Retro der Woche 51/2023

Hatten wir uns vor zwei Wochen noch ein Auflöse-Retro mit der Märchenbedingung „Madrasi“ angeschaut, so möchte ich euch heute mal wieder ein klassisch-orthodoxes vorstellen. Obwohl – eine nicht so ganz klassische Besonderheit hat auch das heutige Stück …

Nikolai Beluchow & Andrej Frolkin
StrateGems 2010, 2. Preis
Letzter Zug? Zwei Lösungen (10+13)

 

Das ist schon ungewöhnlich: Ein Retro mit mehreren Lösungen – und die entstehen auch nicht durch Steinversetzung oder Änderung der Forderung. Im Hilfsmatt ist das heute selbstverständlich, dass mehrere Lösungen in einer Stellung vorhanden sein können, das erscheint vielen sogar eleganter als eine Zwillingsbildung etwa durch Steinversetzung.

Aber das war im Hilfsmatt nicht immer so: Der berühmte ungarische Hilfsmattkomponist und -fachmann György Páros lehnte in seinen jungen Jahren mehrere Lösungen ab, sein Credo: „Ein Hilfsmatt kann nur eine Lösung haben, hat es mehr, sind das Nebenlösungen.“ Er akzeptierte für mehr als eine Lösung also nur Satzspiel und Stellungsveränderungen; erst nach dem 2. Weltkrieg setzte sich langsam der heutige Geschmack durch.

Die Frage ist nun: Haber wir es hier mit einer „kultivierten Nebenlösung“ zu tun – oder mit zwei gleichwertigen, inhaltlich verbundenen? Das solltet ihr am Schluss für euch selbst beurteilen.

Der schwarze König steht matt, und als Mattzug kommen nur vier Möglichkeiten in Frage: b7xXc8=T#, wobei X theoretisch Dame, Turm, Läufer oder Springer sein könnte. Also reicht uns schon der „Fifty-Fifty Joker“, um die Aufgabenstellung zu beantworten? Formal ja, aber natürlich geht es auch um weitere Rücknahmen, die möglichst eindeutig sein sollten, bis die Stellung ganz offensichtlich weiter aufgelöst werden kann – was auch immer „offensichtlich“ bedeutet. Meist ist das ja die endgültige Öffnung eines Retro-Käfigs.

Du wenn ihr nun löst, dann schaut doch auch einmal, wieso die beiden anderen schwarzen Steine nicht entschlagen werden können?

Lösung

R: 1.b7xTc8=T+ Te8-c8 2.b3-b4 Te7-e8 3.b2-b3 Ke8xLf8 4.Lg7-f8 Dh8-g8 5.Lf8-g7 Tg7-e7+ 6.Dg8-e6+ e6xBf5 7.f4-f5 f5xSe4 8.Sf2-e4 Te3-e5 etc. – und
R: 1.b7xSc8=T+ Se7-c8 2.b3-b4 Ke8xTf8 3.Tf7-f8+ Kf8-e8 4.Tg7-f7+ Ke8-f8 5.Tf7xLg7 Lf8-g7+6.Tg7-f7 Dh8-g8 7.Dg8-e6+ e6xBf5 8.f4-f5 f5xBe4 9.e3-e4 Te4-e5 etc.

Der „Verdacht“, bei der zweiten Lösung könne es sich um eine verkappte und kultivierte Nebenlösung handeln, ist meiner Meinung nach eigentlich schon durch die beiden Namen über (OK, hier im Blog: neben) dem Diagramm ad absurdum geführt.

Und das einheitliche Spiel u.a. mit den eindeutigen Entschlägen durch den schwarzen König zeigt ganz deutlich, dass wir hier eine echte inhaltliche Bereicherung klassischer Auflöse-Aufgaben sehen. Vielleicht ist der Ansatz mit mehreren Lösungen nicht nur beim Hilfsmatt, sondern auch bei der Retroanalyse eine tolle Möglichkeit der thematischen und formalen Weiterentwicklung: Was meint ihr?

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