Retro der Woche 49/2017

Wenn man bei Luigi Ceriani ein „einfaches“ Hilfsmatt sieht, wird man natürlich stutzig: Steckt da nicht irgendwo Retroanalyse drin? Besonders, wo hier die Rochadestellungen bei Schwarz und Weiß auffallen.

Luigi Ceriani
Sahovski Vjesnik 1951, 1. Preis (V)
h# in 2,5 Zügen (11+14)

 

Kurz noch der Hinweis, dass hier „2,5 Züge“ bedeutet, dass der erste (schwarze) Halbzug entfällt, also Weiß zieht an und setzt mit freundlicher Hilfe von Schwarz in seinem dritten Zug matt.

Wirklich überraschend ist es nicht, dass wir fix je eine Lösung mit weißer und eine mit schwarzer Rochade finden:

1.– 0-0-0 2.Dxe3 Te1 3.De7 3.c8=D/T# bzw. 1.– Sg5! 2.0-0 c8=D 3.Kh8 Dxf8#..

Aber ist das der ganze Inhalt — und dann auch noch hier im Retroblog? Natürlich nicht, schauen wir uns einmal wie immer die Schlagbilanzen an. Da sehen wir fix, dass beide Damenläufer zu Hause geschlagen wurden — und damit wLh2 ein Umwandlungsläufer ist. Der kann nur aus [Ba2] entstanden sein, der sich dann auf b8 umgewandelt hat. Und damit sind auch schon die weißen Schläge erklärt.

Bei Schwarz sieht man neben seinem Schlag auf c1 sofort noch axb6, cxd6 und exf6, damit ist noch ein Schlag frei. Der ist aber auch schon zu entdecken und sogar eindeutig: Es fehlt nämlich [Bh7], den Weiß, wie wir schon gesehen haben, nicht direkt hat schlagen können. Er muss sich also umgewandelt haben und ist dann das Schlagopfer auf b8 bzw. ersetzt dieses im Diagramm. Die Umwandlung kann nur auf g1 erfolgt sein, und dazu war der Schlag h3xLg2 erforderlich: Anders als von h3 (schon mit [Bh2] zu Hause) kann [Bh7] nicht hinter wBg3 gekommen sein — und da alle anderen schwarzen Schläge auf scharzen Feldern erfolgt sind, muss [Lf1] auf g2 geschlagen worden sein.

Wir müssen also versuchen, die Stellung aufzulösen, indem wir die beiden Umwandlungen zurücknehmen; dann wird es recht einfach. Dazu muss wLh2 nach b8 geführt werden, um dort mittels a7xXb8=L zu entwandeln. Dafür muss aber sLa7 von seinem Standfeld verschwinden.

Und nun wird es wirklich trickreich: sLa7 kann nach Rücknahme von c6-c7 natürlich leicht von a7 bzw. b8 verschwinden. Aber „irgendwie“ dürfen sich natürlich sLa7 und wLh2 nicht ins Gehege kommen, das heißt, sie müssen irgendwie aneinander vorbei ziehen.

Und da zeigt sich nun, wie trickreich der große Retro-Meister die Stellung konstruiert hat: Um die schwarze Entwandlung zu ermöglichen, müssen wir h2-h4 zurücknehmen, wobei wir wLh2 auf f2 parken. Dann kann (beispielsweise) ein schwarzer Springer auf g1 entwandeln, wir können dann h3xLg2 zurücknehmen.

Nun müssen wir g2-g3 zurücknehmen, damit der weiße Läufer Richtung b8 marschieren kann. Dabei stellen wir fest, dass dieser Weg erst einmal eindeutig ist, nämlich f2-h4-g5-h6-f8-e7-d8-c7-b8. Kurioserweise muss aber sLa7 auf genau dieser Route ebenfalls Platz machen — beide kommen sich also „irgendwo“ entgegen und kommen nicht aneinander vorbei!

Welche Möglichkeiten haben wir, die doch aneinander vorbei zu bringen? Etwa f3-f4 und/oder e2-e3 zurückzunehmen. Dann allerdings kommt der auf der sechsten Reihe entschlagene fehlende weiße Turm nicht mehr zurück nach h1 — also illegal. Und bevor die Läufer auf ihre Reisen gehen, kann der Entschlag noch nicht erfolgen, da der die Läuferroute sperren (bzw. das noch benötigte Feld a7 blocken) würde!

Also müssen wir nach einer anderen Alternative Ausschau halten, und das kann nur sein, an passenden Stellen eine „Haltebucht“ einzubauen, wie wir das von einspurigen Straßen kennen, um Gegenverkehr durchzulassen.

Welche Felder kommen dafür in Frage? Freie sowieso nicht, also müssen wir eine Haltebucht frei machen. Welche Felder kommen dafür in Frage? Nur e1 und h8. Das aber bedeutet, wenn wir e1 für den Zwischenhalt nehmen, wird die lange weiße Rochade unmöglich; wählen wir hingegen h8, so wird entsprechend die kurze Schwarze Rochade unmöglich.

Also kann nur eine der beiden oben angegebenen Lösungen für die Hilfsmatt-Forderung funktionieren, und zwar in Abhängigkeit des Ausweich-Feldes.

Wir haben also nicht zwei unabhängige Lösungen für das Hilfsmatt, sondern nur eine, die aus zwei Teilen besteht, die sich gegenseitig ausschließen.

Dazu lautet der terminus technicus partielle Retroanalyse: Die scheinbar mehreren (unabhängigen) Lösungen lassen sich nicht gleichzeitig realisieren; in Abhängigkeit vom vorangegangenen Spiel kann nur eine erfolgen. Welche allerdings, kann nicht entschieden werden, da wir ja keine „Partienotation“ einer Beweispartie haben.

Ein wie ich finde sehr eingängiges und tiefsinniges Beispiel für die partielle Retroanalyse; wohl die erste Aufgabe, die hierfür den geblockten Läuferkorridor verwendet.

2 thoughts on “Retro der Woche 49/2017

  1. This fine PRA problem was new to me. The long bishop corridor with only e1 and h8 as waiting squares is impressive.
    Thanks for the careful analysis, Thomas.

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