Retro der Woche 44/2023

Mein Retro-Entscheid für PHÉNIX 2020 ist schon etwas speziell: Mit einer speziellen Auszeichnung habe ich einen heftfüllenden Aufsatz von Thierry Le Gleuher zum Thema Ortho-Rekonstruktion (eine Art “Retro-Dissertation”) bedacht; der erste (reguläre) Preis ging an ein wie ich finde höchst interessantes Rebus-Problem der beiden Spezialisten für diese Forderung.

Andrej Frolkin & Jeff Coakley
PHÉNIX 2020, 1. Preis
Jeder Buchstabe repräsentiert eine Figurenart (beliebiger Farbe). Bestimme die Stellung. Letzter Zug? (28)

 

Die Lösungsangabe orientiert sich an einer Darstellung von Hans Gruber, und dieses mal gebe ich den Tipp, bereits den Klick auf das “Weiterlesen” zu lassen, wenn ihr selbst lösen wollt. Anschließend könnt ihr dann unter “Lösung” die Ergebnis-Stellung bestaunen!

Nur R kommt genau zweimal vor, also: R=König.

A kann wegen der Schachgebotsstruktur weder Dame noch Turm noch Läufer sein — noch Bauer wegen der 8.Reihe; also: A=Springer.

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Retro der Woche 35/2023

Bei Aufgaben von Thomas Volet kann man sich fast darauf verlassen, dass sie seine Lieblings-Thematik zeigen: Das sind Schirme, also Schachschutz, der benötigt wird, um weitere Züge zurücknehmen zu können, die ansonsten illegales Retroschach bieten würden. Und so ist es auch bei der Aufgabe, die ich heute ausgewählt habe.

Noch etwas ist typisch für den Kompositionsstil von Tom: Er legt keinen besonderen Wert auf möglichst lange eindeutige Folgen von Rücknahme-Zügen (wie wir das etwa im Retro der Woche vor zwei Wochen gesehen hatten); ihm ist es wichtig, dass die thematischen Züge wie Entschläge, wie Schachschutz-Züge eindeutig sind. Wie die Figuren nun auf diese thematischen Felder kommen, interessiert ihn weniger: Wenn dabei Zugumstellungen oder Alternativ-Wege möglich sind, stört ihn das nicht.

Thomas Volet
Orbit 2004, 1. ehrende Erwähnung
Letzter Zug? (13+13)

 

Zunächst einmal sehen wir, dass alle fehlenden Steine durch gegnerische Bauern geschlagen wurden: schwarze Schläge durch axb, dxc unf h7xg6; weiße Schläge durch bxc, e2xf3 und hxg. Beide Parteien können als Schläge zunächst nur hxg zurücknehmen: b2xc3 würde [Lc1] aussperren, und axb4 kann nicht zurückgenommen werden, weil zunächst der Bauer auf a7 zumindest bis a4 zurückgezogen werden muss: Er kam ja schlagfrei von a2.

Dann wollen wir schauen, wie der riesige Knoten im Süden und Westen geöffnet werden kann? Das funktioniert offenbar nur durch R: Kd5-c5. Dafür aber muss erst [Lf8] nach Hause, da spätestens dann e7-e6 zurückgenommen werden muss. Dafür muss aber ein Stein auf d6 das Schach durch diesen Läufer, der also über e7 heimkommen muss, abschirmen.

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The Hopper Nr. 4

Gestern ist die vierte Ausgabe von The Hopper, dem Schachproblem-Magazin aus Singapur, im Internet erschienen. Das Herausgeber-Trio Andrew Buchanan, Anirudh Daga und James Quah haben wieder interessanten Lese- und Lösestoff zusammengetragen, und gerade für uns Retrofreunde ist natürlich wieder eine Menge dabei: So geht Andrew auf interessante Fragen im Zusammenhang mit Last Movern ein (u.a. mit einer illegalen Stellung!); Jeff Coakley und Andrej Frolkin stellen “Rebus Games” vor.

Ich wünsche euch viel Spaß an dieser Ausgabe!

Last-Move Rekorde

Nachtrag 11.7.23: korrigierte Datei (zwei Diagrammfehler beseitigt)

Werner Keym hat eine aktualisierte Liste (Stand 1. Juli 2023) der ökonomischen Last-Move Rekorde für die Typen

A: Es wird nicht angegeben, wer am Zug ist. Kein König steht im Schach
B: Es wird angegeben, wer am Zug ist
C: Ein König steht im Schach
M: Schwarz ist matt

veröffentlicht; sie kann auf der Schwalbe-Website angeschaut werden.

Viel Spaß beim Studieren — und überbieten?!

Andernach 2023

1975 fand zum ersten Mal ein Problemschachtreffen in Andernach statt, bald schon jeweils am Himmelfahrt-Wochenende jedes Jahr, nur 2020 und 2021 wegen Corona ausgefallen.

Die Einheit „Andernach und Problemschach“ ist untrennbar mit Zdravko Maslar verbunden, der die Treffen bis zur Rente in seinem Restaurant, dem Balkan-Pik, ausrichtete, auch später noch, solange es seine Gesundheit zuließ, mit organisiert hat.

Zum Start des diesjährigen Treffens möchte ich ein Retro von Pile Maslar, dessen großartige Kompositionsleistungen überwiegend mit Hilfsmatts verbunden werden, vorstellen: Mit „Last Movern“ hat er sich in den späten 1950-er Jahren gelegentlich beschäftigt; eines dieser Stücke möchte ich euch heute „zwischendurch“ zeigen.

Zdravko Maslar
problem 1957, 1. Preis e.ae. im 16. Thematurnier
Letzter Zug? (4+9)

 

Wie immer erscheint die Lösung nächste Woche an dieser Stelle!

 

Lösung

Letzter Zug Tc8xDb8 — warum nicht Tc8xS/Lb8 oder Tc8-b8?
Davor geschah Da7-b8 — wieso schlagfrei?

2022

Allen Retrofreunden wünsche ich
ein gutes neues Jahr 2022!

Wie in den letzten Jahren möchte ich heute mit euch zusammen einen Blick in die Geschichte der Retroanalyse 100 Jahre zurück werfen.

In diesem Jahr ging der Stern eines Jung-Twens auf: Hans Klüver aus Hamburg (*4.3.1901). Große Aufmerksamkeit brachte sein monumentaler Aufsatz (20 Seiten, 40 Aufgaben) “Schnittpunktphänomene in der retrograden Analyse“ im ebenso monumentalen Kongressbuch des Turniers in Teplitz-Schönau im Oktober 1922 (664 Seiten, davon mehr als 200 (!) über Problemschach). Dies war der bis dahin bedeutendste deutschsprachige Beitrag zur Retroanalyse, und Klüver wandte sich besonders an die „Neudeutschen“, um deren Interesse für das rückläufige Spiel zu wecken — dazu waren natürlich Schnittpunkt-Themen besonders geeignet.

Aus dem Artikel möchte ich den Klüver’schen Originalbeitrag vorstellen und euch zum Lösen einladen — so schwer ist die Aufgabe nicht!

Hans Klüver
Schachkongress Teplitz-Schönau 1922
Weiß nimmt seinen letzten Zug zurück und setzt in zwei Zügen matt. (13+14)

 

In einer Woche werde ich hier die Lösungsangabe aus dem Kongressbuch zitieren.

Lösung

Aus dem Kongressbuch S. 483-484, zu Nr. 30:
Nr. 30 zeigt ein antikritisches Manöver im weiß-schwarzen Schnittpunktgefüge. Schwarz könnte zuletzt nicht gezogen haben, da g7-g6 den zu entschlagenden schwarzen Königsläufer aussperren und c7-c5 den Ld8 einsperren würde. Weiß muß also einen Zug zurücknehmen, der einen legalen schwarzen Retrozug ermöglicht. Ein Entschlag auf g4 (h3:Dg4) ist nicht angängig, da der Bg4 auf g3 den schwarzfeldrigen Läufer zu entschlagen hat, um nach dessen Bewegung nach f8 und der eines Turmes nach h8 g7-g6 nebst f6:Dh7 zu ermöglichen. Einzige Möglichkeit: 1.Lb6-d8! (antikritisch) c7-c5; 2.Kd4-d5! e6-e5+ 3.Sa2-b4 (Kc6-b7) oder 3.Lc5-b6 (Sb6-a8). Nach Rücknahme von Lb6-d8 kann Weiß dennoch mittels bc: ep+ dc:+ 2.Lc6# matt setzen.

Mario Richter 60

Heute feiert in Berlin Mario Richter seinen 60. Geburtstag. Lieber Mario, für dein neues Lebensjahr(zehnt) wünsche ich dir alles denkbar Gute — und heute einen schönen Feier-Tag!

Mario ist kein besonders fleißiger Komponist (die PDB enthält 51 Stücke von ihm, davon 50 Retros), sondern er tritt besonders hervor als profunder Löser, Prüfer, Kommentator und Preisrichter: Ich freue mich, ihn für die Jahre 2022-2024 für die „Mathematik/Sonstiges“ Rubrik der Schwalbe gewonnen zu haben.

Beim Prüfen lässt er sich oft von seinem selbst geschriebenen Programm „Rawbats“ unterstützen, das, wenn ich es richtig verstehe, sehr flexible Möglichkeiten zur Angabe heute so genannter „Constraints“ bietet, also aus der Stellung, aus Retroanalyse als sicher abgeleitete Einschränkungen der (Rück-)Zugmöglichkeiten. Auch wenn die so geprüften Aufgaben nicht im eigentlichen Sinne „C+“ sind, sondern „HC+“, also in Koproduktion von Mensch und Rechner geprüft, ist dies doch eine ungeheuere Hilfe, komplexe Retros (mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit) korrekt zu bekommen.

Das heutige Stück „für Zwischendurch“ entstand vor vielen Jahren per Mail bei Diskussionen um verschiedene Isardam-Rekorde. Hier ist die simple Frage, wie der weiße König in sein Gefängnis in der Ecke gelangen konnte? Wer sich an die Isardam-Regeln nicht mehr erinnert, schaut einfach ins Märchenlexikon der Schwalbe.

Mario Richter & Thomas Brand
Die Schwalbe 2008
Letzter Zug? Schwarz am Zug, Isardam (1+3)

 

 

Und wie immer: Die Lösung folgt in etwa einer Woche hier.

Lösung

R: 1.Kh2xLh1 S~xLf3++

Durch den doppelten Entschlag der Läufer (einmal schwarz, einmal weiß) wird das (orthodoxe) Schachgebot des schwarzen Turms neutralisiert: Schlüge der den weißen König, würden sich ja, was bei Isardam verboten ist, die beiden Läufer beobachten.

Nikita Plaksin 90

Nikita Plaksin ist sicherlich einer der bekanntesten, produktivsten und besten Retro-Komponisten aller Zeiten; heute vollendet er sein 90. Lebensjahr — ihm ganz herzliche Glückwünsche zum Geburtstag!

Seit dem Jahr 2001 ist der Wasserbau-Ingenieur FIDE-Meister für Schachkomposition (16,5 Album-Punkte); bereits seit 1989 ist er Internationaler Preisrichter für Retros. Allein in der PDB sind von ihm 1520 Retros enthalten, von denen er fast 1150 in feenschach veröffentlicht hat. Das liegt vor allen Dingen daran, dass er sich intensiv mit “Märchen-Retros” beschäftigt hat, speziell mit Lastmovern-Ökonomierekorden, dies häufig gemeinsam mit Andrej Kornilow.

Besonders bekannt ist er aber für seine beinahe 100 Aufgaben mit Nutzung der 50-Züge-Regel, wonach ein Remis (bei Retros automatisch!) eintritt, wenn seit 50 Zügen kein Schlag oder Bauernzug stattgefunden hat — meist wird auch die Rochade als “die Regel unterbrechender Zug” hinzugezählt. 1979 hat Plaksin dazu in Problem einen bekannten Artikel 50×50 veröffentlicht, in dem er — ihr ahnt es — 50 eigene Aufgaben mit diesem Thema vorstellt. Sehr lesens- und studierenswert, aber nicht gerade “leichte Kost” wegen der doch recht lakonischen Lösungsangaben.

Als Beispiel möchte ich eine Aufgabe aus den Märchen-Lastmove-Untersuchungen zeigen, allein schon um zu demonstrieren, dass auch die Verwendung zweier Märchenarten nicht automatisch schwer zu lösende Stücke hervorbringen.

Nikita Plaksin & Andrej Kornilow
feenschach 12/1982
Letzter Zug? Circe, monochromes Schach (5+1)

 

Bei diesem Stück solltet ihr euch aber auch Gedanken zumindest über den vorletzten Zug machen. Die Lösung folgt an dieser Stelle traditionsgemäß in etwa einer Woche.

Lösung

Mit letztem Zug von Schwarz klappt es nicht: R 1.– Kb1-a2/Kb1xBa2 2.0-0+ Kc2-b1: Weiß hat keinen legalen letzten Zug.

Also R 1.0-0! Kb1xTa2!, und nun hat Weiß Tempozüge mit seinem Umwandlungsturm, und der schwarze König kann via c2-d1-e2-f3 nach draußen kommen.

Und warum ging nicht R 1.– Kb1-a2 2.0-0 Kc2xTb1? Weil der Turm als Umwandlungsstein (das Original steht ja auf h1!) wegen “monochrome” niemals auf die erste Reihe gelangen konnte!

Klein und unscheinbar, aber doch mit einigem Tiefgang!