Retro der Woche 30/2024

Am kommenden Samstag beginnt im lettischen Jūrmala der 66. Weltkongress der Schachkomposition (WCCC) zusammen mit der 47. Löseweltmeisterschaft (WCSC) – allen Teilnehmern wünsche ich zunächst eine gute Anreise, dann eine schöne und erfolgreiche Zeit an der Ostsee!

Verschiedene Retro-Kompositionsturniere sind ja traditionell bereits angekündigt: Murfatlar, Champagne-Turnier, und da möchte ich uns alle mit einem erneuten Blick in den Preisbericht des letztjährigen Champagne-Turniers, bei dem es um die Rochade ging, „auf Jūrmala“ einstimmen.

Andrej Frolkin
Champagne-Turnier 2023, Abt. B., 4. ehrende Erwähnung
Minimale Zügezahl für wTh1? (14+12)

 

Schauen wir uns zunächst einmal die Diagrammstellung etwas genauer an: Zunächst einmal fällt auf, dass der schwarze König im Schach steht (damit ist klar, wer die Rücknahme beginnen muss) und dass beide Seiten über einen schwarzfeldrigen Umwandlungsläufer verfügen.

Auf beiden Seiten sehen wir einen Bauernschlag: h5xXg6 und d7xYe6. Für Schwarz bleibt noch ein Bauernschlag übrig – und der muss h2xZg1=L (oder h3xg2) gewesen sein, da nur [Bh7] umwandeln konnte und dabei die Felderfarbe wechseln musste.

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Retro der Woche 29/2024

Sonntag, 14. Juli – französischer Nationalfeiertag UND Nicolas Dupont hat heute Geburtstag: Genz herzlichen Glückwunsch – und natürlich ein hervorragender Anlass, von Nicolas eine Aufgabe vorzuführen.

Wir alle kennen und schätzen ihn als einen der wichtigsten und besten „Proofgame of the Future“ Komponisten; vielleicht weniger bekannt ist, dass er gelegentlich gern und höchst erfolgreich auch Märchen-Beweispartien komponiert.

Eine davon habe ich für heute ausgesucht, sie nutzt die Bedingung „Immunschach“, die recht leicht zu erklären ist:

Ein Stein (auch Könige) kann nur geschlagen oder bedroht werden, wenn dessen Circe-Wiedergeburtsfeld frei ist, sobald der Schlagtäter sein Zielfeld erreicht hat. Ansonsten ist der Stein “immun”.
So steht es im Märchenschach-Lexikon der Schwalbe.

(Hinweis Wenn ihr Immunschach-Probleme mit Popeye oder Jacobi testen wolltt, nutzt die Bedingung RexInclusive, weil dort im Gegensatz zur Definition prinzipiell “Rex exclusive” gilt.)

Nun wollen wir uns anschauen, was Nicolas mit dieser Bedingung zaubert.

Nicolas Dupont
Weihnachtsturnier 2009, Retros 2. Preis
Beweispartie in 21 Zügen, Immunschach (15+12)

 

Beim Immunschach bleibt die Analyse der Schlagbilanzen „orthodox“; wir sehen also, dass [Ba7], [Bg7] und [Bh7] nicht von weißen Bauern geschlagen worden sein können. Zusätzlich ist noch [Be7] verschwunden, und damit sind alle fehlenden schwarzen Steine identifiziert. Bei Weiß hingegen fehlt ein Bauer, nämlich der [Bf2] oder [Bg2].

Nun zählen wir noch rasch die sichtbaren weißen Züge (bei Schwarz ist nicht viel zu zählen, was aber auch nicht so verwundert, da ja auf schwarzer Seite Umwandlungen geschehen sein müssen).
Da kommen wir auf 1+1+3+4+3+8=20 Züge – nur einer ist also noch frei.

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Retro der Woche 28/2024

Vor zwei Wochen hatte ich euch hier den zweiten Preis aus dem allerersten Israel-Ring-Turnier für Beweispartien der Jahrgänge 2022 und 2023 vorgestellt, der im Heft 92 (April 2024) von Variantim veröffentlicht wurde. Nun möchte ich fortfahren mit dem dritten Preisträger; dieses Stück ist gleichzeitig das bestplatzierte orthodoxe.

Silvio Baier
Variantim 2022-2023, 3. Preis im IRT
Beweispartie in 29 Zügen (14+14)

 

Bei Silvio können wir ja von moderner und gleichzeitig origineller „Proofgame of the Future“ ausgehen: Also zwei Themen, die „irgendwie“ miteinander verknüpft und jeweils doppelt gesetzt sind. Der Begriff – siehe dazu das immer noch äußerst lesenswerte Sonderheft der SchwalbeFuture Proof Games – A challenging new concept“ von Silvio Baier, Nicolas Dupont und Roberto Osorio – ist abgeleitet von Chris. Feather’s „Helpmate of the Future“, der entsprechend für Hilfsmatts definiert ist.

Übrigens weckten die drei Autoren mit dem Untertitel Part one: Classical FPGs die Hoffnung auf einen märchenhaften zweiten Teil, die aber bisher (noch?) nicht erfüllt ist.

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Retro der Woche 27/2024

Bleiben wir noch einmal bei Märchenschach-Beweispartien.

In den letzten Tagen hatte ich intensiv in alten Schwalbe-Heften geblättert und war im Januarheft 1931, Seite 2, auf den Beitrag des Schwalbe-Gründungsvorsitzenden Anton Trilling „Die Legalität der Problemstellungen mit Märchenfiguren“ aufmerksam geworden.

„Wie schon immer in Turnieren mit Märchenfiguren, so mußte auch wieder bei der Entscheidung im 4. Thematurnier des ‚Essener Anzeigers‘ (Grashopperturnier) das Fehlen einer klaren, gesetzlichen Deutung dieser Frage peinlich empfunden werden.“ Natürlich ruft er mit der Forderung einer „gesetzlichen Deutung“ nicht nach BGB oder StGB, sondern, wie wir es heute formulieren würden, einer Festlegung im Codex. Trilling lehnt die damals vielfach genutzte Regelung „Märchenfiguren müssen durch Umwandlung entstanden erklärbar sein.“ ab mit der Begründung, dass dann die, wie er es nennt, „Stammeltern“ fehlen. Daher postuliert er, die Grundstellung mit Märchenfiguren sei die ganz normale plus jeweils ein weißer und ein schwarzer Märchenstein besagter Art irgendwo auf dem Brett.

Die engagierte bis höchst erregte Diskussion zu dieser Frage ging teils deutlich über den eigentlichen Inhalt hinaus (bis zu: Wieso verplempert Die Schwalbe wertvollen Druckraum für solch eine absurde und irrelevante Frage?), ohne hier zu einem Konsens zu kommen.

Mir erscheint die Trilling-Lösung eher wie der Besuch von Außerirdischen auf dem friedlichen Schachbrett, und heute wird die Frage nur noch bei retroanalytischem Inhalt betrachtet, ansonsten ist Legalität einer Märchenstellung weder definiert noch gefordert, so sieht es auch der aktuelle Codex vor.

Und ansonsten kann man die Einführung von Märchenfiguren ja auch über eine „Bedingung“ erreichen, so wie es der Autor unserer heutigen Aufgabe gemacht hat.

Mark Kirtley
The Problemist 2019, 3. Preis
Beweispartie in 18 Zügen, in der PAS ersetzen Grashüpfer die Springer (13+13)

 

Zu zählen sichtbarer Züge gibt es nicht allzu viel: gerade einmal drei Bauernzüge bei Weiß, und bei Schwarz ist es auch nicht extrem viel: 2+0+3+1+0+3=9 – exakt die Hälfte der schwarzen Züge ist sichtbar. Unter thematischen Gesichtspunkten besonders überraschend, dass man keine Grashüpferzüge sieht.

Natürlich kommen noch Züge hinzu, denn die fehlenden Steine (Dame und die Türme bei Weiß, Dame, Turm und [Bf7] bei Schwarz) müssen ja irgendwie verschwunden sein. Aber viel bringt das etwa bei Weiß auch nicht: [Th1] und [Dd1] benötigen nur einen sichtbaren Zug zum Selbstopfer, wenn das so aufgeht, und [Ta1] immerhin mindestens drei, so sind wir „schon“ bei minimal acht – und Weiß muss auch noch [Bf7] beseitigen.

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Retro der Woche 26/2024

Kürzlich ist in Variantim der Preisbericht zum ersten Israel-Ring-Turnier für Beweispartien der Jahrgänge 2022 und 2023 erschienen. Preisrichter Andrej Frolkin konnte nur elf Originale beurteilen, war aber von deren Gesamtqualität angetan. Bemerkenswert, dass auch Märchen-Beweispartien zugelassen waren, die Andrej gemeinsam mit den „orthodoxen“ beurteilte.

Den zweiten Preisträger dieses Turniers möchte ich euch heute gern vorstellen.

Michel Caillaud
Variantim 2022-2023, 2. Preis im IRT
Beweispartie in 17,5 Zügen, Weiß und Schwarz müssen schlagen (15+16)

 

Das Zählen der sichtbaren Züge bringt uns nicht viel weiter: Wir sehen sechs Züge von Schwarz, gar nur drei Züge von Weiß!

Der einzig fehlende Stein, ein weißer Turm, wurde auch nicht von einem Bauern geschlagen, da ja alle Bauern auf „ihrer Linie“ stehen. Das aber kann uns eine Hilfe sein, um erst einmal eine Strategie für unsere mögliche Lösung zu finden.

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Retro der Woche 25/2024

Vor zehn Wochen habe ich hier eine nicht-eindeutige) Beweispartien vorgestellt, bei der eine Anzahl letzter Züge retroanalytisch eindeutig ableitbar waren. Generell ist das bei „normalen“ Beweispartien ja nicht der Fall: Da wird die Zugfolge wesentlich durch die zeitliche Beschränkung ableitbar. Hier soll ohne diesen limitierenden Faktor „Zeit“ eine möglichst hohe Anzahl an eindeutigen letzten Zügen erreicht werden, dabei soll dann eine mögliche Beweispartie, die zu der „u.s.w.-Stellung“ führt, möglichst kurz sein.

In dem im April erwähnten „Schachmatt“ Artikel ging es zunächst einmal um das „Füllen der Tabelle“, später hat sich dann speziell Hugo August weiter mit dem Thema beschäftigt und deutlich komplexere Aufgaben dazu gebaut; aus dem von Karl Fabel ausgeschriebenen einschlägigen Thematurnier möchte ich euch heute den 4. Preis vorstellen, bei dem der „Last-Moves?“ Teil interessant und die Beweispartie dorthin alles andere als trivial ist.

Hugo August
Šahovski vjesnik I/1951, 1. Thematurnier, 4. Preis
74 Einzelzüge, 31 ableitbar (12+16)

 

Das ergibt bei der hohen Zügezahl den erstaunlich niedrigen Koeffizienten von 74/31=2,39.

Der weiße König steht im Schach, also muss Schwarz mit der Rücknahme beginnen. Betrachten wir aber zunächst die Schlagfälle: Weiß konnte nicht schlagen, bei ihm fehlen ein Springer sowie [Bb2], [Be2] und [Bh2]; wLa8 ist offenbar der umgewandelte a-Bauer. Offenbar Entstand sLb1 aus [Ba7], er schlug dabei den fehlenden [Bb2]. Zwei Schläge erfolgten auf der g-Linie, darunter auch der des [Bh2], der sich also auf h8 umgewandelt haben muss. Und dann ist [Be2] irgendwo auf seiner Linie von einem Offizier geschlagen worden.

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Retro der Woche 24/2024

Heute möchte ich mir mit euch mal wieder einen Verteidigungsrückzüger anschauen: Bei dem versucht sich Schwarz ja (natürlich mit legalen Mitteln), gegen die Vorwärtsforderung zu verteidigen. Bei Typ Proca entscheidet die rücknehmende Partei, ob ihr Zug schlagend war und wenn ja, welcher Stein entschlagen wurde.

Gerade der Typ Proca (der Name geht zurück auf den Erfinder, den Rumänen Zeno Proca 1906-15.2.1936) ermöglicht „neudeutsches“ Plangefüge – wenn die Motive auch noch „retro-spezifisch“ sind, ist das um so erfreulicher.

Joaquim Crusats & Andrej Frolkin
Die Schwalbe 2018, 1. ehrende Erwähnung
#1 vor 18 Zügen, VRZ Proca (13+13)

 

Betrachten wir zunächst die Schlagbilanz, um mit diesem Wissen nach dem Hauptplan, dessen Widerlegung und dem damit notwendigen Vorplan(gefüge) schauen zu können.

Offensichtlich sind wBxc6 sowie zwei Schläge des [Bg7] bis e2. Wenn [Ba2] auf c8 umgewandelt hat, muss er dazu auch [Bh7] geschlagen haben – bzw. den Umwandlungsstein, der aus diesem Bauern auf g1 entstanden ist. Damit wären alle weißen und schwarzen Schläge erklärt. Wenn [Bh7] allerdings nicht umgewandelt hat, muss [Ba2] auf der a- oder b-Linie geschlagen worden sein, und für Schwarz bleibt kein Schlagobjekt mehr übrig.

Nun wollen wir nach dem Hauptplan schauen, der, wie es sich für ein gutes neudeutsches Problem beinahe gehört, nicht allzu schwer zu finden ist:

R 1.Kg5-h6 Th7-g7 2.Lh6-f8 & v: 1.Sxe7#, aber Schwarz kann ich besser mit R 1.– Kh7-hg! Verteidigen. Das allerdings erzwingt 2.h5xSg6+ nebst wBgxsBh, und auch bei Weiß sind drei Schlagfälle zwingend erforderlich.

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Retro der Woche 23/2024

Vor ein par Tagen bin ich im Internet, konkret bei facebook in der Gruppe „Chess Endgames and Compositions“ über eine Beweispartie gestolpert, die sich, wie ich meine, hervorragend für unsere Serie eignet: Da kann ich gleichzeitig noch eine Frage „jenseits der eigentlichen Aufgabe“ mit euch diskutieren.

Michel Caillaud
Die Schwalbe 2016, 4. ehrende Erwähnung
Beweispartie in 22,0 Zügen (14+14)

 

Beginnen wir mit der Analyse der Schlagfälle: Bei Schwaz fehlen [Lc8], der zuhause geschlagen werden musste, sowie [Bh7], der auf der h-Linie sterben musste. Bei Weiß fehlt {Be2], der selbst nicht schlagen konnte, sowie [Dd1], die auf b6 oder b5 vom schwarzen a-Bauern geschlagen wurde.

Das hilft nur bedingt weiter, drum betrachten wir die sichtbaren Züge: Bei Weiß haben wir 3+2+3+3+2+4=17 – erschreckend wenig, gerade weil wir wissen, dass sich kein Bauer umgewandelt haben kann: fünf Züge sind noch frei. Das Zählen bei Schwarz ist aber zunächst noch frustrierender: 4+1+0+1+0+3=9 !!

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