Retro der Woche 49/2023

„Klassische“ Auflöse-Retros mit Märchenbedingungen sind relativ selten: Sind sie doch häufig sehr kompliziert zu bauen, korrekt zu bekommen und auch zu lösen. Ein solches Stück möchte ich euch heute zeigen, dessen Entstehen übrigens eng mit der ersten beschriebenen Schwierigkeit zusammenhängt.

Das Stück verwendet die Madrasi Bedingung, ihr erinnert euch sicherlich? Ein Stein, der von einem gleichartigen Stein der anderen Farbe (außer den Königen, wenn nicht rex includive sie auch in die Regel einbezieht) beobachtet wird, ist paralysiert (man sagt auch „gelähmt“), d.h. er kann weder ziehen noch schlagen (und damit auch nicht Schach bieten), sondern nur paralysieren.

Nikita Plaksin, Andrej Kornilow & Hans Gruber
feenschach 1989, 3. Preis
Letzte neun Einzelzüge? Madrasi (14+8)

 

Im Diagramm ist der letzte Zug recht einfach zu finden: Der schwarze König steht im Schach durch den weißen Läufer, der aber im letzten Zug dort selbst nicht hingezogen haben kann. Das Schach kann also nur entstanden sein, wenn Weiß in seinem letzten Zug die Paralyse des wLg7 aufhebt.

Das kann offensichtlich nur durch Schlag eines schwarzen Läufers auf f6 geschehen sein. Und der schlagende Bauer kann nicht von g5 gekommen sein, denn dort wäre er ja durch sBh6 paralysiert gewesen, also muss der letzte Zug R Be5xLf6+ gewesen sein.

Ausnahmsweise will ich hier die Lösung nicht verstecken, sondern sie unter Nutzung der Original-Lösungsbesprechung aus feenschach erläutern. Spielt sie in Ruhe durch und studiert dann auch speziell den Kommentar des großartigen Lösers und Retro-Spezialisten Hans-Heinrich Schmitz.

Die Position ist äußerst knapp madrasilegal! R 1.e5xLf6+ Lg5-f6 (1.– Lg5xTf6? 2.TxLf6+ nebst retropatt) 2.d4xLe5+ Ld6-e5 (2.– Ld6xTe5? 3.TxLe5+ nebst retropatt) 3.e3xLd4+ (3.c3xLd4+? verhindert sBd3xLc2) Lc3xTd4 4.Td5-d4+! (4.TxLd4+??) La5-c3 5.Ld4xSg7+ (5.SxLb2+??; 5.Ld4xDg7+? nebst retropatt). Es folgt 5.– Se8,h5-g7 6.Te5-d5+.
HHS: “Deshalb mußte der wT im 4. Zug nach d5. Nun hat Schwarz die langersehnten Tempomöglichkeiten. Alle Figuren können aus dem Weg und größtenteils auf ihren Heimatplatz gebracht werden; die sUW-LL kommen (nach Rücknahme von f3-f4) auf e1 und g1, und es ist lediglich noch die madrasigerechte BB-Rückführung zu überdenken, und die läßt sich gerade schaffen. Nach der Entwandlung der sLL folgt sBg3, wBg2xLf3, sBg4, wBh2, wBf2xDe3. Damit ist auf dieser Seite alles in Ordnung. Und andererseits sBd3xLc2, sBd4 sowie nach Einordnung aller wFiguren wBe2. Ferner wBc6xSd7, wBa5xsBb5ep, sBb7 – alles klar! Da gibt’s insgesamt gesehen reizvolle Randerscheinungen: Der Killer-Umwegmarsch des wBf2 nach f6; das immerhin denkbare 3.Bc3xLd4; die wT-Auswahl im 4. Zug; der Versuch, auf g7 eine sD zu entschlagen; die Auswahl der Entwandlungsfelder (a1 sieht verlockend aus!); die wohlüberlegte Freigabe des L-Weges nach g1 (e2-e3 oder h3-h4 führen in Retro-Katastrophen). All dies ist sicher im Einzelnen nicht neu, aber daß es zu der Ausklügelei dieser Häufung eines Triumvirats an Experten bedurfte, ist schon verständlich.”
AB: “Eine tolle Zugfolge. 3sL- und 1wT-Entschlag.”
GL: Gute Ansammlung von Madrasi-Effekten!”
JV: “Madrasi-Retros habens in sich. Hier war’s aber nicht allzu schwer. Insgesamt 5 Entschläge in eindeutiger Zugfolge, dann 2 sL-UW.”
mpk: “Auf recht vollem Brett tauchen überraschend viele schwarzfeldrige sLL auf! Schade, daß die Eindeutigkeit der Zugserie nach dem 9. Zug abbricht; ohne den dualistischen S-Zug wäre es noch zwei Einzelzüge weitergegangen.”

Und was hatte ich in der Anmoderation mit der Entstehungsgeschichte und dem Problem der Korrektheit gemeint? Nun, was ihr hier seht, ist nicht die ursprünglich intendierte Lösung der beiden russischen Autoren: Die eingesendete Aufgabe hatte nämlich Hans Gruber mit etwa dieser Lösung gekocht, die den Autoren besser gefiel als ihre eigene – also haben sie die neue gemeinsam für das nun vorliegende Stück umgebaut.

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