Retro der Woche 02/2018

Das Beweispartien-Informalturnier von StrateGems 2015 war ein echtes Silvio-Baier-Festival. Drei der vier Preise (außer dem dritten, den Andrej Frolkin erhielt) gingen an Silvio; ebenso vergab Richter Thierry Le Gleuher die 2. und eine der beiden 4.-5. ehrenden Erwähnungen an ihn.

Heute habe ich davon den 4. Preis ausgesucht, der mir wegen seiner tollen Eleganz besonders gut gefällt. Das heißt nicht, dass ich als Richter eine andere Reihenfolge festgelegt hätte: Seine Aufgaben auf Platz 1 und 2 sind absolute Meisterwerke höchster Komplexität — da war Eleganz auch nicht Hauptziel der Komposition.

Sivio Baier
StrateGems 2015, 4. Preis
Beweispartie in 27,5 Zügen (12+16)

 

Etwas genaues Hinschauen aufs Diagramm kann man schon eine Menge über die Lösung erfahren: Bei Weiß fehlen genau vier Bauern, schwarz ist komplett. Bei Schwarz sind vier Bauernschläge sichtbar — aber weiße Bauern konnten damit nicht geschlagen werden, denn auf den Linien der fehlenden Bauern stehen keine schwarzen Kollegen — und die weißen Bauern konnten ihre Linien nicht verlassen, da sie keine Schlagobjekte hatten.

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Retro der Woche 01/2018

Mit einem klassischen Retro möchte ich das neue Jahr begrüßen und mit euch versuchen zu ergründen, wie man die Aufgabe lösen kann: Viele tun sich gerade mit dem Lösen solcher Stücke recht schwer. Dabei kann man gerade hier durch logisches Überlegen schon sehr weit kommen!

Andrej Kornilow (4.5.1944–14.11.2011) aus Moskau war ein großartiger Komponist überwiegend klassischer Retros — nutzt einmal hier im Blog die Suchfunktion, und ihr werdet noch einige von ihm finden, teilweise in Kooperation mit Andrej Frolkin.

Andrej Kornilow
Schacholympiade 2010, 2. Preis
Letzter Zug? (13+11)

 

„Natürlich“ hat im letzten Zug die weiße Dame von b1 nach a1 gezogen: Anders lässt sich das Schachgebot nicht erklären. Nun ist natürlich die Frage, ob sie dabei geschlagen hat und wenn, dann welchen Stein?

Das können wir noch nicht endgültig beantworten, wenn wir uns die Schlagbilanz des Weißen angeschaut haben: Bei Schwarz fehlen fünf Steine, aber im Diagramm sichtbar sind „nur“ vier: axb, bxc3, fxe3 sowie hxg3.

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Retro der Woche 52/2017

Für heute habe ich eine recht kurze Beweispartie herausgesucht: nur 16 Züge. Das liest sich zuerst beinahe wie eine Aufgabe „für zwischendurch“, aber ganz so einfach erscheint mir das Stück nun doch nicht zu lösen zu sein — speziell, wenn man das Thema in dem Turnier nicht kennt.

Igor Wereschtschagin , Version Rustam Ubaidullajew
Champagne-Turnier 2013, Preis
Beweispartie in 16 Zügen (14+13)

 

Champagne-Turnier: Da macht es sicher bei dem Einen oder Anderen von euch „klick“?! Richtig, das sind die schon seit vielen Jahren von Michel Caillaud ausgerichteten Retro-Turniere bei den Weltkongressen für Schachkomposition (WCCC) — die Ergebnisse des diesjährigen Champagne-Turnier aus Dresden hatte ich in den Retros der Woche 33/2017 und 34/2017 vorgestellt.

Bei der heutige Aufgabe hilft das Zählen der sichtbaren Bauernschläge zunächst nicht sonderlich weiter: Wir sehen nur einen weißen Doppelbauern auf der a-Linie. Also sollten wir nach anderen möglicherweise auffälligen Merkmalen der Diagrammstellung Ausschau halten.

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Retro der Woche 51/2017

Ich bin immer wieder erstaunt und begeistert, welch tiefe Retroanalysen in Aufgaben unter der Bedingung „monochromes Schach“ möglich sind. Wir erinnern uns: Hier sind nur Züge erlaubt, in denen Ausgangs- und Zielfeld eines Zuges dieselbe Farbe haben. Daraus leitet sich beispielsweise ab, dass Springer nicht ziehen können.

Ein großer Meister monochromer Retros ist René Jean Millour; ein Beispiel haben wir im Retro der Woche 22/2017 betrachtet. Auch das heutige Stück verblüfft wieder mit einer lockeren Stellung und ganz überraschenden Fragen, die dann eindeutig beantwortet werden können.

René J. Millour
Die Schwalbe 1991, H.H. Schmitz und M. Seidel gewidmet, 4. Preis
monochromes Schach: wo wurden sLc8 und wTh1 geschlagen? (3+8)

 

Bei der Darstellung des Lösungsweges orientiere ich mich stark an der Beschreibung des Autors in seinem Buch „Subtleties on 64 Squares“ (Editions FEE=NIX 2015 — wenn ihr noch ein Weihnachtsgeschenk für euch selbst sucht…).

Klar ist, dass alle vier Springer zu Hause geschlagen wurden; ebenso klar ist, dass beide Könige, um loszumarschieren, (kurz) rochieren mussten — die lange ist ja nicht möglich, da der Turm seine Feldfarbe ändern würde.

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Retro der Woche 50/2017

Schon bevor Silvio Baier das vorletzte Retro der Woche kommentiert hatte, hatte ich die vom ihm benannte Vergleichsaufgabe bereits für heute notiert — und dabei soll es auch bleiben. Es erscheint mir nämlich interessant, die beiden Stücke auch bezüglich der Konstruktion zu vergleichen.

Michel Caillaud
StrateGems 2003, G. Donati gewidmet, 4. Preis
Beweispartie in 22,5 Zügen (16+14)

 

Es fehlen nur zwei schwarze Steine: [Bh7] und ein Springer. Der Bauer wurde auf seiner Linie geschlagen: er hatte je kein Schlagobjekt zur Verfügung; der Springer offensichtlich auf f3. Also stammt der wBf3 von e2, denn [Bg2] musste vor seiner Umwandlung (es stehen ja drei weiße Türme auf dem Brett!) noch [Bh7] beseitigen, um sich dann auf h8 umzuwandeln.

Der Turm steht dann natürlich bös im Weg: Schwarz muss ja seine Türme und auch seine Dame auf die h-Linie bringen. Dabei wird zumindest für die Türme das Feld h8 benötigt, das der UW-Turm also wieder räumen muss. Außerdem muss man sich Gedanken um Schachschutz für [Ke8] machen. Und nebenbei steht [Th8] schon der Umwandlung im Weg, muss deswegen im Vorfeld also sein Standfeld frei machen.

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Retro der Woche 49/2017

Wenn man bei Luigi Ceriani ein „einfaches“ Hilfsmatt sieht, wird man natürlich stutzig: Steckt da nicht irgendwo Retroanalyse drin? Besonders, wo hier die Rochadestellungen bei Schwarz und Weiß auffallen.

Luigi Ceriani
Sahovski Vjesnik 1951, 1. Preis (V)
h# in 2,5 Zügen (11+14)

 

Kurz noch der Hinweis, dass hier „2,5 Züge“ bedeutet, dass der erste (schwarze) Halbzug entfällt, also Weiß zieht an und setzt mit freundlicher Hilfe von Schwarz in seinem dritten Zug matt.

Wirklich überraschend ist es nicht, dass wir fix je eine Lösung mit weißer und eine mit schwarzer Rochade finden:

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Retro der Woche 48/2017

„Ein Problem, das man wegen seiner Originalität immer wieder zeigen wird.“ meinte Preisrichter Thierry Le Gleuher zu der heutigen Aufgabe, und Meisterlöser Silvio Baier kommentierte damals: „Gleich der nächste Höhepunkt. Nur mit einem deutlichen Hinweis von Roberto habe ich das geknackt.“ (Mit dem vorangehenden Höhepunkt meinte er übrigens unser Retro der Woche 48/2013, das direkt davor veröffentlicht wurde.)

Damit sollte ich euch neugierig gemacht haben auf das heutige Stück?

Jorge Joaquin Lois & Roberto Osorio
Die Schwalbe 2010, 4. ehrende Erwähnung
Beweispartie in 21 Zügen (12+15)

 

Der einzige fehlende schwarze Stein wurde auf c3 geschlagen. Da nur [Bh7] fehlt, muss der sich umgewandelt haben, um dann entweder selbst auf c3 geschlagen worden zu sein oder das dortige Opfer zu ersetzen.

Besonders auffällig am Diagramm ist aber zunächst nicht so sehr diese recht offensichtliche Umwandlung, sondern sind die beiden weißen Türme im Nordwesten mitten im schwarzen Lager. Da müssen wir sicherlich genauer hinschauen, wie die dorthin gelangen konnten?

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Retro der Woche 47/2017

Der in diesem Jahr im Alter von 97 Jahren verstorbene Raymond Smullyan (siehe auch das letzte Für zwischendurch) hat sehr viel zur Popularisierung der Retroanalyse beigetragen: Viele haben ihren ersten Kontakt zu unserer Lieblings-Problemart durch die Übersetzung seiner Bücher ins Deutsche („Schach mit Sherlock Holmes“ und „Die Schachgeheimnisse des Kalifen“, beide im Otto Maier Verlag Ravensburg als Taschenbuch erschienen und beide nur noch antiquarisch zu bekommen.) gefunden, in denen er die Aufgaben in kleine Geschichten eingebettet hatte.

Einige Retro-Experten schätzen ihn als Komponisten nicht sehr hoch ein, da er für seine Aufgaben häufig Randbedingen nutzte, die eher an mittelalterliche Wett-Aufgaben als an modernes Problemschach erinnern. Im Sinne der Popularisierung sind solche Rätsel sicher nicht verkehrt — und er konnte auch gute „klassische“ Retros komponieren, von denen ich heute ein nicht allzu schwer zu lösendes vorstellen möchte.

Raymond Smullyan
The Chess Mysteries of Sherlock Holmes 1979
Welche Figur steht auf h4? (10+10+1)

 

Beginnen wir wie üblich mit Überlegungen zur Schlagbilanz. Die sind hier zunächst etwas schwieriger, da wir über die Farbe des Steins auf h4 nichts wissen, wir also für genau eine Farbe sechs, für die andere fünf Schläge haben.

Beginnen wir mit Schwarz: dort sieht man sofort bxa6 und f7xe6xd5xc4, das macht vier Schlagfälle. Bei Weiß sieht man anhand der Bauernkonstellation zunächst keinen Schlag, aber kann doch sehr schnell fünf Schläge ermitteln:

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