Retro der Woche 17/2019

In der letzten Woche hatte ich hier den 1. Preis der „Beweispartie“-Abteilung des Brand & Gräfrath-120-Geburtstagsturniers, (klassische Retros bzw. Beweispartien ohne Bauernumwandlungen) vorgestellt, nun ist der erste Preis der allgemeinen Abteilung an der Reihe: Ebenfalls, wie Bernd Gräfrath und ich beide meinen, ein „starkes Stück“.

Michel Caillaud
TBBG-120 Turnier 2019, 1. Preis, Abt. A
#1 vor 15 Zügen, VRZ Proca (12+9)

 

Wir erinnern uns: Beim Verteidigungsrückzüger nehmen beide Seiten (natürlich nur legale) Züge zurück; dabei versucht Weiß gegen schwarze Gegenwehr eine Stellung von n Zügen (hier also vor 15) zu erreichen, in der er die „Vorwärtsforderung“ (hier also Matt in einem Zug) erfüllen kann.

Schauen wir uns zunächst einmal die sichtbaren Schläge an: Wir sehen, dass Schwarz alle vier fehlenden Steine (jeweils zwei Läufer und Springer) mit Bauern geschlagen hat: Zweimal fxg, dazu exf und dxe; Schwarz kann also im Moment nicht irgendeinen fehlenden weißen Stein entschlagen. Hingegen ist nur weißer Schlag ist sichtbar: bxc.

Wenn Weiß den schwarzen König nach h2 zwingen könnte, wäre er am Ziel: dann ginge R Tf1-f2 & v: Dxg3#.

Üblicherweise versucht Weiß, solch einen Zug durch ein Pendelmanöver zu erzwingen: Schwarz hat zwei Rücknahmezüge zur Verfügung, einen für ihn guten (hier Kh1-g1) und einen schlechten (hier, wie wir schon gesehen haben Kh2-g1) Wenn Weiß nun ein Pendel startet, in dem Schwarz nur diese Züge zurücknehmen kann, so wird er natürlich „seinen guten Zug“ zurücknehmen – bis er das nicht mehr darf, da dann zum dritten Male eine identische Stellung entstünde. Im Problemschach führt eine solche Zugwiederholung automatisch zum remis, beendet also die virtuelle Partie. Damit darf eine solche Zugwiederholung nicht geschehen, denn danach ginge es ja nicht weiter!

Prima, Weiß könnte also 1.Kd4-c5?! zurücknehmen? Das schaltet Rücknahme eines Springerzuges bei Schwarz aus, der hat also nur seine beiden Königszüge, und das führt nun dazu, dass er schlussendlich Kh2-g1 (oder auch Kh2-h1) zurücknehmen muss.

Sofort geht das aber nicht, denn Schwarz würde argumentieren, dass mit R Kd4-c5 bereits das Remis erreicht würde! Weiß muss also erst einmal so zurücknehmen, dass klar ist, dass eine Stellungswiederholung noch nicht stattgefunden haben kann.

Fehlte z.B. im Diagramm sBc7, ließe sich solch eine Situation leicht herbeiführen: R 1.Kd4-c5 Kh1-g1 2.b5:Bc6e.p. Hier muss Weiß aber mit einem recht komplexen Vorplan deutlich weiträumiger ausholen, um „im Prinzip“ die Diagrammstellung wieder zu erreichen, wo dann die Pendelei beginnen kann:

Vorplan
R 1.Dd8-h4! Kh1-g1 2.Db8-d8! Kg1-h1 3.Db7xLb8! (3.Db6xLb8? La7-b8!) 3.– Kh1-g1 4.Da6xBb7! Kg1-h1 5.Da8xBa6! Kh1-g1 6.Da7xTa8! Kg1-h1 7.Db6xDa7! Kh1-g1 8.Db2xSb6! Kg1-h1 9.Df6-b2 Kh1-g1 10.Dh4-f6 (a1) Kg1-h1! (b1).

Nun ist prinzipiell wieder die Ausgangsstellung erreicht, nur hat die rundlaufende Dame eine mysteriöse Festung auf freiem Feld (mit Allentschlag!) errichtet. Wozu? Um nun den Trick des „externen“ Pendels nutzen zu können! Damit wird Schwarz gezwungen, die Stellung b zu wiederholen, ohne dass Weiß die Stellung a wiederholen muss. Und als schwarzer Pendelstein wird nun der Springer aus der neu geschaffenen Festung genutzt.

Hauptplan
11.Kd5-c5!! S∼-b6+ 12.Kc5-d5 Sb6-∼+ (b2). Das ist der Trick! (Nicht 11.Kc4-c5?? Sa4(d7)-b6+ & v: 1.–- Dc5# Vorwärtsverteidigung!) 13.Kd4-c5 Kh1-g1 14.Kc5-d4 (erst a2!) Kh2-h1! (b3?) 15.Tf1-f2 & v: 1.Dxg3#.

Die Strategie des „externen Pendels“ wurde im orthodoxen Verteidigungsrückzüger bisher wohl nur von Günther Weeth in seinem 2. Preis aus feenschach 2012 gezeigt. Die Darstellung hier überzeugt durch ihre klare logische Form: Mit dem originellen Vorplan schafft Weiß die Voraussetzung, um das bereit liegende Pendel zu starten.

Habt ihr übrigens gesehen, warum im Vorplan auf a7 nicht ein schwarze Läufer statt der stärkeren Dame entschlagen wird? Das würde doch den Entschlag des sTa8 und der sBBa6b7 ersparen. Doch das scheitert retroanalytisch daran, dass ein schwarzer schwarzfeldriger Läufer nicht schlagfrei entwandeln kann — und die freien Schlagfälle sind ja bereits durch die schwarzen Bauern verbraucht.

Das Fazit von Bernd Gräfrath und mir zu dieser Aufgabe: „Hohe inhaltliche Komplexität verbirgt sich hinter einer eleganten Stellung.“

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