Retro der Woche 03/2019

Heute möchte ich noch einmal auf das letzte Retro der Woche zurückkommen: Natürlich ist die Zeit nicht stehen geblieben, und heute wollen wir also betrachten, was 14 Jahre später Thierry Le Gleuher mit dieser Idee (“Aufspaltung des Bauerndoppelschritts”) gemacht hat; schaut euch also vielleicht vorher noch einmal die Beweispartie von Unto Heinonen an.

Thierry Le Gleuher
Probleemblad 2007
Beweispartie in 29,5 Zügen (9+15)

 

Auch hier fällt im Diagramm sofort ein schwarzer Umwandlungsstein auf, dieses Mal ein Läufer. Und auch er wird technisch dafür genutzt, schwarze Züge zu generieren — und, wie wir gleich noch sehen werden, auch Schlagfälle. Doch zunächst zählen wir die schwarzen sichtbaren Züge.

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Retro der Woche 02/2019

Am ersten Sonntag des neuen Jahres möchte ich euch eine schon etwas ältere und auch thematisch recht ungewöhnliche Beweispartie des Finnen Unto Heinonen (* 25.12.1946) zeigen. Wir kennen ja auch hier Unto als einen Komponisten, der ein wenig abseits des Mainstreams komponiert.

Unto Heinonen
Die Schwalbe 1993, 1. Preis
Beweispartie in 24 Zügen (16+10)

 

Ungewöhnlich ist hier schon der dritte schwarze Turm, der sofort auffällt und den wir gleich benutzen werden, um uns die ersten Schritte der Lösung dieser Aufgabe zu erarbeiten. Wir können zunächst einmal anhand der schwarzen Bauernstellung schnell feststellen, dass der aus [Bd7] entstanden sein muss.

Und nun zählen wir zunächst einmal die schwarzen sichtbaren Züge. Dabei lassen wir zunächst offen, welchen Turm wir als Umwandlungsturm ansehen und stellen fest, dass die beiden Original-türme mindestens fünf Züge gemacht haben müssen: Tf7 zwei, die beiden anderen jeweils drei, und wir zählen den dritten Turm zunächst nicht mit.

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Retro der Woche 01/2019

Vorbemerkung: Heute folgt von Arnold Beine der zweite Teil zum Thema „Tacu-Enigma“, der im Nachspann zum Retro der Woche 35/2018 bereits angekündigt wurde — danke, Arnold! Diesmal wird es richtig märchenhaft, denn die Bedingung „Annanschach“ spielt eine wichtige Rolle. Hier zunächst eine knappe Einführung dazu; eine genaue Definition befindet sich am Ende.

Bei Annanschach zieht — kurzgefasst — der Vordermann in der Gangart des Hintermannes, solange zwei gleichfarbige Steine Kontakt in „Nord-Süd-Richtung“ haben. Der Vordermann ist dabei immer näher zur eigenen Umwandlungsreihe, der Hintermann näher zur eigenen Offiziersgrundreihe. Dies bedeutet, dass in der PAS alle Bauern wie die Offiziere in ihrem Rücken ziehen. Das hat enorme Auswirkungen bereits im ersten Zug, denn die Anzahl der möglichen Eröffnungszüge vergrößert sich von 20 auf 49. Annanschach ist vor allem deshalb sehr gewöhnungsbedürftig, weil die gewohnten Zugeigenschaften anders sind und sich auch ständig wieder ändern können. Die Vorstellung, dass in der PAS benachbarte Bauern ganz unterschiedliche Zugmöglichkeiten haben, will einem „Orthodoxen“ nur schwer in den Kopf. Dass der wBd2 wie eine Dame, der wBe2 aber nur wie ein König ziehen kann, ist schon ein starkes Stück; von denen daneben, die wie Turm, Springer und Läufer ziehen ganz zu schweigen. Es ist erlaubt, dass ein Bauer mit entsprechender Gangart auch die eigene Offiziersgrundreihe betritt; dort ist er selbst zugunfähig, kann jedoch seine Bauern-Gangart an einen Vordermann weitergeben. Jenes ist für Tacu-Enigmas eine sehr wichtige Eigenschaft, denn damit kann man eine Menge Spuren verwischen, was den Autor freut, aber dem Löser natürlich die Sache erschwert — es sei denn, er kalkuliert dies gleich in seine Überlegungen mit ein.

Arnold Beine
Die Schwalbe II/2018, Gregor Werner gewidmet
Stellung nach dem 4. Zug von Schwarz, #1 Annanschach; 30 unbestimmte Steine

 

In der heutigen Aufgabe gibt es wieder nur wenige Hinweise in der Stellung. Bis auf einen Stein stehen alle in Homebase-Stellung, zwei Steine fehlen, und das freie Feld g1 gibt wie bei Tacus Prototyp (siehe Retro der Woche 35/2018) einen Hinweis auf den weißen Mattstein. Wenn der wSg1 mattsetzen soll, dann dürfte er sich im schwarzen Lager befinden (oder er müsste sich auf der 2. Reihe mit einer starken Linienfigur im Rücken befinden, was aber auch nicht schneller geht), wofür er 4(!) Züge braucht, denn Annanschach kann Steine nicht nur stärker, sondern auch schwächer machen. Ein erster Versuch, den wSg1 ins feindliche Lager zu schaffen und weitestgehend die geforderte Stellung zu erreichen, könnte folgendermaßen aussehen: 1.Sf3? hxh2 (mit T-Kraft) 2.Sf4 (mit B-Kraft) Th3 3.Sg6 Te3 4.Sh8??. Das Feld d2 ist aber noch besetzt und ein Matt ist auch nicht in Sicht. Vielleicht klappt es mit dem anderen Springerzug und einem möglichen Damenmatt entlang der offenen d-Linie: 1.Sh3? hh5 (mit Turm-Kraft) 2.g4 hxg4 3.de3 (mit D-Kraft) gxh3 4.hg2 (mit T-Kraft) h2. Immerhin ist die geforderte Stellung erreicht, allerdings ist kein Damenmatt in Sicht. Dann wäre jetzt 1.de3 der nächste naheliegende Anfangszug, außerdem stellt sich die Frage, auf welchem Feld der sK in der Mattstellung steht. Ihn unter Beibehaltung der Stellungsvorgabe nach z.B. f8 zu bringen, würde aber fünf Züge dauern: 1.– ee6 2.– Le7 3.– Kf8 4.– fe8 5.– ef7. Bei d8 ginge es auch nicht schneller, es käme sogar noch das zusätzliche Problem hinzu, dass Schwarz ein Selbstschach durch den wBd2 (mit D-Kraft) vermeiden muss. Auf d7 stünde der sK aus den gleichen Gründen im Schach, außer wenn Schwarz vorher 1.– dxd2 spielen würde. Aber d2 muss am Ende frei sein. Allerdings hätte der sK auf d7 mit der sD im Rücken eine enorme Bewegungsfreiheit, die Weiß kaum kontrollieren könnte; und selbst mit einem sBd8 im Rücken des sKd7 hätte dieser zwar kaum noch Züge, aber Schwarz verblieben immer noch genügend Verteidigungsmöglichkeiten. Wie sieht es mit dem Feld e7 für den sK aus? Eine schwarze Zugfolge wäre 1.– ee6 2.– Ke7 3.– fe8 4.– ef7. Die Felder für ein Springermatt wären dann aber alle gedeckt und bei einem Damenmatt von g5 aus müsste das Feld e6 noch gedeckt werden. Bliebe als letztes noch das Nachbarfeld f7. Ein sKf7 hätte mit dem sLf8 im Rücken eine große Bewegungsfreiheit, aber bei genauer Betrachtung sind bis auf e6 alle Fluchtfelder gedeckt, wenn man davon ausgeht, dass e8 – wie im Diagramm angegeben – geblockt ist. Das Feld f7 ließe sich sogar ohne Spuren freimachen mit 1.– fxa2.

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Retro der Woche 52/2018

Wir gedenken in dieser Woche des 80. Geburtstages des ukrainischen Komponisten Alexander Kisljak (27.12.1938 – 5.5.2010). Er war ein bedeutender Verfasser überwiegend klassischer Retros, hat sich allerdings auch mit Beweispartien beschäftigt. Er ist auch häufig als Autor in Erscheinung getreten. Eine Zusammenfassung seiner wichtigsten Artikel erschien 1998 als Buch (ПО СЛЕДАМ ШАХМАТНИХ ФИГУР), teilweise synoptisch in russischer und deutscher oder englischer Sprache.

Mit dem Thema der heutigen Aufgabe hat sich Kisljak intensiv beschäftigt und hat es in zwei Schwalbe-Artikeln („10 Jahre Verfolgung eines retroanalytischen Themas“, Februar 1987 und „Die Verfolgung eines retroanalytischen Themas geht weiter“, August 1989).

Alexander Kisljak
Die Schwalbe 1987 – Karl Fabel zum Gedenken, 5. ehrende Erwähnung
Löse die Stellung auf! (11+13)

 

Auffällig sind die bauernlosen g- und h-Linien; ein Teil der Bauern kann wegen der Schlagbilanz nicht direkt geschlagen worden sein, sondern sie müssen umgewandelt haben. So sieht man vier schwarze Bauernschläge ([Be7] > a2) und zwei weiße: axb und d2xc3.

Aber irgendwie müssen die umzuwandelnden Bauern im Osten ja aneinander vorbei gekommen sein…

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Retro der Woche 51/2018

Die kostenlose Internet-Zeitschrift Quartz deckt ein weites Spektrum des Problemschachs ab, und dabei spielen orthodoxe ebenso wie märchenhafte Retros eine bedeutende Rolle; ich kann euch die Lektüre ans Herz legen.

Heute möchte ich euch das Stück zeigen, das Preisrichter Thirry Le Gleuher aus 44 Urdrucken der drei Jahre 2007 bis 2009 ganz an die Spitze gestellt hatte.

Éric Pichouron
Quartz 2007-2009, 1. Preis
Beweispartie in 19,5 Zügen (14+12)

 

Zwei Dinge fallen beim Blick auf das Diagramm, ohne dass man sich schon Gedanken um die Lösung machen muss, ziemlich schnell auf: Beide Damenläufer mussten zu Hause geschlagen werden; ebenfalls (vielleicht in diesem Zusammenhang?) ist der weiße Turm auf a8 recht auffällig. Und da [Dd8] vor [Ke8] herausmusste, war der schwarze König schon draußen, bevor der weiße Turm ins schwarze Lager eindrang – oder er brauchte einen Schachschutz.

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Retro der Woche 50/2018

Retros mit der Bedingung „monochromes Schach“ haben wir hier schon gelegentlich (z.B. Retro der Woche 22/2017 und 51/2017 angeschaut: Hier sind nur Züge legal, bei denen Start- und Zielfeld gleiche Farbe haben. Besondere Spezialisten für diesen Bedingungstyp in Retros sind René J. Millour, der die beiden zitierten Aufgaben gebaut hat, und Thierry Le Gleuher; von ihm möchte ich heute ein interessantes Stück vorstellen.

Thierry Le Gleuher
Phénix 2012, Trillon-Gedenkturnier, 4. Preis
h#1 Wo wurde [Dd1] geschlagen? Monochromes Schach (4+8)

 

Bei der folgenden Besprechung habe ich mich wesentlich auf die Lösungsangaben von Hans Gruber gestützt, die dieser für feenschach geschrieben hat.

Schauen wir zunächst nach dem Hilfsmatt: Hier ist nur 1. 0-0 Lc4# möglich – und damit wissen wir, dass [Ke8] und [Th8] noch nicht gezogen hatten.

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Retro der Woche 49/2018

Mark Kirtley ist besonders bekannt für seine Beweispartie-Zwillinge, siehe zum Beispiel das Retro der Woche 41/2016, aber auch für relativ kurze, pointierte und strategisch anspruchsvolle Beweispartien.

Ein solches Beispiel möchte ich euch heute vorführen.

Mark Kirtley
Probleemblad 1999
Beweispartie in 15,5 Zügen (13+13)

 

Das Zählen der sichtbaren Züge hilft auf den ersten Blick nicht viel weiter: Bei Weiß sehen wir 0+0+4+0+0+1= 6 Züge – zehn sind also noch frei. Und bei Schwarz sieht es auf den ersten Blick auch nicht besser aus: 1+1+2+1+0+5=10 – somit bleiben „nur“ fünf schwarze Züge noch frei.

Hierbei hatte ich schon stillschweigend angenommen, dass sTh6 der [Ta8] ist: dies ist offensichtlich deutlich schneller zu erreichen, als [Th8] nach h6 zu bringen.

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Retro der Woche 48/2018

In den letzten beiden Retros der Woche (46/2018 und 47/2018) hatten wir ausgezeichnete Aufgaben des Schwalbe-Jahrgangs 2008 betrachtet; heute möchte ich euch den Sieger des Jahrgangs 2009 zeigen.

Dmitri Baibikow ist ein ideenreicher, exzellenter und vielseitiger Komponist und ist amtierender Weltmeister im Komponieren von Retro-Schachproblemen (2013-2015); mit anderen Worten: Er gewann die Retro-Abteilung des 6. WCCI, übrigens vor Silvio Baier und Nicolas Dupont, womit er seinen Titel aus dem Zeitraum 2010-2012 verteidigen konnte.

Das Schwalbe-Turnier 2009 gewann Dmitri mit einem sehr tiefen und ungewöhnlichen Verteidigungsrückzüger, den ich euch zum gründlichen Nachspielen ans Herz lege.

Dmitri Baibikow
Die Schwalbe 2009, 1. Preis, Mario Richter gewidmet
#1 vor 10 Zügen, VRZ Proca (12+10)

 

Beide Seiten sind von Retropatt bedroht, alle weißen Steine stehen innerhalb des riesigen Südost-Käfigs und können allein kein Matt geben: Nach einem möglichen sLg2-f1 ist zwar e2 nicht mehr gedeckt, aber dafür das Fluchtfeld f1 entstanden. Weiß braucht daher zusätzliches Material, will also Schwarz zum Entschlagen zwingen.

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