Retro der Woche 40/2023

An diesem Wochenende findet in Einbeck, organisiert von Achim Schöneberg, die diesjährige Schwalbe-Tagung statt. Daher will ich heute eine Aufgabe aus einem Schwalbe-Retroinformalturnier vorstellen, das euch gleichzeitig zum Lösen einladen soll — viel Spaß dabei!

Nikolai Beluchov
Die Schwalbe 2010, 6. Lob
Letzte 31 Einzelzüge? (13+14)

 

Preisrichter Thierry Le Gleuher schrieb dazu: “Ein recht langes Retrospiel (31 Einzelzüge) für ein einfach aussehendes Problem. Das Retrospiel ist nicht sehr kompliziert, aber ansprechend.” Na, wenn solch ein Kommentar nicht zum Lösen verlockt …

Die schwarzen Bauern haben dreimal geschlagen (gxh sowie cxdxe). Der umgewandelte schwarze schwarzfedrige Läufer muss sich also schlagfrei auf a1 umgewandelt haben, was zwei Schläge durch wBB erfordert. Daher kann [Bg2] nicht direkt geschlagen worden sein; er muss sich also ebenfalls schlagfrei auf g8 umgewandelt haben — und zwar in einen Läufer.

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Retro der Woche 39/2023

Bis zu seinem Tod hatte Milan Velimirović (21.4.1952–25.2.2013) die Problemzeitschrift MatPlus herausgegeben — eine der bedeutendsten und besten Zeitschriften um den Jahrtausendwechsel. Seit 2007 führte dort Hans Gruber eine Retroabteilung, die sich dem hohen Niveau dort natürlich anpasste: nicht nur mit einem hervorragenden Urdruckteil, sondern auch mit bedeutenden Artikeln.

Den ersten Preis des ersten Retro-Jahrgangs möchte ich euch heute zeigen — den ersten Preis des Folgejahres hatte ich in der letzten Woche schon vorgeführt.

Michel Caillaud
MatPlus 2007, 1. Preis
Beweispartie in 18,5 Zügen (14+15)

 

Das schaut schon überraschend aus, dass Weiß offenbar 18 Züge lang Zeit zu vertrödeln hat, denn er muss ja (neben e4 zu ziehen) nur seinen beiden fehlenden Steine [Dd1] und [Bc2] loswerden — die Dame wurde offenbar auf e6 geschlagen, da [Bc2] dort gar nicht hingelangen konnte, da bei Schwarz nur ein Stein fehlt: [Bg7].

Schwarz benötigte alle 18 Züge, um seine Position im Diagramm einzunehmen: Wir sehen 1+2+6+2+4+1=16 schwarze Züge im Diagramm, aber offenbar war auch Lc8-d7-c8 erforderlich, um [Ta8] vor die Tür zu lassen. Also wurde [Bg7] zuhause geschlagen — und das kann doch die Dame bequem auf ihrem Opfergang nach e6 erledigt haben? Nein, denn sie muss bereits im dritten Zug geschlagen werden, damit Schwarz nicht wegen der im Zentrum so verschlossenen Stellung in Zugnot gerät.

Na gut, dann halt z.B. [Sg1] in acht Zügen mit seiner Rückkehr nach Hause — das sollte doch kein Problem sein?

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Retro der Woche 38/2023

Nachdem ich im Retro der Woche 35/2023 eine Aufgabe von Tom Volet vorgestellt hatte, kommentierte Dmitrij Baibikov: „Dieses Stück hat mich auf die Idee für eine eigene Aufgabe gebracht.“ Die lohnt es dann, sie hier einmal anzuschauen!

„Natürlich“ geht es dann hier auch um Schutzschilde, „natürlich“ werden wir Ähnlichkeiten in der Matrix und in der Idee entdecken — gerade das macht es dann doppelt interessant, beide Stücke miteinander zu vergleichen. Und daher empfehle ich allen, die das bisher noch nicht getan haben, Toms Stück von vor drei Wochen nun genau zu betrachten.

Doch nun zu Dmitrijs Aufgabe:

Dmitrij Baibikov nach Thomas Volet
MatPlus 2008, 1. Preis
Löse die Stellung auf (14+12)

 

Auf den ersten Blick haben die beiden Aufgaben optisch nicht viel gemein, aber genaueres Hinschauen zeigt, dass auch hier die Stellung erst mit R: Kd5-c5 e7-e6+ (oder auch anders herum) aufgelöst werden kann, dass der dafür notwendige [Lf8] erst noch entschlagen werden muss, und dass für seine Heimkehr zumindest auf d6 ein Schild genutzt werden muss.

Doch welcher Stein kann eigentlich auf d6 schützen? Dazu müssen wir uns die Schläge anschauen, denn der Schutzstein kann noch nicht auf de Brett stehen – welcher sollte das sein?

Weiß hat offenbar axBb und f2xXe3 geschlagen, schwarz ebenso offensichtlich c4xYd3 – da bei Weiß ein Turm sowie [Lc1] fehlen, kann wegen der Felderfarbe dort nur der Turm geschlagen worden sein. Also muss Schwarz den Läufer im Südosten entschlagen haben: f4xLg3, und dieser Läufer muss dann auf d6 seine König schützen.

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Retro der Woche 37/2023

In der letzten Woche habe ich hier den ersten Preis beim 11. FIDE World Cup vorgestellt, heute möchte ich euch das zweitplatzierte Stück zeigen: Wieder eine Beweispartie. Das ist kein Zufall, da das Turnier, wie bereits im letzten Jahr, ausschließlich für orthodoxe Beweispartien ausgeschrieben war; andere Retros waren nicht zugelassen. Das finde ich persönlich bedauerlich; ich hoffe, dass sich das im kommenden Jahr ändert.

Christoph Fieberg
11. FIDE World Cup 2023, 1 ehrende Erwähnung & Silbermedaille
Beweispartie in 22 Zügen (13+14)

 

Üblicherweise sind offensichtliche Umwandlungssteine (wie hier ein zweiter schwarzfeldriger schwarzer Läufer) in Diagrammstellungen von Beweispartien verpönt, weil sie oft schon eine Menge über die Lösung verraten. Das gilt natürlich nicht, wenn dieser Umwandlungsstein thematisch ist, und das ist er im vorliegenden Problem.

Zählen wir zunächst einmal die sichtbaren Züge: Bei Weiß sehen wir 5+0+4+2+3+3=17, bei Schwarz 1+3+0+9+2+3=18. Die neun Läuferzüge von Schwarz schließen natürlich die fünf Bauernzüge zur Umwandlung mit ein. Übrigens könnte die Dame auch in zwei Zügen via h4 nach h1 gelangen, das erfordert aber einen weißen Zug mehr (h2xg3xh4), und dies führt zu Problemen mit dem Weg des [Th1].

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Retro der Woche 36/2023

Ich muss gestehen, dass ich ziemlich enttäuscht war, als ich die Retro-Einsendungen zum 11. FIDE World Cup erhielt: Ich hatte mir als Preisrichter natürlich quantitativ mehr als nur zwölf Aufgaben (von denen eine noch nebenlösig ausscheiden musste) erwartet, und auch die durchschnittliche Qualität der Aufgaben konnte mich nicht vom Hocker reißen.

Zu Glück ragten zwei oder drei Aufgaben qualitativ heraus, sodass die ersten beiden Plätze sehr schnell für mich feststanden. Das Stück, das ich deutlich ganz vorn sehe, möchte ich euch heute vorstellen; ich orientiere mich dabei an meinem Kommentar im Preisbericht. Das zweitplatzierte Stück werde ich hier in der kommenden Woche zeigen.

Joachim Hambros
11. FIDE World Cup 2023, Preis & Goldmedaille
Beweispartie in 22 Zügen (13+13)

 

Im Diagramm sehen wir 18 schwarze Züge (4+1+3+3+5+2), bleiben vier frei. Schwarz benötigt allerdings zwei weitere Züge, um [Th1] im Südosten zu schlagen, dann stehen ihm noch zwei zur Verfügung, um einen seiner Türme auf b3 zu opfern, womit dann alle schwarzen Züge erklärt sind.

Damit ist auch klar, dass die fehlenden schwarzen Bauern mangels Zugmöglichkeiten zu Hause starben – und dass sBd6 von e7 kommt, damit Dd5 ermöglicht wird.

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Retro der Woche 35/2023

Bei Aufgaben von Thomas Volet kann man sich fast darauf verlassen, dass sie seine Lieblings-Thematik zeigen: Das sind Schirme, also Schachschutz, der benötigt wird, um weitere Züge zurücknehmen zu können, die ansonsten illegales Retroschach bieten würden. Und so ist es auch bei der Aufgabe, die ich heute ausgewählt habe.

Noch etwas ist typisch für den Kompositionsstil von Tom: Er legt keinen besonderen Wert auf möglichst lange eindeutige Folgen von Rücknahme-Zügen (wie wir das etwa im Retro der Woche vor zwei Wochen gesehen hatten); ihm ist es wichtig, dass die thematischen Züge wie Entschläge, wie Schachschutz-Züge eindeutig sind. Wie die Figuren nun auf diese thematischen Felder kommen, interessiert ihn weniger: Wenn dabei Zugumstellungen oder Alternativ-Wege möglich sind, stört ihn das nicht.

Thomas Volet
Orbit 2004, 1. ehrende Erwähnung
Letzter Zug? (13+13)

 

Zunächst einmal sehen wir, dass alle fehlenden Steine durch gegnerische Bauern geschlagen wurden: schwarze Schläge durch axb, dxc unf h7xg6; weiße Schläge durch bxc, e2xf3 und hxg. Beide Parteien können als Schläge zunächst nur hxg zurücknehmen: b2xc3 würde [Lc1] aussperren, und axb4 kann nicht zurückgenommen werden, weil zunächst der Bauer auf a7 zumindest bis a4 zurückgezogen werden muss: Er kam ja schlagfrei von a2.

Dann wollen wir schauen, wie der riesige Knoten im Süden und Westen geöffnet werden kann? Das funktioniert offenbar nur durch R: Kd5-c5. Dafür aber muss erst [Lf8] nach Hause, da spätestens dann e7-e6 zurückgenommen werden muss. Dafür muss aber ein Stein auf d6 das Schach durch diesen Läufer, der also über e7 heimkommen muss, abschirmen.

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Retro der Woche 34/2023

Und noch ein Stück aus der Zeit kurz vor der Jahrtausendwende: Heute eine unscheinbar wirkende Beweispartie von Michel Caillaud, die aber — bei dem Autor nicht anders zu erwarten — mit ein paar Überraschungen aufwartet.

Michel Caillaud
StrateGems 2000, 4. Preis
Beweispartie in 18,5 Zügen (15+15)

 

Betrachten wir das Diagramm, so stellen wir fest, dass die beiden e-Bauern fehlen. „Na ja, der schwarze Bauer wurde im letzten Zug mit Schach geschlagen, und der weiße verschwand irgendwo auf der e-Linie offenbar durch einen der schwarzen Springer!“ Könnte man meinen – und damit läge man reichlich schief! Woran kann man das sehr gut sehen? Dazu sollten wir uns überlegen, was Schwarz eigentlich in der Partie ziehen konnte?

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Retro der Woche 33/2023

Ein klassisches Retro mit der Frage nach den eindeutigen letzten Zügen möchte ich euch noch aus der kleinen feenschach-Parade zeigen.

Diese Aufgabenstellung finde ich auch deswegen so attraktiv, weil da ganz genau klar ist, was gefordert ist, ohne dass erst einmal durch die Forderung schon etwas verraten oder auch verschleiert wird.

Gerald Ettl ist in Deutschland ein besonders aktiver Spezialist für diesen Aufgabentyp – dass er das schon lange ist, zeigt er mit dem heutigen Stück.

Gerald Ettl
feenschach 1999, 1. ehrende Erwähnung
Welches waren die letzten 22 Einzelzüge? (13+12)

 

Zunächst stellen wir fest, dass keiner der Könige im Schach steht, wir also auch herausfinden müssen, wer mit der Rücknahme beginnt. Ferner müssen wir berücksichtigen, dass (mindestens) zwei Umwandlungssteine auf dem Brett stehen: eine weiße Dame und ein schwarzer weißfeldriger Läufer – nämlich der auf h1.

Schwarz benötigt für seine Bauernstruktur alle drei Schläge, sodass die weiße Bilanz ausgeglichen ist. Weiß benötigt zwei Schläge, um den [Ba7] nach a3 oder a2 zu lassen – deswegen kann wBd6 auch nicht der [Bh2] sein. Der hingegen muss sich in die zweite weiße Dame umgewandelt haben, wofür er einen Schlag brauchte. Er musste ja an [Bh7] vorbeikommen. Damit bleibt Weiß noch ein Schlag übrig, den er z.B. nutzen kann, um Schwarz Züge zu ermöglichen.

Damit sind wir dann auch schon bei der Frage nach dem Anzug, nach der generellen Auflöse-Strategie.

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