Retro der Woche 45/2018

Der Russe Rustam Ubaidullajew baut gelegentlich kleine, humorvolle Beweispartien, wie ich eine in der letzten Woche vorgestellt hatte. Besonders bekannt ist er allerdings für komplexere, meist strategisch und inhaltlich sehr reizvolle Stücke, die nicht unbedingt im Mainstream mitschwimmen.

Solch eine Aufgabe von ihm möchte ich euch heute zeigen.

Rustam Ubaidullajew
Die Schwalbe 2003, 2. Preis
Beweispartie in 17,5 Zügen (16+15)

 

Das übliche Zählen der sichtbaren Züge ist bei Schwarz schnell erledigt, bei Weiß müssen wir schon ein wenig genauer hinschauen. Dort kommen wir auf 3+2+3+4+2+4=18 – damit sind alle weißen Züge erklärt. Die (nur) drei Turmzüge mögen beim ersten Blick aufs Diagramm erstaunen, aber die erreichen wir, wenn wir Th1-h4-a4 und Ta1-h1 spielen: Dies ist wegen der weißen Bauernstruktur die schnellste Möglichkeit – und die brauchen wir auch, denn so sind bereits alle weißen Züge erschöpft.

Da bei Schwarz die Dame fehlt, muss sie sich auf g3 geopfert haben. Und nun stellt sich natürlich die Frage, was Schwarz die anderen 13 Züge lang gemacht hat? Das ist gar nicht so leicht zu sagen, denn die Springer können kein Tempo verlieren (wir haben eine ungerade Zahl schwarzer Züge!), ebenso wenig können es wegen der eingemauerten Läufer die Türme.

Wir haben also nur zwei Möglichkeiten: Entweder die schwarze Dame hat eine ungerade Anzahl von Zügen auf ihrem Weg nach g3 „vertrödelt“ oder der schwarze König musste irgendwie ein Tempo verlieren Das könnte er natürlich nur, wenn er sein Schloss auf der achten Reihe großräumig verlässt, um irgendwo draußen ein Tempo zu verlieren, um mit ungerader Zügezahl wieder nach Hause zu kommen.

Viel einfacher wäre natürlich, wenn die Dame einen Zug verschenken könnte, aber kann sie das? Der zentrale Zug des Weißen ist Be4, damit Weiß seine Steine entwickeln kann. Vorher aber muss Ta4 sein Zielfeld erreicht haben: Wir wissen ja, dass er von h4 kam, also würde Be4 diese Linie verschließen. Und bevor der Turm starten kann, muss natürlich hxg3 erfolgen. Vorher kann Weiß nur unschädlich bezüglich der vierten Reihe 1.b3 2.La3 3.Lc5 spielen, dann muss schon hxg3 erfolgen. Also stehen auch schon die ersten drei schwarzen Züge fest: 1.– c6 2.– Dc7 3.– Dg3, damit nun 4.hxg3 gespielt werden kann: [Dd8] hat also keine Möglichkeit, das fehlende Tempo zu verlieren.

Also muss der [Ke8] in den sauren Apfel beißen und sich nach draußen begeben. Das geht nicht über c7 und dann b6 oder d6, da ja, wie wir gesehen haben, Weiß bereits Lc5 gespielt hat.; also muss er über f7 gehen: nach draußen und anschließend auch wieder zurück.

In dem Tohuwabohu der weißen Steine kann man schon erwarten, dass der König die Unterstützung zumindest eines der Springer benötigt, der ihm Schachschutz geben kann. Das hat der Autor, wie ich finde, sehr schön gelöst: Er lässt zunächst [Sg8] wie erwartet via f6 nach draußen, damit er vorwegig ein Schild bilden kann, erst dann wird die Tür für den König in Form von Bf6 geöffnet. Das hat den hübschen Nebeneffekt, dass der Springer nicht einfach auf seinem ursprünglichen Weg heimkehren kann, sondern einen echten Rundlauf durchführen muss.

Mit diesem letzten Hinweis solltet ihr vielleicht versuchen, selbst den Weg des Königs und des Springers zu eruieren – die weißen Züge und deren Reihenfolge sind ja offensichtlich deutlich leichter zu finden, da es viele Abhängigkeiten zwischen den Zügen gibt.

1.b3 c6 2.La3 Dc7 3.Lc5 Dg3 4.hxg3 Sf6 5.Th4 Sd5 6.Ta4 f6 7.e4 Kf7 8.Lc4 Kg6 9.Kf1 Kg5 10.Dg4+ Kh6 11.Dh4+ Kg6 12.Se2 Kf7 13.Kg1 Ke8 14.Kh2 Se3 15.Le6 Sf5 16.c4 Sh6 17.Sbc3 Sg8 18.Th1.

Zwei schöne schlagfreie Rundläufe allein durch die Notwendigkeit motiviert, ein Tempo zu verlie-ren: Kurz und einprägsam!

Und hier lohnt es sich, aus dem Preisbericht von Josef Kutscher (Die Schwalbe II/2005, S. 13ff) zu zitieren: „Ein herrliches Tempoverlustmanöver in Form eines sehr amüsanten ‚Schulausflugs‘ mit zwei Figurenrundläufen! Der S = Schullehrer sperrt die Straße c4-g8 ab, um der K = Klasse das Überqueren zu ermöglichen. Nach dem kleinen Ringelreigen g6-g5-h6-g6 auf dem Spielplatz kehren alle wohlbehalten zurück. Das Ganze wirkt wie mit leichter Hand hingezaubert.“

One thought on “Retro der Woche 45/2018

  1. Enjoyable tempo proofgame with two roundtrips.
    The last single move is unnecessary for the themes, but without it (and with stipulation PG17.0) there would be cooks in 16.5 moves. This could be handled by stipulating PG in exactly 17.0, but the author’s choice is more elegant.

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