Retro der Woche 48/2013

Ich finde es sehr schade, dass Gerd Wilts nicht häufiger zum Komponieren kommt: Beruf, Familie und auch die Arbeit an der PDB lassen ihm für meinen Geschmack viel zu wenig Zeit dafür. Denn wenn über einem Diagramm „Gerd Wilts“ steht, dann könnt ihr euch sicher sein, eine gute Aufgabe vor euch zu haben.

So auch bei dem Stück, mit dem Gerd gerade den ersten Preis des Schwalbe Retro-Informalturniers 2010 gewonnen hat und das ich heute noch einmal vorstellen möchte.

Gerd Wilts
Die Schwalbe 2010, 1. Preis
Beweispartie in 20 Zügen (13+12)

 

Bei Weiß fehlen [wBa2], [wBb2] und [wBd2]; darüber hinaus sind fünf weiße Züge sichtbar.  Bei Schwarz hingegen ist das ein wenig unübersichtlich: Wenn Schwarz hxg6 und gxh6 gespielt hat, dann kommt er (die lange Rochade vorausgesetzt) mit 3+1+2+6+1+5=18 Zügen aus – dafür müssten aber weiße Schlagobjekte nach g6 und h6 gebracht werden. Das wieder dauert recht lang und, vor allen Dingen gibt es dafür keine sinnvolle Eröffnung für Schwarz, die ihn so lange warten lässt, bis er auf dem Königsflügel schlagen kann.

Gehen wir also nicht von Überkreuz-Schlägen auf g6 und h6 aus, so benötigen wir 4+1+3+6+1+4=19 Züge – das geht ohne Rochade am schnellsten, da ansonsten [sTh8] einen langen Umweg machen müsste, um nach h6 zu kommen. So geht es mit sTa8-a5—h5.

Zusätzlich zu den 19 Zügen muss noch [sBg7] einmal gezogen haben, damit [wBf2] schlagen konnte – welches Schlagobjekt sollte er sonst haben?

Nun müssen wir uns drum kümmern, die weißen Bauern verschwinden zu lassen.


Natürlich liegt es nahe, nach Ceriani-Frolkin Umwandlungen zu suchen und dabei einen oder gar zwei weiße Bauern „unterwegs“ zu schlagen. Dabei muss man auch berücksichtigen, dass die drei schwarzen Steine [sSb8], [sBa7] und [sBc7] nicht gezogen haben konnten, sie müssen also zu Hause geschlagen worden sein. Das macht es nicht einfacher, mit einer oder zwei Umwandlungen auszukommen, obgleich das im ersten Moment recht einfach ausschaut, etwa d6xc7xb8=L/Dxa7-b6 und sDxb6. Aber wie um alles in der Welt können wir dann noch den [wBa2] oder besonders den [wBb2] loswerden??

Vielleicht dämmert es langsam? Wir hatten eben gesagt, dass der sK ohne Rochade nach a8 ziehen muss – kann er auf dem Weg vielleicht weiße Umwandlungssteine schlagen? Das hieße, wir hätten weiße Schnoebelen-Umwandlungen (ein Bauer wandelt um und wird ohne gezogen zu haben geschlagen)?! Wenn man es genau nimmt, ist das ja „nur“ ein Spezialfall eines Ceriani-Frolkin-Steins, aber ein sehr paradoxer, besonders, da ja auch noch die Art der Umwandlung eindeutig sein muss.

Versucht doch mit diesem Hinweis, die Aufgabe zu lösen -– und dann werdet ihr feststellen, dass Gerd hier wirklich drei Umwandlungen in Form einer „Mini-Schnoebelen-AUW“ (Preisrichter Thierry Le Gleuher) zeigt: Eine Schoebelen-Dame ist in orthodoxen Retros nicht darstellbar.

1.b4 g6 2.b5 Lh6 3.b6 Lf4 4.bxa7 h6 5.axb8=T Ta5 6.d4 Th5 7.d5 b5 8.d6 Lb7 9.dxc7 Lc6 10.c8=S Db6 11.a4 Lc7 12.f4 d6 13.f5 Kd7 14.fxg6 f5 15.a5 Sf6 16.a6 Txc8 17.a7 Ld8 18.a8=L Kc7 19.Ta7+ Kxb8 20.Tb7+ Kxa8.

Natürlich solltet ihr genau hinschauen, weshalb andere Umwandlungen nicht gehen?!

Das ist eine Erstdarstellung, und schon die Kommentare der Schwalbe-Löser waren begeistert: „Nicht zu fassen: Schnoebelen-T-S-L-Umwandlung!!! Superklasse!!!“ (Hans Gruber) „Dreifaches Schnoebelen-Thema; hier mit der neuen Kombination TLS. Mit ist schleierhaft, wie man das komponieren kann, aber Euclide gibt ok. Sehr beeindruckend.“ (Silvio Baier) „Darstellung aller drei im orthodoxen Schach möglichen Schnoebelen-UW-Typen in einer BP, wobei besonders die weit vorausschauend angelegte UW 5.axb8=T beeindruckt. Faszinierend!“ (Mario Richter) „Super, da waren einige Züge schwer zu sehen, insbesondere Txc8.“ (Ronald Schäfer, der auch die Kreuzschlag-Möglichkeit auf g6/h6 näher untersucht hatte).

Ich gebe es zu: So begeistert war ich auch, als Gerd mir die Aufgabe zur Veröffentlichung in der Schwalbe angeboten hatte.

3 thoughts on “Retro der Woche 48/2013

  1. Mir als Retro-Laien hat das Stück auch von Anfang an am besten gefallen. Und ich habe derartiges auch Silvio Baier beim letzten Sachsentreffen in einem Gespräch gesagt. Daß nun tatsächlich der Preisrichter dafür den 1. Preis vergibt und damit meine Meinung teilt, erfüllt mich ein ganz klein wenig mit Stolz.
    Traurig ist, und damit gebe ich Euch recht, daß die Aufgabe nicht im FIDE-Album sein wird. Da sie aber grandios ist, wird sie sicher immer wieder einmal nachgedruckt werden. Das ist dann doch wieder etwas beruhigend.

  2. Ja, das ist wirklich ein tolles Problem, das meiner Ansicht nach auf jeden Fall in das FIDE-Album gehört! Nur schade, daß Gerd nur selten Probleme dafür einreicht… Vielleicht müssen wir hier eine Unterschriftenaktion starten, damit er sich in diesem Fall dazu bewegen läßt! (Andere sind ja nicht berechtigt, das Problem einzureichen.)

    • Für eine Unterschriftenaktion wäre es schon zu spät: Der Einsendeschluss für die Aufgaben aus den Jahren 2010 bis 2012 lag ja schon im Sommer. Aber ich kann deine Befürchtung leider nur bestätigen: Du wirst diese Aufgabe nicht im FIDE-Album finden…

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.