Retro der Woche 22/2019

Aufgaben, in denen der mögliche Inhalt im Diagramm gut verborgen bleibt, finde ich besonders attraktiv. Heute möchte ich euch solch eine Aufgabe vorstellen, die vor einem Jahr als slowakisch-französisches Teamwork im Problemist erschienen ist.

Marek Kolčák & Michel Caillaud
The Problemist. 2018
Beweispartie in 17,5 Zügen (14+15)

 

Das Diagramm verrät wirklich nicht allzu viel vom möglichen Lösungsverlauf: Der einzig fehlende schwarze Stein wurde vom [Bg2] geschlagen. Bei Weiß fehlen [Ta1] und [Bf2]. Und für das Verschwinden des [Ta1] kann man sicher noch einmal drei Züge zu en sichtbaren drei weißen Bauernzügen hinzurechnen – aber das hilft auch noch nicht viel, da wir damit nur genau ein Drittel der weißen Züge erklärt haben.

Bei Schwarz sieht man schon ein wenig mehr: Zunächst einmal 1+0+3+3+2+2=11 schwarze Züge, sodass hier „nur“ sechs Züge frei sind.

Aber schauen wir uns einmal an, wie der fehlende schwarze Stein verschwinden konnte.

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Retro der Woche 21/2019

Heute in zwei Wochen geht bereits das Andernach-Treffen zu Ende, und in drei Wochen findet ähnlich traditionell das Treffen der französischen Problemfreunde (R.I.F.A.C.E.) statt.

Hierzu gehören stets — wie ja auch in Andernach – Kompositionsturniere, bei denen jedoch — anders als in Andernach — auch Komponisten startberechtigt sind, die nicht am Treffen teilnehmen.

Im letzten Jahr waren Beweispartien oder andere Retros gefordert, in denen die Bauern durch Berolinabauern (üblicherweise durch ‚BB‘ abgekürzt) ersetzt sind. Im Märchenschachlexikon der Schwalbe sind Berolinabauern so definiert: „Ein Bauer, der schräg zieht und geradeaus schlägt – natürlich einschrittig vorwärts. Der (schlagfreie) Doppelschritt von der eigenen (2. bzw. 7.) Bauernreihe bleibt möglich, jetzt freilich diagonal. Umzuwandeln ist wie beim normalen Bauern. Ein en passant-Schlag ist möglich (Beispiel: wBBe2, sBBf4; nach 1.BBe2-g4 kann Schwarz 1.- BBf4xf3 e.p. schlagen).“ Sie werden meist, wie auch hier, durch kopfstehende Bauern dargestellt.

Übrigens wurden die Berolinabauern in Funkschach 1926 eingeführt; in diesem Jahr erschien dort auch eine BB-Studie von Emanuel Lasker!

Marco Bonavoglia
R.I.F.A.C.E. 2018, 1. Preis
Beweispartie in 11,5 Zügen, 2 Lösungen. Berolinabauern (15+16)

 

Wir sehen sofort: Nur BBa2 fehlt bei Weiß, und Weiß hat genau 12 Züge Zeit, den loszuwerden. Bei Schwarz sehen wir allerdings direkt 10 Züge: 3+0+2+0+2+3; also ist ein Zug übrig.

Stimmt das wirklich? sTb6 käme, wenn er in zwei Zügen sein Ziel erreichen sollte, direkt über h6. Das aber geht nicht, da zunächst hg6 (wir lassen bei Zug-Angaben meist, wie beim orthodoxen Bauern, die Abkürzung ‚BB‘ weg) erfolgen musste — dieser Zug versperrt aber die sechste Reihe. Also brauchte sTb6 drei Züge, und damit sind alle schwarzen Züge erschöpft.

Nun wollen wir einmal schauen, wo denn BBa2 geschlagen werden konnte?

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Retro der Woche 20/2019

In den letzten Wochen hatte ich hier bereits den ersten, zweiten und vierten Preis des Retro-Informalturniers 2016 der Schwalbe vorgestellt — da seid ihr sicher nicht allzu überrascht, dass heute der dritte Preis an der Reihe ist?

Roberto Osorio & Jorge J. Lois
Die Schwalbe 2016, 3. Preis
Beweispartie in 26,5 Zügen (12+12)

 

Dies ist mal wieder eine Beweispartie, bei der man mit dem reinen Zählen der weißen Züge nicht allzu weit kommt: Wir sehen bei Weiß einfach nur neun Bauernzüge, sonst nichts. Und auch das Zählen bei Schwarz (0+1+2+4+5+3=15) lässt noch elf schwarze Züge offen. Da ist die Untersuchung der Bauernstruktur zumindest etwas ergiebiger.

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Retro der Woche 19/2019

Nachdem ich hier vor vier Wochen den 2. Preis des Retro-Jahresturniers 2016 der Schwalbe (eine klassische Auflöse-Aufgabe) und in der letzten Woche den 1. Preis (eine Beweispartie) vorgestellt hatte, komme ich nun zum 4. Preis dieses Turniers, einem bemerkenswerten Verteidigungsrückzüger.

Günther Weeth & Werner Keym
Die Schwalbe 2016, Bernd Schwarzkopf zum 70. Geburtstag, 4. Preis
#1 vor 10 Zügen, VRZ Proca (14+8)

 

Hier möchte ich einmal mit Löserkommentaren beginnen, auch wenn ich damit schon einen Teil der Lösung verrate:

Klaus Wenda schrieb dazu: „Die Stellungsauflösung zeigt retroanalytischen Tiefgang und die Entschläge durch den wT sind geistreich begründet und erfordern genaue Analyse. Orthodoxe VRZ dieses Kalibers werden auch in Zukunft eine interessante Bereicherung des Retro-Schachs bilden, ohne dass man auf Märchenbedingungen zurückgreifen müsste.“

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Retro der Woche 18/2019

Vor drei Wochen hatte ich hier den 2. Preis des Retro-Jahresturniers 2016 der Schwalbe vorgestellt, nun ist der erste Preis aus diesem Turnier an der Reihe.

Silvio Baier
Die Schwalbe 2016, 1. Preis
Beweispartie in 28 Zügen (16+11)

 

Bei Weiß sind noch alle Mann an Bord, und Weiß hat auch nicht umgewandelt. Bei Schwarz sehen wir eine Home Base Position, wo also alle noch (oder wieder) vorhandenen Steine auf den jeweiligen Feldern der Partieanfangsstellung stehen.

Und bei Schwarz fehlen fünf Steine: vier Bauern und [Lc8], der offensichtlich zu Hause geschlagen werden musste.

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Retro der Woche 17/2019

In der letzten Woche hatte ich hier den 1. Preis der „Beweispartie“-Abteilung des Brand & Gräfrath-120-Geburtstagsturniers, (klassische Retros bzw. Beweispartien ohne Bauernumwandlungen) vorgestellt, nun ist der erste Preis der allgemeinen Abteilung an der Reihe: Ebenfalls, wie Bernd Gräfrath und ich beide meinen, ein „starkes Stück“.

Michel Caillaud
TBBG-120 Turnier 2019, 1. Preis, Abt. A
#1 vor 15 Zügen, VRZ Proca (12+9)

 

Wir erinnern uns: Beim Verteidigungsrückzüger nehmen beide Seiten (natürlich nur legale) Züge zurück; dabei versucht Weiß gegen schwarze Gegenwehr eine Stellung von n Zügen (hier also vor 15) zu erreichen, in der er die „Vorwärtsforderung“ (hier also Matt in einem Zug) erfüllen kann.

Schauen wir uns zunächst einmal die sichtbaren Schläge an: Wir sehen, dass Schwarz alle vier fehlenden Steine (jeweils zwei Läufer und Springer) mit Bauern geschlagen hat: Zweimal fxg, dazu exf und dxe; Schwarz kann also im Moment nicht irgendeinen fehlenden weißen Stein entschlagen. Hingegen ist nur weißer Schlag ist sichtbar: bxc.

Wenn Weiß den schwarzen König nach h2 zwingen könnte, wäre er am Ziel: dann ginge R Tf1-f2 & v: Dxg3#.

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Retro der Woche 16/2019

In dieser Woche ist das Aprilheft der Schwalbe erschienen, und darin auch der Preisbericht des Brand & Gräfrath-120-Geburtstagsturniers, in dem klassische Retros bzw. Beweispartien ohne Bauernumwandlungen gefordert waren (226. Thematurnier der Schwalbe, Ausschreibung in Heft 288, Dezember 2017, Seite 317).

Bernd Gräfrath und ich haben an einem arbeitsamen, aber auch sehr schönen Wochenende gemeinsam den Bericht erstellt, aus dem ich heute den 1. Preis der Beweispartien vorstellen möchte.

Nicolas Dupont & Michel Caillaud
TBBG-120 Turnier 2019, 1. Preis, Abt. B
Beweispartie in genau 29,5 Zügen (15+16)

 

Offensichtlich hilft das übliche Zählen im Diagramm sichtbarer Züge bei Weiß nicht viel weiter, wohl aber bei Schwarz: Da kommen wir auf 3+3+6+6+4+7=29 Züge –- alle schwarzen Züge sind also bereits erklärt. Damit [Ke8] in drei Zügen nach a7 gelangen kann, muss er lang rochiert haben.

Diese Erkenntnis ist der Schlüssel zur Lösung der Aufgabe: [Lf1] muss zum Zeitpunkt der Rochade bereits auf a6 gestanden haben, denn vorher mussten bereits b5 (damit [Lc8] herausgespielt werden konnte) und Sc6 gezogen worden sein. Und nach beiden Zügen konnte der Läufer nicht mehr nach a6 gespielt werden können.

Welcher Stein hat denn dann Schachschutz auf b7 gegeben, damit Schwarz rochieren konnte?

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Retro der Woche 15/2019

„Es ist überraschend für die Alten und tröstlich für die Jungen, dass einer klassischen Retro-Idee noch etwas Neues abgewonnen werden kann, zumal wenn Luigi Cerianis und Michel Caillauds Darstellungen mit ersten Preisen belohnt wurden.“ So begann im Schwalbe Aprilheft 2016 der Artikel Faszinierende Läufer-Korridore in Retroproblemen von Werner Keym. Er fuhr fort: „Um welche Idee geht es? Bei der Auflösung einer Stellung stehen sich in einem Korridor zwei Läufer im Wege, daher muss einer der Läufer ein Ausweichfeld — in der Regel das Standfeld eines Königs oder Turms — betreten, so dass im Vorwärtsspiel nicht mehr rochiert werden darf.“

Der Artikel enthält einen Urdruck, der dann im Jahresturnier 2016 mit dem 2. Preis ausgezeichnet wurde.

Joaquim Crusats, Werner Keym gewidmet
Die Schwalbe 2016, 2. Preis
Matt in einem Zug (13+10)

 

Formal sind solche Aufgaben ja sehr einfach zu lösen: „Es gibt die Matts 1.Ke2# und 1.0-0-0#, da von einer eindeutigen Lösung auszugehen ist, geht aus irgendeinem Grund die Rochade nicht, also ist die Lösung 1.Ke2#.“ Stimmt. Also sind wir damit schon fertig? Natürlich nicht, denn uns interessiert ja der „irgendeine Grund“. Versuchen wir, dem auf die Spur zu kommen.

Schauen wir uns dazu erst einmal die Schlagfälle an: Bei Schwarz fehlen bis auf einen Springer alle Offiziere, und deren Verschwinden ist vollständig durch Bauernschläge erklärt: Wir sehen b2xc3, axb, und wBc7 ist [Bg2], er benötigte also vier Schlagfälle.

Bei Weiß fehlen ein Springer sowie [Dd1] und [Lc1], und auch deren Fehlen ist komplett durch schwarze Bauernschläge (axb, dxc und e7xc6) erklärt.

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