Retro der Woche 09/2024

Setzen wir unsere Reise durch die Preisträger des Schwalbe-Retroturniers 2003 fort mit dem zweiten Preis in der Rubrik der klassischen Retros. Und „klassischer“ als mit der Frage nach den n exakten letzten Zügen geht es in der Retroanalyse kaum.

Deshalb klassisch, weil überhaupt keine Nebenforderungen aufgestellt sind, sondern „nur“ die Behauptung im Raum steht, dass, egal wie man im Endeffekt zur Partieausgangsstellung zurück kommt, dies nur über einen einzigen Weg für die letzten n Züge erreichen kann. Und damit ist auch der prinzipielle Unterschied zur Beweispartie klar, denn dort heißt es: „Spiele in exakt n Zügen zur Partieausgangsstellung zurück.“ Da funktioniert die Eindeutigkeit ausschließlich wegen der Vorgabe der Zügezahl für die gesamte Auflösung. Spielt mal wie in einem klassischen Retro-Problem ohne Zeitbeschränkung von der Diagrammstellung zurück – das Rückspiel wird alles sein, nur nicht eindeutig.

Doch nun zurück zu unserem heutigen Retro:

Alexander Zolotarew
Die Schwalbe 2003, 2. Preis
Letzte 30 Einzelzüge? (12+13)

 

Der lange Käfig im Osten des Brettes kann nur geöffnet werden, indem Schwarz g5-g4 zurücknimmt, anschließend kann dann Kg4-h4 folgen, wonach Weiß dann e2xXf3+ zurücknehmen muss. Das geht aber erst, nachdem [Lf1] wieder zu Hause ist. Der allerdings muss erst einmal noch entschlagen werden.

Schauen wir uns also erst einmal die Schlagbilanz an: Die vier fehlenden weißen Steine ([Lf1], [Bc2] sowie die beiden Springer) wurden mit dxe6, gxf6, hxg und im letzten Zug Lf8xg7+ geschlagen. Bei Weiß sehen wir zunächst nur dxe3 und exf3 als Schlagzüge.überlegt hatten

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Retro der Woche 08/2024

In der letzten Woche hatten wir hier mit einem passenden Stück Karnevals bzw Faschingspause eingelegt, doch nun soll es weitergehen mit unserer Revue des RetroPreisberichts der Schwalbe für das Jahr 2003. So fehlt noch der erste Preis der Abteilung II, der Verteidigungsrückzüger. Richter Josef Kutscher leitete diese Abteilung ein:
„Eine Neuerung der letzten Jahre sind die Anticirce-Procas (bei Anticirce wird ein schlagender Stein nach dem Schlagzug auf sein Ursprungsfeld versetzt – dieses muss vorher frei sein; beim Typ Cheylan darf ein Stein nicht auf sein eigenes Ursprungsfeld schlagen). Die entsprechenden Probleme sind manchmal geradezu atemberaubend (meist jedoch auch von extremer Schwierigkeit). Da aber auch die orthodoxen Procas dieses Jahrgangs mit originellen Darstellungen überzeugen konnten, war die genaue Festlegung der Reihenfolge in dieser Abteilung nicht ganz einfach. Bei zwei der Anticirce-Aufgaben gab es für mich allerdings keinerlei Zweifel; sie zeigen die neuen Retro-Effekte mit hervorragenden Königsmanövern in perfekten Darstellungen.“

Schaue wir uns den ersten Preis vom neben Klaus Wenda (er belegte mit einem seiner Stücke den zweiten Platz) bedeutendsten Komponisten der ersten „AC-Proca-Jahre“ an:

Wolfgang Dittmann
Die Schwalbe 2003, 1. Preis
#1 vor 15 Zügen, VRZ Proca, Anticirce Typ Cheylan (6+8)

 

Überlegen wir zunächst einmal, wie das Matt ausschauen könnte? Wenn a5 geblockt oder gedeckt wäre, hätten wir schon beinahe ein Matt mit Tf3-f4#, denn Tf7xf4?? ist illegal, da das Wiedergeburtsfeld des Schlägers, nämlich h8, besetzt ist. Aber das scheitert noch an Dh8-d4, die Dame verstellt also einfach die Schachlinie. Dagegen müssen wir noch etwas erfinden, denn das Unzugänglich-machen von a5 für den schwarzen König geht recht einfach?!

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Retro der Woche 07/2024

So ein Zufall … Da gab Kjell Widlert vor exakt neun Tagen hier seinen Einstand als Autor, da taucht er heute im Retro der Woche schon wieder auf! Die Aufgabe könnte aber auch gut von einem Kölner, einem Mainzer, einem Düsseldorfer stammen, passt sie doch hervorragend zur fünften Jahreszeit, die an diesem Wochenende und den beiden folgenden Tagen ihrem Höhepunkt entgegengeht.

Nicht nur die Lösung, das werdet ihr sehen, sondern schon die Bedingung passt großartig zum Karneval: „Fuddled men“ (“Beschwipste Steine”, oder etwas freier übersetzt: „Betrunkene“) können, nachdem sie gezogen haben, nicht sofort wieder ziehen, sondern müssen mindestens einen Zug lang pausieren, deshalb haben sie auch direkt nach ihrem Zug keine Wirkung auf den gegnerischen König. Diese Bedingung war auch Thema beim 5. Retroblog-Thematurnier; hier findet ihr den Preisbericht — und gerade, weil die Bedingung so prima zu Karneval passt, hatte ich im Retro der Woche am letztjährigen Faschingssonntag den Preisträger dieses Turniers vorgestellt.

Kjell Widlert
Murfatlar-Turnier Batumi 2023, 3. Preis
Beweispartie in 13,5 Zügen, Fuddled men (14+16)

 

Eine lustige, zum Lösen reizende Stellung in der Südhälfte des Bretts hat Kjell dort gezaubert. Weiß hat offenbar vier Züge gemacht (theoretisch können es auch mehr sein), um seine Türme zu opfern – und ist dann zehn Züge lang zum Nichtstun verdammt? Nicht einmal schlagen kann er …

Und was hat Schwarz gemacht? Das lässt sich abzählen: 1+1+2+2+3+3=12 – ein Zug übrig?! Nein, dass Schwarz einen Extrazug benötigt, sehen wir recht leicht:

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Retro der Woche 06/2024

Bleiben wir noch beim Retro-Preisbericht 2003 der Schwalbe –- gehen wir wieder zurück zu den Beweispartien. Vor zwei Wochen konnten wir den ersten Preisträger bewundern; die zweitplatzierte Beweispartie hatte ich hier schon als RdW 45/2018 vorgestellt, kommen wir also zum drittplatzierten Stück.

Reto Aschwanden
Die Schwalbe 2003, 3. Preis
Beweispartie in 19 Zügen (13+14)

 

Kann uns hier das Züge-Zählen weiterbringen? Bei Weiß im ersten Schritt offenbar nicht, da sind wir auch sehr schnell fertig. Bei Schwarz vielleicht – also zählen wir: 1+2+5+3+4+4=19, und damit sind alle schwarzen Züge erklärt.

Das hilft uns fürs Lösen schon eine Menge weiter:

Zunächst einmal wissen wir, dass Schwarz lang rochiert hat: Anders kann der schwarze König nicht in einem Zug nach c8 gekommen sein.

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Retro der Woche 05/2024

Nach dem ersten Preis der Beweispartien im Schwalbe-Retro-Informalturnier 2003 will ich euch heute den ersten Preis der „klassische“ Abteilung vorstellen. Bei dem Namen über dem Diagramm könnt ihr schon exquisite Retrokunst erwarten – und die wird euch hier auch geboten!

Die Kommentare der Löser waren schon sehr positiv („Erstaunlich, wie das so genau festgelegt ist.“, „Solche langen, eindeutigen Rücknahmen gefallen mir immer sehr gut“), und dann ist die Begeisterung des Preisrichters Josef Kutscher nicht so verblüffend: „Hervorragende Choreographie der weißen Figuren und der schwarzen Bauern, deren Wege sich mehrmals kreuzen! Das Ganze läuft bei absoluter Eindeutigkeit mit uhrwerkartiger Präzision ab.“ Habe ich damit schon zu viel verraten?

Thierry Le Gleuher
Die Schwalbe 2003, 1. Preis
Letzte 32 Einzelzüge (13+15)

 

Sofort sieht man, dass der weiße König nur durch die schwarze Rochade ins Schach geraten sein kann, damit steht der erste Rücknahmezug bereits fest. Der hat aber den für die weiteren Rücknahmen erschwerenden Effekt, dass damit König und Turm Retro-unbeweglich werden, Schwarz damit erst einmal nur Bauern-Rücknahmen zur Verfügung hat – und so über kurz oder lang Retropatt droht.

Kann Weiß denn den Knoten im Südwesten nicht fix mittels c2-c3 auflösen – seht ihr, warum das noch nicht geht? Dafür schauen wir uns erst einmal die geschehenen Schlagfälle an.

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Retro der Woche 04/2024

Am letzten Sonntag habe ich hier den dritten Preis der „klassischen Retros“ im Schwalbe Informalturnier 2003 gezeigt. Gern möchte ich bei diesem Bericht noch bleiben: Heute steht der erste Preisträger der Beweispartien auf dem Programm. Um die Spannung ein wenig zu steigern: Diese Aufgabe ist mit 11 Punkten ins FIDE-Album gelangt – hier könnt ihr also eine Menge erwarten!

Gerd Wilts
Die Schwalbe 2003, Michel Caillaud gewidmet, 1. Preis
Beweispartie in 23,5 Zügen (13+16)

 

Schwarz hat noch alle Mann an Bord, während bei Weiß drei Steine fehlen: [Ba2], [Bg2] und[Lc1]. Das lässt viel Spielraum übrig. Erschreckend auch die Feststellung, dass nur drei weiße Züge sichtbar sind. Bei Schwarz schaut es schon optisch deutlich besser aus, bevor wir aber sinnvoll Züge zählen können, müssen wir ein paar Überlegungen anstellen.

So muss [Sg8] den [Th8] herausgelassen haben, sodass wir zumindest fünf Springerzüge erwarten müssen. Natürlich scheint Ba7-a5 am Zug-sparsamsten zu sein, das ist hier aber nicht der Fall:

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Retro der Woche 03/2024

Traditionelle „Auflöse-Aufgaben“ kann man natürlich mit zusätzlichen Forderungen würzen. Damit meine ich nicht unbedingt Märchenbedingungen, was immer geht, damit meine ich auch nicht Einschränkungen wie etwa “…, wenn im 4. weißen Zug der König zieht“, die eher an mittelalterliche Bedingungsaufgaben erinnern, sondern beispielsweise die Komplettierung der Stellung, bevor das Retrospiel losgeht.

Solch eine Aufgabe möchte ich euch heute zeigen.

Andrej Kornilow & Andrey Frolkin
Die Schwalbe 2003, 3. Preis
Ergänze einen weißen Stein auf der h-Linie! A) letzter Zug? B) letzter Zug des wK? (13+12)

 

Sofort fällt auf, dass der sK im Schach steht; das kann nur durch einen Batteriestein auf g6 erklärt werden. Das kann also nur ein wSh8 oder ein wLh7 sein, der bei seinem Abzug einen schwarzen Stein geschlagen haben muss, der damit Schwarz überhaupt (Rück)Zugmöglichkeiten in Form von Pendeln zur Verfügung stellen muss.

Das schwarze Schlagopfer kann nur ein Turm sein, denn „irgendwann“ muss der Nordosten aufgelöst werden mit wDh8, wKg8, Schutzstein f8 und dann Rücknahme von Te8-e7. Dieser Schutzstein muss aber erst noch aufs Brett gezaubert werden.

Um das zu überlegen, bemerken wir zunächst einmal, dass die nach der Einsetzung noch fehlenden weißen Steine [Ba2] und [Bb2] nicht direkt durch Schwarz auf dem Königsflügel geschlagen worden sein können – sie müssen sich also beide auf b8 umgewandelt haben.

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Retro der Woche 02/2024

In der ersten Hälfte der 1980er-Jahre begann die Blütezeit der eindeutigen Beweispartien, die heute einen qualitativ und quantitativ bedeutenden Teil der Retro-Aufgaben bilden. Eine hervorragende Dokumentation der Zeit bis etwa 1990 ist Wilts, Gerd und Frolkin, Andrej: Shortest Proof Games. The Rubic’s Cube of a Chess Player. A collection of more than 160 Shortest Proof Games. Karlsruhe: Selbstverlag 1991 — immer noch sehr zu empfehlen!

Dort findet sich als Nr. 49 auch unsere heutige Aufgabe zweier bedeutender Beweispartie-Pioniere, wobei Andrej ja auch 40 Jahre später noch aktiv.

Dmitri Pronkin & Andrej Frolkin
Themes-64 1984, 3. ehrende Erwähnung
Beweispartie in 17,5 Zügen (14+15)

 

Schauen wir zunächst nach den fehlenden Steinen: Bei Weiß fehlt [Be2] sowie ein Turm, der c6 geschlagen wurde, bei Schwarz ist [Lc8] verschwunden.

Und dann machen wir uns Gedanken um die Zugreihenfolge, zumindest in Teilen. Besonders interessant hierfür ist der Südwesten mit wTa2 und sSa1. Beide weißen Türme können in drei Zügen nach c6 gelangen (Ta1-a3-c3-c6 bzw. Th1-e1-e6-c6) – das scheint für Th1 zu sprechen, da dann der ungeschlagene Turm nur einen Zug benötigt. Der Springer muss bereits auf a1 stehen, bevor Bb3 gespielt werden kann, was gleichzeitig [Lc1] befreit. Somit kann nicht Th1-a1-a2 erfolgt sein, sondern [Th1] benötigt drei Züge nach a2 (Th1-b1-b2-a2), also zwei mehr.

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