The Hopper Nr. 4

Gestern ist die vierte Ausgabe von The Hopper, dem Schachproblem-Magazin aus Singapur, im Internet erschienen. Das Herausgeber-Trio Andrew Buchanan, Anirudh Daga und James Quah haben wieder interessanten Lese- und Lösestoff zusammengetragen, und gerade für uns Retrofreunde ist natürlich wieder eine Menge dabei: So geht Andrew auf interessante Fragen im Zusammenhang mit Last Movern ein (u.a. mit einer illegalen Stellung!); Jeff Coakley und Andrej Frolkin stellen “Rebus Games” vor.

Ich wünsche euch viel Spaß an dieser Ausgabe!

Eine Entdeckung

Im Jahr 2001 hatte Andrew Buchanan in einem Artikel in The Problemist den Gedanken des „Dead Reckonig“ ins Problemschach eingeführt, wonach eine Stellung gemäß § 5.2b der offiziellen FIDE-Schachregeln automatisch remis ist, wenn beide Parteien nicht mehr in der Lage sind, matt zu setzen. Eine Partie, ein Problem ist damit sofort beendet. Hierzu führt Andrew eine eigene, besuchenswerte Website.

Das liest sich zunächst trivial, führt aber zu bemerkenswerten Schlussfolgerungen, wie ich kurz am Beispiel der ersten Dead-Reckonig Aufgabe zeigen möchte.

Andrew Buchanan
The Problemist Juli 2001
Wer zog zuletzt? (1+1)

 

Kann Schwarz zuletzt gezogen haben? Schlagfrei sicher nicht nach a8, denn dann wäre die Partie ja schon beendet gewesen. Also hätte der König geschlagen: Allerdings sicher keinen Läufer oder Springer, da mit diesem Material beide Seiten nicht mehr hätten Matt setzen können. Also hätte der schwarze König, egal, ob er auf a7 oder b8 gestanden hatte, auf a8 eine Dame oder einen Turm geschlagen. Dieser Schlag wäre aber schon erzwungen gewesen — somit wäre die Partie bereits nach Ta8+ bzw. Da8+ zu Ende gewesen; der Schlag hätte gar nicht mehr ausgeführt werden dürfen.

Daraus folgt, dass Schwarz nicht zuletzt gezogen haben kann. Der weiße König hingegen kann beispielsweise von b5 gekommen sein und auf c6 einie Dame geschlagen haben: Dazu wäre er nicht gezwungen gewesen, da er auch einfach hätte ausweichen können. Also konnte Weiß noch z.B. Kb5xDc6 spielen — erst danach ist die Stellung zwangsweise remis. Also wissen wir, dass zuletzt Weiß gezogen hat.

Nun ist Werner Keym bei der Durchsicht aller Hilfsrückzüger in der PDB auf die folgende Aufgabe von Nikita Plaksin gestoßen, die genau diesen Gedanken schon verwendet und ihn bereits explizit auszuformuliert.

Nikita Plaksin
6557 feenschach 11/1993
Weiß nimmt einen Zug zurück, dann h=1 (2+2)

 

(Lösung zitiert aus der PDB P0005387.) R: 1. Ka3-a4?, dann 1. Lxa2=? R: 1. Ka3xBa4!, dann 1. Lxa2=! Mit folgender witziger Begründung des Autors: ”If on the board are only KL-KL (and LL on squares of the same colour), by the rules of chess an immediate draw occurs! Therefore, the retro move Ka3-a4 is illegal.’’

Das ist genau die Dead-Reckoning-Idee! Ich kann mit gut vorstellen, wie verblüfft Andrew Buchanan war, als Werner Keym ihm seinen Fund mitgeteilt hatte…

Zufälle

Manchmal gibt es schon verrückte Zufälle! Das letzte Retro der Woche hatte ich wegen Andernach schon eine Woche vorher geschrieben. Und am Mittwoch vor der Veröffentlichung flatterte mir das Mai-Heft von The Problemist ins Haus – mit gleich drei monochromen Retros!

Eines davon, das im Heft gründlich besprochen wurde, möchte ich kurz vorstellen:

Andrew Buchanan
The Problemist 2017, Yoav Ben-Zwi gewidmet
Letzter Zug? monochromes Schach (2+1)

 

Hier gilt implizit die „Dead Reckoning“ Regel, die auf Artikel 5.2b der FIDE-Schachregeln basiert: Kann ein Remis nicht mehr verhindert werden, endet die Partie automatisch und sofort; weitere Züge sind nicht mehr legal.

Mit dem vorhandenen Material kann Weiß nicht mattsetzen, die Stellung ist also remis. Also muss im letzten Zug entschlagen worden sein – und zwar so, dass die „andere Seite“ zumindest noch theoretische Gewinnmöglichkeiten hatte.

KxS, egal welcher Seite, scheidet aus, da die Stellung schon vorher remis war. KxL scheidet aus, da der Umwandlungszug unmöglich war: Kb7xLa8 geht nicht, da der letzte weiße Zug Bb7xXa8+ gewesen sein müsste – der scheidet aber aus, da b7 besetzt war. Dieses Argument zieht eigentlich auch für wKb2xLa1, aber diese Stellung wäre remis gewesen.

Ebenso scheidet beispielsweise Kb2xDa1 aus: Weiß hätte gar keine andere Zugmöglichkeit gehabt als die Dame zu schlagen und damit eine Remisstellung (nämlich die Diagrammstellung) herbeizuführen. Nach der Dead Reckoning Regel wäre die Stellung also schon VOR dem Schlag remis gewesen, der Schlag also gar nicht zulässig.

Bleibt also nur der Entschlag eines Turms übrig: K+T gegen K ist im monochromen Schach remis, da der König seinem Gegenüber kein Fluchtfeld nehmen kann. Also scheidet wKb2xTa1 als letzter Zug wegen Dead Reckonig aus, also hat Schwarz entschlagen: R Kb7xTa8.

[Th1] konnte niemals nach a8 gelangen, also wurde auf a8 ein Umwandlungsturm entschlagen. Eine extrem sparsame Darstellung des Ceriani-Frolkin-Themas – genauer gesagt gar des Prentos-Themas, da der Umwandlungsstein nicht von einem Bauern geschlagen wurde.

Wer hätte das bei nur drei Steinen auf dem Brett vermutet?