Retro der Woche 27/2025

2. Nachtrag vom 29.6.2025: Doch nicht gekocht, siehe unten!

Den zweiten Platz in der Retro-Abteilung des 9. WCCI belegte Dmitrij Baibikov. Er war in den vierten bis sechsten WCCI Retro-Weltmeister, und nun scheint er auf den zweiten Platz abonniert zu sein.

Ein wenig Pech hatte er dieses Mal, denn sein unglaubliches Illegal Cluster, dem zu den angegebenen sieben Steinen alle anderen 25 hinzugefügt werden sollten — siehe Retro der Woche 5/2023 erwies sich leider als nebenlösig; die Aufgabe hätte sicherlich gut für weitere Punkte bei Dmitrij gesorgt.

Heute möchte ich euch eine ganz besondere Märchenaufgabe zeigen, die “optisch” schon als Zweisteiner-Retro besonders ins Auge fällt.

Dmitrj Baubikov
YDie Schwalbe 2023
a) Letzte 10 Einzelzüge? b) Was waren die Schläge? Strikt wachsende Steine (1+1)

Die Bedingung muss sicherlich erklärt werden, ich greife dazu aufs bewährte Schwalbe-Lexikon zurück: “Jeder Stein kann nur Züge ausführen, die weiter sind als sein vorangegangener Zug. Diese Beschränkung gilt auch in Bezug auf die Wirkung auf den gegnerischen König.”

Dies ist natürlich eine extrem einschränkende Bedingung; halbwegs beweglich bleiben nur die Langschrittler. Ein weißer Bauer kommt nicht über die 4. Reihe hinaus: Doppelschritt oder Einfachschritt gefolgt von einem Schlag, ebenso kann ein König maximal zwei Züge machen: Erst orthogonal, dann diagonal (oder rochieren, dann kann er sich auch nicht mehr bewegen). Und ein Springer kann nur ein einziges Mal ziehen.

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Retro der Woche 24/2025

Nachtrag 09.06.2025:
Dmitrij Baibikov weist dankenswerter Weise auf Frolkins Korrektur hin, die ich nun nachgezogen habe.

Vor ziemlich genau zehn Jahren präsentierten Chris Tylor und Andrij Frolkin in feenschach 212, März-April 2015 eine kurz zuvor in The Problemist vorgestellte Idee, nach einem Matt weiterspielen zu können – besser gesagt sogar zwei Ideen.

Nach der ersten wird der Matt gebende Stein einfach entfernt (beim Doppelschach beide); diese Bedingung wird mit “#R” (remove oder
raus) angegeben; ein Beispiel hierzu habe ich im Retro der Woche 6/2020 vorgestellt; schaut dort noch einmal vorbei.

Die Alternative ist, den/die Matt gebenden Stein(e) umzufärben: “#C” (color); damit wollen wir uns heute beschäftigen.

Andrij Frolkin
feenschach 2015 (Korr), 1. ehrende Erwähnung
Letzte 10 Einzelzüge? #C (11+12)

Andrij wäre nicht Andrij, wenn er mit solchen Bedingungen nicht nur Beweispartien, sondern auch “klassische” Auflöse-Retros bauen würde.

Der Käfig im Nordwesten wäre im orthodoxen Schach illegal, da er nicht geöffnet und damit aufgelöst werden könnte.

Aber bevor wir uns darüber Gedanken machen, müssen wir zunächst dem Weißen Züge geben, denn im Moment kann er nur mit seinem h-Bauern spielen.

Und dabei kann er nicht entschlagen, da alle fehlenden Steine von Bauern geschlagen wurden. Das aber ist irgendwann zu Ende – und dann kommt unsere Bedingung ins Spiel, indem dann ein weißer Stein generiert wird.

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Retro der Woche 21/2025

Vor ein paar Tagen habe ich mal wieder in den Retro-Preisbericht der Schwalbe für das Jahr 2002 geschaut, den ich vor genau 20 Jahren veröffentlicht hatte. Zwei der drei Preise (2. Preis von Rustam Ubaidullajew und 3. Preis von Alexander Zolotarew) hatte ich hier bereits in den Retros der Woche 38/2013 und 45/2013 vorgestellt; der klar erste Preis von René J. Millour erscheint mir immer noch ein wenig zu komplex für diese Rubrik.

Aber auch die drei ehrenden Erwähnungen erscheinen mir 20 Jahre später noch einen genaueren Blick wert; die werde ich also heute und an den nächsten zwei Sonntagen hier vorstellen. Schön auch, dass sie unterschiedliche Retro-Bereiche umfassen.

Andrij Frolkin & Andrej Kornilow
Die Schwalbe 2002, 3. ehrende Erwähnung (Verbesserung)
Löse die Stellung auf! (13+13)

 

Der Ukrainer Frolkin und der Russe Kornilow haben sehr viel zusammen gearbeitet, hervorragende Gemeinschaftsaufgaben, überwiegend klassische Retros, veröffentlicht. Das hier vorliegende Stück ist die Verbesserung der ursprünglich ausgezeichneten Fassung, die anschließend Thierry Le Gleuher gekocht hatte.

Der erste Blick auf die Stellung verrät schon, dass Weiß mit der Rücknahme beginnen muss, da Schwarz im Schach steht, und das kann nur durch den Abzug des wSpringers nach h8 entstanden sein.

Ebenso sieht man sehr schnell, dass die drei fehlenden weißen Steine (die Läufer und ein Springer) von schwarzen Bauern geschlagen wurden (bxc, hxg und gxf).

Und genaues Hinschauen zeigt, dass nach der Rücknahme des Schachgebots beide Seiten über nur wenige Rücknahmemöglichkeiten verfügen, dass “Retropatt” als Damoklesschwert über beider Häupter schwebt.

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Retro der Woche 13/2025

Nachdem wir uns in den letzten Wochen hier intensiv mit ziemlich neuen Aufgaben beschäftigt hatten, wollen wir heute auch zeitlich einen echten “Blick zurück” werfen: Das Jahr 1972 — ich kann mich noch gut an die olympischen Spiele in München erinnern, an die wirklich fröhlichen Spiele bis zu dem grausamen Attentat auf das israelische Olympiateam, bis zu dessen schreckliches Ende in Fürstenfeldbruck.

In diesem Jahr, in diesem September erschien das heutige Stück, dessen eigentliche Geschichte aber noch weiter zurückgeht.

Josef Haas und Karl Fabel
The Problemist 1972
#1 vor 35 Zügen, Hilfsretraktor (11+12)

 

Hier spielen also Weiß und Schwarz abwechselnd Züge zurück, sodass nach der 35. Rücknahme von Weiß dieser einzügig Matt setzen kann. Und Schwarz hilft mit seinen Rücknahmezügen dabei, solch eine Stellung herbeizuführen.

Wir sehen gleich, dass Schwarz mit der Rücknahme beginnen muss, da der weiße König im Diagramm im Schach, sogar matt ist. Also nimmt Schwarz Tc7-c8# zurück — kann er dabei auf c8 geschlagen haben?

Zunächst einmal sehen wir, dass sowohl Weiß als auch Schwarz viermal mit ihren Bauern geschlagen haben: Schwarz bxc, dxc und fxexd, Weiß b2xc3xd4xe5 und h5xg6.

Dabei kann der [Ba2] nicht durch einen Bauernschlag verschwinden, er kann auch selbst nicht geschlagen oder schlagfrei umgewandelt haben — er wurde also von einem schwarzen Offizier geschlagen, und damit sind alle fehlenden Steine geklärt.

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Retro der Woche 11/2025

Zum WCCI 2022-2024 werden natürlich auch eine Menge Märchenretros eingeschickt, auch einige, die je nach Ansicht des Richters unter Märchen fallen oder nicht. Manche rechnen Einfärbe-Retros zu den Märchen, für mich ist das eine klassische Forderung — nicht im Sinne von “mindestens 100 Jahre alt”, sondern eine Fragestellung, die sich gemäß der orthodoxen Schachregeln retroanalytisch beantworten lässt — auch wenn das Diagramm natürlich nicht besonders orthodox ausschaut.

Dimitrij Baibikov
Phénix 2024
Färbe die Steine! Letzte 27 Einzelzüge (30)

 

Speziell bei der Ableitung der Argumente für die Einfärbung orientiere ich mich stark an der vom Autor angegebenen Lösung.

Alle 16 Bauern stehen im Diagramm, es gab also keine Umwandlungen. Auf der b- und der f-Linie stehen je drei Bauern; daher wurden die beiden fehlenden Steine von Bauern auf diesen Linien geschlagen. Auf den c-, d-, e-, h-Linien gab es keine Schläge (es fehlen nur zwei Steine), also sind die Bauern c3, d2, e2, h2 weiß und c4, d6, e7, h5 schwarz.

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Retro der Woche 09/2025

Bei den Einsendungen zum WCCI, der „Kompositions-Einzelweltmeisterschaft“ der Jahre 2022 bis 2024 überwiegen bei den Retros nicht wirklich überraschend die Beweispartien. Natürlich gibt es auch eine Menge Märchenretros zu beurteilen — nicht nur Anticirce-Procas! Und sehr erfreulich finde ich, dass auch gar nicht so wenige sehr schöne „klassische“ Auflöse-Retros dabei sind.

Eines davon, das der eine oder andere von euch sicherlich schon in der Schwalbe gesehen hat, möchte ich heute vorstellen und euch dabei zum Selbst-Lösen einladen, denn ich glaube, das ist genau dazu sehr gut geeignet.

Andrij Frolkin
Die Schwalbe 2022, Lob
Löse die Stellung auf (12+15)

 

Schauen wir zunächst nach der Schlagbilanz: Bei Schwarz fehlt genau der [Bh7]; Weiß hat axb geschlagen, also sicher nicht diesen fehlenden Bauer. Das muss sich also (auf g1 ) umgewandelt haben. Dann kommt sBc5 offensichtlich von e7, sodass nur noch ein Schlag durch Schwarz offen ist. Es fehlt bei Weiß noch [Bf2] – und der wurde auf der f-Linie geschlagen.

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Retro der Woche 06/2025

Vor einiger Zeit schon hatte ich mich bereit erklärt, als einer der fünf Richter der Retroabteilung des 12. WCCI (World Championship in Composing for Individuals) für die Jahre 2022 bis 2024 zu fungieren. Vor einigen Tagen erhielt ich die 126 (!) Aufgaben von 28 Teilnehmern, die ich nun in den kommenden Wochen „à la FIDE-Album“ bewerten muss.

Das Gute daran ist natürlich, dass ich dabei auch einige Aufgaben entdecke, die ich euch hier vorführen kann – und damit will ich gleich heute beginnen.

Vidmantas Satkus
Champagne-Turnier Batumi 2023, 2. Preis
Hilfsmatt in 2 Zügen, (11+15)

 

Wenn solch eine Aufgabe in einem Retro-Turnier auftaucht, ist es vielleicht ganz sinnvoll, anstatt sogleich mit Löseversuchen zu beginnen, die Stellung genauer zu betrachten. Beginnen wir also mit den Schlagfällen.

Schwarz fehlt nur ein Bauer, Weiß hat den fehlenden schwarzen Stein mittels axb geschlagen – das Schlagopfer kann kein Bauer gewesen sein. Also muss sich der fehlende Bauer umgewandelt haben.

Bei Weiß fehlt von jeder Steinart jeweils ein Vertreter, wir sehen aber nur zwei schwarze Doppelbauern im Diagramm. Nehmen wir einfach an, deren Schläge seien cxd und exf gewesen. Macht euch bitte am Ende unserer Überlegungen klar, dass die genauso bleiben, wenn gxf geschehen sein sollte. Also sind noch drei Schläge frei?

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Retro der Woche 03/2025

Die Aufgabe, die ich heute vorstelle, hatte ich für den 2. Februar eingeplant – zum 80. Geburtstag des Verfassers. Nun ist Henrik Juel am 3. Januar verstorben – und so wird aus der Feieraufgabe ein Erinnerungsstück.

Henrik Juel
Thema Danicum 1997, 2. Preis
Ergänze einen Stein! Letzter Zug? (8+9)

 

Kaum zu glauben, dass die beiden Fragen eindeutig bei diesem Kindergarten-Problem (neben den Königen sind nur Bauern auf dem Brett – ein Begriff, den Peter Kniest eingeführt hatte) beantwortet werden können.

Machen wir uns zunächst einmal Gedanken über die erforderlichen Schläge: Wir sehen sieben schwarze Schläge mit seinen Bauern: d7xe6, g7xf6, h7xg6xf5xe4xd3xc2. Zusätzlich Wurde Lc1 zu Hause geschlagen, somit sind alle fehlenden weißen Steine erklärt. Damit ist übrigens auch schon klar, dass wir nur einen schwarzen Stein einsetzen können!

Bei Weiß sehen wir direkt drei Bauernschläge, die wir auch ziemlich genau verorten können: hxg3, exd3 sowie cxd. Wie konnte denn der fehlende [Ba2] verschwinden? Er musste sich auf d8 umwandeln, um sich anschließend schlagen zu lassen. Damit haben wir das Ceriani-Frolkin-Thema schon jetzt erkannt.

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