Retro der Woche 42/2021

Gestern erst habe ich auf die Oktober-2021-Ausgabe der Schwalbe hingewiesen, habe ich erst darauf hingewiesen, dass ich noch darauf zurückkommen werde — und heute ist es schon so weit: Ich möchte euch den ersten Preis der Beweispartie-Abteilung des Jahrgangs 2019 vorstellen.

Michel Caillaud
Die Schwalbe 2019, 1. Preis Gruppe A
Beweispartie in 23,5 Zügen (16+16)

 

Hier müssen wir erst gar nicht nach verräterischen Doppelbauern schauen: Es sind noch „alle Mann an Bord“! Also versuchen wir unser Glück mit den Zählen der sichtbaren erforderlichen Züge: Bei Weiß sind das 7+0+0+2+1+2=12 — das ist erst einmal erschreckend, wenn die Hälfte der Züge noch offen ist.

Bei Schwarz kommen wir auf 1+2+8+3+4+5=23 — alle schwarzen Züge sind erklärt. Um mit acht Zügen der schwarzen Türme auszukommen, brauchen wir die Zugwege Th8-h6-c6-c3(4) sowie Ta8-e8-e6-f6-f4(3)-c4(3), also 3+5.

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Retro der Woche 35/2021

Nach dem 1. Preis der Beweispartien im Schwalbe-Retroturnier 2018 möchte ich nun der Sieger der zweiten Kategorie „Klassische Retros und Rückzüger“ vorstellen: ein imposantes Werk von Michel Caillaud, einer der tiefsten Verteidigungsrückzüger, den ich kenne.

Michel Caillaud
Die Schwalbe 2018, Wolfgang Dittmann zum Gedenken, 1. Preis Abteilung B
#1 vor 71 Zügen, VRZ Proca ohne VV(9+10)

 

„ohne Vorwärtsverteidigung“ bedeutet, dass Schwarz nicht das Recht hat, nach einer Zugrücknahme das Vorwärtsziel zu erfüllen. So war es von Zeno Proca auch gedacht, jedoch hat sich in den letzten gut vierzig Jahren eher als Standard „mit Vorwärtsverteidigung“ durchgesetzt.

Zunächst erkennen wir, dass die schwarzen Bauern auf der a- und der b-Linie alle fehlenden weißen Figuren geschlagen haben. Damit kommt sBf3 schlagfrei von f7; die weißen Bauern haben also zumindest vier der fehlenden sechs schwarzen Steine geschlagen.

Nach R 1.Ld6-b8 wäre Weiß schon am Ziel, wenn nach vor: 1.axb4+ Schwarz nicht noch das Fluchtfeld a6 hätte. Das kann wLg8 nehmen, dafür hat Weiß nun 70 Züge Zeit — und muss natürlich aufpassen, dass der schwarze König in seinem Nest bleiben muss. Das erfordert eine Menge an Zickzack-Manövern von König und Läufer.

Ich gebe nun „einfach“ die Lösung mit den Anmerkungen von Michel wieder: Natürlich lade ich jeden ein, selbst Löseversuche zu unternehmen, aber mit den Anmerkungen zusammen sollte sich die Strategie des Weißen auch im Nachspielen erschließen. Dafür vielleicht die Empfehlung, die Lösung erst einmal komplett durchzuspielen und das dann zu wiederholen, wobei ihr nun besonders auf die Erklärungen des Autors achten solltet.

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Retro der Woche 31/2021

Bleiben wir mit dem heutigen „Retro der Woche“ noch ein wenig in den Niederlanden! Da möchte ich euch eine ziemlich aktuelle Beweispartie (erschienen im letzten Probleemblad Heft 2020, die Version, die keine Korrektur, sondern eine „Verschönerung“ der Diagrammstellung beinhaltet, in Proobleemblad 2/2021) vorstellen, die sicher zum Lösen anregt.

Peter van den Heuvel
Probleemblad 2020 (Version)
Beweispartie in 20,5 Zügen (15+14)

 

Zunächst einmal stellen wir fest, dass bei Weiß nur ein Turm fehlt, der auf der a-Linie geschlagen wurde. Bei Schwarz fehlen ein Turm und [Lc8], die sich beide auf der g-Linie opfern mussten: wegen der Felderfarbe der Läufer auf g4, der Turm also auf g3. Und egal, welcher der beiden schwarzen Türme sich nun auf g3 opferte: Er musste zur Minimierung seiner Züge über g6 kommen.

Und damit wissen wir, dass die schwarzen Türme mindestens fünf Züge gemacht haben – und dass zuerst der Turm und anschließend der Läufer geopfert wurden.

Das merken wir uns für später; zunächst wollen wir einmal die sichtbaren Züge zählen.

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Retro der Woche 27/2021

Da wird in StrateGems das Retroturnier traditionell aufgeteilt in „Beweispartien“ und (sonstige) „Retros“, und dann erwischt Dmitrij Baibikov für seine Berichte für das Jahr 2018 einen Zwitter… Diese ganz seltene Kombination ist schon interessant, denn normalerweise geht die Eindeutigkeit der Züge einer Beweispartie ziemlich komplett verloren, wenn man den „Zeitdruck“ aus der Stellung nimmt, die Auflösung ohne Zugbeschränkung durchführt.

Yoav Ben-Zvi & Michel Caillaud
StrateGems 2018, 1.-2. Preis Beweispartien
a) Welcher Offizier muss c4 besetzt haben? b) Beweispartie in 35,5 Zügen (10+15)

 

Neben dem weißen Wanderkönig fällt sicherlich schnell der schwarze Bauer auf c2 auf: Als “Volet-Bauer” kommt er von h7, hat also fünfmal geschlagen; zusammen mit exLd6 (alle anderen fehlenden weißen Steine wurden ja auf weißen Feldern geschlagen) sind damit alle fehlenden weißen Steine — in diesem Fall Offiziere — erklärt. Dieser Schlag war auch der letzte, denn vorher musste [Bh7] bereits auf c2 stehen, bevor Weiß d3 und dann L>d6 spielen konnte.

Was konnte denn der letzte Schlag d3xXc2 des [sBh7] gewesen sein?

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Retro der Woche 23/2021

Vor vier Wochen habe ich hier eine aktuelle Aufgabe von Tom Volet vorgestellt – und dabei fiel mir auf, dass ich sein vielleicht bekanntestes Problem, einer meiner Lieblings-Retros überhaupt, hier noch gar nicht vorgestellt hatte. Das will ich heute nachholen!

Tom Volet
Die Schwalbe 1980, J. G. Mauldon gewidmet, 1. Preis
Auf welchen Feldern erfolgten Schlagfälle? In welcher Reihenfolge? (8+16)

 

Bei Schwarz sind alle Mann an Bord, bei Weiß fehlen acht Bauern. Dabei müssen wir mit irgendwelchen Schlussfolgerungen zunächst vorsichtig sein: Wir können nämlich nicht von Vornherein ausschließen, dass ein weißer Bauer umgewandelt hat: Das wäre zum Beispiel möglich mit c7xBd6, Bc2-c8=T, Tc6, d7xc6.

Wie kann sich nun Weiß aus seiner „babylonischen Gefangenschaft“ im Nordosten befreien?

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Retro der Woche 19/2021

Kürzlich habe ich das Preisrichteramt für den Retro-Jahrgang 2020 von Phénix übernommen: etwa gleich viele Beweispartien (29) und sonstige Retros (28) stehen dort zur Beurteilung an. Ich habe mit der Reihung noch nicht begonnen, möchte euch aber aus dem Turnier ein klassisches Retro zeigen, das recht typisch für den Stil des Autors ist. Über eine mögliche Platzierung im Bericht kann ich natürlich noch nichts sagen — und selbst wenn ich es könnte, täte ich das selbstverständlich nicht…

Tom Volet
Phénix 2020
Löse die Stellung auf (14+12)

 

Die beiden fehlenden weißen Steine wurden auf e6 bzw. f6 geschlagen — wegen der Felderfarbe des Läufers geschah gxLf6 und dxSe6. Auch über die weißen Schlagfälle können wir schon eine Menge sagen: exf3, hxg sowie cxbxBa7. Der fehlende [Bc7] konnte mangels Schlagobjekten selbst nicht schlagen, musste also, um verschwinden zu können, schlagfrei auf c1 umwandeln.

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Retro der Woche 53/2020

Im letzten Retro der Woche 52/2020 hatte ich eine hoch platzierte Aufgabe aus der Abteilung „Beweispartien“ des Schwalbe 2015 Retro-Preisberichts vorgestellt, heute nun ein solches Stück aus der Abteilung „Klassische Retros“.

Die drei Preise zeigen höchst unterschiedliche, aber allesamt sehr komplexe Verteidigungsrückzüger; ich möchte euch die darauf folgende Auszeichnung vorstellen, die schon mit ihrer höchst originellen Aufgabenstellung hoffentlich zum Lösen reizt.

Jens Guballa
Die Schwalbe 2015, 1. ehrende Erwähnung
Ergänze den wK und nimm den letzten weißen Zug so zurück, dass Schwarz nie mehr rochieren darf. (13+11)

 

wLh2 ist offensichtlich ein Umwandlungsstein, der aus [Ba2], dem einzig fehlenden weißen Bauern, entstanden sein muss. Einer der zwei schwarzen Schläge war bxc, der andere ist nicht durch Bauernschlag geschehen. (Achtung, nicht von der Steinkontrolle verwirren lassen: Weiß muss ja noch den König einfügen, hat also „eigentlich“ 14 Steine auf dem Brett. Sich jetzt hier auf die Angabe „13“ zu verlassen ist ebenso fahrlässig, wie beim „Partyschach“ die Klötze neben dem Brett zu zählen, nicht die auf dem Brett…)

Daher könnte man auf den Gedanken kommen, den [Th8] auszusperren, etwa indem Weiß die Rücknahme von g6-g7 erzwingt: Ein Kreuzschlag der [Bg7] und [Bh7] ist ja nicht möglich; es hätte der schwarze König Platz für den Turm machen müssen, und damit wäre das Rochaderecht verwirkt. (Das “Platz machen” hätte er ja auch durch die Rochade tun können, aber auch damit wäre je eine zukünftige Rochade ausgeschlossen…) Doch scheitert etwa +wKe5, dann zurück Kf4xTe5? an illegalem Doppelselbstschach.

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Retro der Woche 28/2020

In der gerade erschienenen Ausgabe Juli-September 2020 von StrateGems ist bereits der Retro- und der Beweispartien-Preisbericht für das Jahr 2019 veröffentlicht. Wenn das so schnell geht, kann man beinahe sicher den Richter raten: Hans Gruber. Er wird in diesem Heft speziell als Preisrichter vorgestellt –mit mehr als 300 Berichten in mehr als 30 Ländern!

Von den 15 Aufgaben in der Nicht-Beweispartien-Abteilung waren 13 Anticirce-Verteidigungsrückzüger; alle vier Auszeichnungen gingen an diese Gruppe. Ich möchte euch den Preis (noch eine ehrende Erwähnung für Weeth / Wenda sowie zwei Lobe für Aufgaben von Andreas Thoma) vorstellen:

Günther Weeth & Klaus Wenda
StrateGems 2019, Preis
s#1 vor 10 Zügen, Verteidigungsrückzüger Typ Klan, Anticirce Calvet (6+10)

 

Weiß will also ein einzügiges Selbstmatt vor zehn Zügen erzwingen; Schwarz versucht sich zu verteidigen, indem er legale Züge zurückspielt, die diese Vorwärtsforderung möglichst verhindern. Beim Typ Klan (KLaus Wenda & ANdreas Thoma) bestimmt Weiß jeweils ob und was legal entschlagen wird, bei den älteren Typen Proca und Høeg bestimmt die die Partei am Zug bzw. die Gegenpartei.

Soweit der „ganz normale“ Verteidigungsrückzüger, hier kommt nun Anticirce hinzu: Dabei wird nicht wie beim „normalen“ Circe das Schlagopfer wiedergeboren, sondern der „Schläger erscheint auf seinem circensischen Feld der Partieanfangsstellung (PAS) wieder; ist dieses besetzt, ist der Schlag illegal und damit nicht möglich.

Hier gilt es, zwei mögliche Interpretationen der letzten Regel zu berücksichtigen: Man könnte sagen, dass das Schlagen auf das eigene PAS-Feld verboten sei, da das Feld ja (vor dem Schlag) besetzt sei. Genauso gut kann man argumentieren, dass der Schlag aufs eigene PAS-Feld zulässig sei, da das Feld ja nach Schlag und vor der circensischen Wiedererstehung ja frei sei. Die erste Alternative trägt den Namen „Cheylan“, die zweite den Namen „Calvet“.

Hier bestimmt also Weiß jeweils bei möglichen Schlägen, ob und was entschlagen wurde, und der Schlag aufs PAS-Feld des Schlägers ist zulässig.

Bei Anticirce-Verteidigungsrückzügern sind einerseits die Entschlagmöglichkeiten drastisch reduziert, weil ja nur Steine auf ihrem PAS-Feld entschlagen können -– das aber drastisch die Möglichkeiten erweiternd quasi überall auf dem Brett!

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