupont
Weihnachtsturnier 2009, Retros 2. Preis
Beweispartie in 21 Zügen, Immunschach (15+12)

 

Beim Immunschach bleibt die Analyse der Schlagbilanzen „orthodox“; wir sehen also, dass [Ba7], [Bg7] und [Bh7] nicht von weißen Bauern geschlagen worden sein können. Zusätzlich ist noch [Be7] verschwunden, und damit sind alle fehlenden schwarzen Steine identifiziert. Bei Weiß hingegen fehlt ein Bauer, nämlich der [Bf2] oder [Bg2].

Nun zählen wir noch rasch die sichtbaren weißen Züge (bei Schwarz ist nicht viel zu zählen, was aber auch nicht so verwundert, da ja auf schwarzer Seite Umwandlungen geschehen sein müssen).
Da kommen wir auf 1+1+3+4+3+8=20 Züge – nur einer ist also noch frei.

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Retro der Woche 28/2024

Vor zwei Wochen hatte ich euch hier den zweiten Preis aus dem allerersten Israel-Ring-Turnier für Beweispartien der Jahrgänge 2022 und 2023 vorgestellt, der im Heft 92 (April 2024) von Variantim veröffentlicht wurde. Nun möchte ich fortfahren mit dem dritten Preisträger; dieses Stück ist gleichzeitig das bestplatzierte orthodoxe.

Silvio Baier
Variantim 2022-2023, 3. Preis im IRT
Beweispartie in 29 Zügen (14+14)

 

Bei Silvio können wir ja von moderner und gleichzeitig origineller „Proofgame of the Future“ ausgehen: Also zwei Themen, die „irgendwie“ miteinander verknüpft und jeweils doppelt gesetzt sind. Der Begriff – siehe dazu das immer noch äußerst lesenswerte Sonderheft der SchwalbeFuture Proof Games – A challenging new concept“ von Silvio Baier, Nicolas Dupont und Roberto Osorio – ist abgeleitet von Chris. Feather’s „Helpmate of the Future“, der entsprechend für Hilfsmatts definiert ist.

Übrigens weckten die drei Autoren mit dem Untertitel Part one: Classical FPGs die Hoffnung auf einen märchenhaften zweiten Teil, die aber bisher (noch?) nicht erfüllt ist.

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Retro der Woche 19/2024

Vor ein paar Tagen hatte ich die April-Juni 2024 Ausgabe von Probleemblad, der Zeitschrift des Nederlandse Bond van Schaakproblemvrienden, im Briefkasten, und das Heft enthält den Retro-Preisbericht für die Jahre 2021 und 2022. Bis auf eine Ausnahme, auf die ich an dieser Stelle in der kommenden Woche eingehen werde, hätte man auch „Beweispartie-Preisbericht“ drüber schreiben können …

Wie bei den beiden nicht anders zu erwarten haben die Richter Hans Gruber und Dirk Borst einen ausgewogenen, sehr plausibel und gut begründeten Bericht vorgelegt.

Beginnen wir heute mit dem Turniersieger:

Silvio Baier
Probleemblad 2021-2022, 1. Preis
Beweispartie in 32,0 Zügen (14+11)

 

Beim Blick auf das Diagramm fallen gleich die beiden Umwandlungsläufer auf, die uns sicherlich beim Zählen der weißen Züge helfen werden: 2+2+4+4+10+5+5=32 – das geht auf! Hierbei habe ich gleich die zehn Bauenzüge zu den Umwandlungen mitgerechnet und für Läufer möglichst wenige Züge angesetzt – das ist auch richtig und wichtig, wie das Aufsummieren zeigt.

Und damit können wir auch gleich die Umwandlungsfelder der Läufer identifizieren: b8 für Lf4 und g8 für Lc4. Damit aber können wir noch weiter gehende Überlegungen anstellen – nämlich zu den möglichen Schlägen auf dem Weg zu den Umwandlungsfeldern: Das wird dadurch besonders wertvoll für die Lösungsfindung, da bei Schwarz nur Bauern fehlen.

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Retro der Woche 06/2024

Bleiben wir noch beim Retro-Preisbericht 2003 der Schwalbe –- gehen wir wieder zurück zu den Beweispartien. Vor zwei Wochen konnten wir den ersten Preisträger bewundern; die zweitplatzierte Beweispartie hatte ich hier schon als RdW 45/2018 vorgestellt, kommen wir also zum drittplatzierten Stück.

Reto Aschwanden
Die Schwalbe 2003, 3. Preis
Beweispartie in 19 Zügen (13+14)

 

Kann uns hier das Züge-Zählen weiterbringen? Bei Weiß im ersten Schritt offenbar nicht, da sind wir auch sehr schnell fertig. Bei Schwarz vielleicht – also zählen wir: 1+2+5+3+4+4=19, und damit sind alle schwarzen Züge erklärt.

Das hilft uns fürs Lösen schon eine Menge weiter:

Zunächst einmal wissen wir, dass Schwarz lang rochiert hat: Anders kann der schwarze König nicht in einem Zug nach c8 gekommen sein.

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Retro der Woche 04/2024

Am letzten Sonntag habe ich hier den dritten Preis der „klassischen Retros“ im Schwalbe Informalturnier 2003 gezeigt. Gern möchte ich bei diesem Bericht noch bleiben: Heute steht der erste Preisträger der Beweispartien auf dem Programm. Um die Spannung ein wenig zu steigern: Diese Aufgabe ist mit 11 Punkten ins FIDE-Album gelangt – hier könnt ihr also eine Menge erwarten!

Gerd Wilts
Die Schwalbe 2003, Michel Caillaud gewidmet, 1. Preis
Beweispartie in 23,5 Zügen (13+16)

 

Schwarz hat noch alle Mann an Bord, während bei Weiß drei Steine fehlen: [Ba2], [Bg2] und[Lc1]. Das lässt viel Spielraum übrig. Erschreckend auch die Feststellung, dass nur drei weiße Züge sichtbar sind. Bei Schwarz schaut es schon optisch deutlich besser aus, bevor wir aber sinnvoll Züge zählen können, müssen wir ein paar Überlegungen anstellen.

So muss [Sg8] den [Th8] herausgelassen haben, sodass wir zumindest fünf Springerzüge erwarten müssen. Natürlich scheint Ba7-a5 am Zug-sparsamsten zu sein, das ist hier aber nicht der Fall:

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Retro der Woche 52/2023

In drei Teilen hatte Silvio Baier sich in den Heften 318-2 bis 320 der Schwalbe (Dezember 2022 bis April 2023) mit der Themenkombination “Je zwei Ceriani-Frolkins und Pronkins” in orthodoxen Beweispartien beschäftigt und uns 73 Beispiele vorgestellt. Nr. 1 aus dieser Reihe hatte ich im Retro der Woche 48/2022 bereits vorgestellt.

Nun möchte ich euch den Tipp geben, die Serie über die Feiertage noch einmal hervorzuholen, noch einmal zu lesen, zu genießen — durchzuarbeiten.

Bei gemischtfarbiger Darstellung des Themas bietet sich “2+2” bei der Farbverteilung an (eine “3+1” ist mir heute bei der Vorbereitung nicht eingefallen), und da kann ich erst einmal mit 2+2 Figurenarten spielen (4 ergäben natürlich eine Allumwandlung), und auch da gibt es prinzipiell verschiedene Möglichkeiten. Eine diese Möglichkeiten ist in Silvios Beitrag nur mit einem einzigen Beispiel vertreten, und dieses möchte ich euch heute vorstellen.

Silvio Baier
69 Die Schwalbe IV/2023
Beweispartie in 27 Zügen (13+14)

 

Zählen wir wie üblich die im Diagramm sichtbaren Züge, kommen wir “nur” auf jeweils acht — das ist erschreckend wenig: Bei insgesamt 27 Zügen sind für beide Parteien also noch 19!! Züge frei. Auch wenn wir das Thema nicht kennen würden, kämen wir wahrscheinlich sofort auf den Gedanken, dass wir hier jeweils zwei Umwandlungen im Lösungsverlauf antreffen werden.

Diese Überlegung wird noch durch die Bauernstruktur unterstützt: Alle fehlenden Steine wurden von Bauern geschlagen — Schlagopfer können aber keine Bauern selbst gewesen sein, da die fehlenden weißen nicht auf der f- oder h-Linie geschlagen worden sein können, und die fehlenden schwarzen können ebenso wenig auf der b- oder c-Linie geschlagen worden sein.

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Retro der Woche 50/2023

Vorgestern habe ich es bei den Glückwünschen zum runden Geburtstag von Roberto Osorio ja bereits angekündigt: Heute möchte ich eine weitere Beweispartie von ihm vorstellen.

Roberto Osorio
Orbit 2011, 2. Preis
Beweispartie in 18 Zügen (12+15)

 

Das schaut doch gar nicht so kompliziert aus: Weiß muss nur versuchen, seine vier fehlenden Bauern loszuwerden. Aber wir werden sehen: Soo einfach ist das gar nicht, dafür ziemlich überraschend und wie ich finde sehr gefällig!

Beginnen wir wie üblich mit den fehlenden Steinen und deren Anfangsposition. Dass die vier fehlenden weißen Bauern ursprünglich von a, b, g und h stammen, ist nicht sehr schwer zu erkennen. Auch bei Schwarz sind noch alle Offiziere an Bord; hier fehlt nur ein Bauer, der von a oder von b stammt.

Nun versuchen wir, die offensichtlichen Züge zu zählen: Bei Weiß sind wir damit sehr schnell fertig, und auch bei Schwarz ist das nicht allzu schwer:

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Retro der Woche 28/2023

Nachdem ich in der letzten Woche das zweitplatzierte Retro aus dem letztjährigen FIDE World Cup vorgestellt hatte, möchte ich dies nun mit dem aus dem Jahre 2021, vom neunten Turnier tun. Dort waren im Gegensatz zum letzten und zu diesem Jahr, wo nur orthodoxe Beweispartien teilnehmen durften, ausschließlich orthodoxe „klassische“ Retros zugelassen.

die Goldmedaille errang Dmitrij Baibikov aus Israel mit einem bemerkenswerten ergänze-und-löse-auf-Stück{ Silber ging in die Ukraine an Andrej Frolkin.

Andrej Frolkin
9. FIDE World Cup, 2. Preis/Silbermedaille
Letzte 16 Einzelzüge (14+13)

 

Die beiden fehlenden weißen Steine sind durch e7xf6 und hxg erklärt, Bei Weiß muss [Ba2] an seinem schwarzen Kollegen vorbeigeschlagen haben, ebenso muss [Bd2] auf die c-Linie geschlagen haben. Und damit stehen auch die Umwandlungsfelder der beiden weißen Umwandlungsfiguren prinizipiell fest: b8=D und wegen der Felderfarbe dxc8=L (deswegen auch nicht dxe8) — andererseits kann man hxg8=X nicht sofort ausschließen, denn ein Schlagfall ist noch frei. Wäre dann X ein Läufer, wäre auch dxe möglich.

Letzter Zug ist offensichtlich 1.– Lc2-h7+; mit dessen Rücknahme ist der Südkäfig zunächst einmal verschlossen. Der lässt sich offenbar auch nicht mittels exf3 öffnen: Das würde einen Schlag zu viel erfordern.

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