Retro der Woche 11/2019

Zunächst noch eine Bemerkung zum Retro der letzten Woche: Ganz herzlichen Dank für die lebhafte Diskussion zum Thema „Korrektheitsvermutung“ – und, obgleich ich es sehr traurig finde, dass sie gekocht wurde, für Arnolds Cook. Besser jetzt gekocht als kaputt mit sicherlich hoher Punktzahl ins Album gekommen…

Heute möchte ich euch mal wieder einen Verteidigungsrückzüger zeigen, zu dem ich als Preisrichter geschrieben hatte: „Leicht, locker, witzig – ein tolles Proca-Werbestück!“ Damit wollte ich nicht etwa sagen, dass die Lösung direkt offensichtlich ist…

Michel Caillaud
Wolfgang-Dittmann-Gedenkturnier 2015, 2. Lob
#1 vor 16 Zügen, VRZ Proca (12+5)

 

Wir erinnern uns: Beim Verteidigungsrückzüger versucht Weiß, die Vorwärtsforderung in der angegebenen (Rück-)Zügezahl zu erfüllen, Schwarz verteidigt sich dagegen, darf allerdings natürlich nur legale Züge zurücknehmen. Beim Typ „Proca“ entscheidet die gerade zurücknehmende Partei, ob ihr Rücknahmezug einen Entschlag beinhaltet und welcher Stein entschlagen wird; auch hierbei sind beide Seiten natürlich an die Legalität der entstehenden Stellung gebunden.

Mit welchem Stein könnte Weiß eigentlich mattsetzen? Natürlich bietet sich ein Matt mittels Sf2 an, aber wo soll der Springer herkommen? Weiß müsste Schwarz zwingen, den zu entschlagen, auch wenn er vielleicht anders lieber entschlüge -– und zwingen können wir ihn über die Legalität!

Aber betrachten wir zunächst einmal die Ausgangsstellung: Bei Weiß fehlen [Th1], beide Springer sowie [Bd2].

[Th1}konnte sein Zuhause nicht verlassen, wurde also vom [Ke8] auf g1 geschlagen – anders hätte der nicht nach h1 kommen können. Und sTg1 ist ein Umwandlungsstein, er konnte anders nicht nach g1 gelangen. Dabei hat er auf g1 einen Läufer oder einen Springer geschlagen: Turm und Dame scheiden als Schlagobjekte wegen illegaler Stellung aus.

Und der schwarze Umwandlungsläufer im Südwesten ist mittels b3xa2xb1 entstanden. Damit sind alle fehlenden weißen Steine erklärt, und wir sehen sofort, dass [Bd2] nicht direkt geschlagen werden konnte, sich also umwandeln musste.

Eben haben wir schon gesehen, dass es für Weiß ideal wäre, wenn er Schwarz zum Entschlag eines Springers auf g1 zwingen könnte (f2xSg1=T), denn dann könnte Weiß Sh3xSg1 zurücknehmen und mit Sxf2 mattsetzen, wenn h2 gedeckt wär. Wir müssen also verhindern, dass Schwarz f2xLg1=T zurücknehmen kann.

Vor allen Dingen müssen wir aber verhindern, dass Schwarz sich im Südwesten freispielen kann, denn dann werden wir es nicht schaffen, Schwarz zum (richtigen) Entschlag auf g1 zu zwingen.

Der direkte Versuch („Grundangriff“ im Sinne der Neudeutschen Schule) R 1.Kg8-h7? mit dem Plan Th5-g5 scheitert, wir ahnen es, an 1.– f2xLg1=T.

Wie können wir diesen Entschlag verhindern?

Nun, damit entstünde ja (wegen des wLh6 im Diagramm) ein Umwandlungsläufer. Wenn wir den „illegalisieren“ können, haben wir unser wesentliches Ziel erreicht: auf g1 darf nur ein Springer entschlagen werden.

Das können wir dadurch erreichen, dass wir einem Umwandlungsläufer die Möglichkeit nehmen, die achte Reihe zu verlassen. Das klappt, wenn Weiß auf den schwarzen Feldern der 7. Reihe Bauern entschlagen kann. Das geht nicht so ganz einfach, weil ja die schwarzen Steine im Südwesten in Schach gehalten werden müssen: Wenn sie frei sind, können wir Schwarz niemals zum Entschlag auf g1 zwingen.

Also brauchen wir einen schwarzen Stein, den wir beschäftigen können: Das ist ein Turm, für den wir immer wieder ins Schach ziehen – also wird sich wKh7 auf den Weg machen, die schwarzen Bauern zu entschlagen.

Und damit haben wir quasi schon die Lösung:

1.Kg7:Th7 Th8-h7+ 2.Kf8-g7 Th7-h8+ 3.Ke7-f8 Th8-h7+ 4.Kd8-e7 Th7-h8+ 5.Kc7-b8 Th8-h7+ 6.Kb8-c7 Th7-h8+ 7.Ka7-b8 Th8-h7+ 8.Kb8:Ba7! Th7-h8+ 9.Kc7-b8 Th8-h7+ 10.Kd8:Bc7! Th7-h8+ 11.Ke7-d8 Th8-h7+ 12.Kf8:Be7! Th7-h8+ 13.Kg7-f8 Th8-h7+ 14.Kg8:Bg7! Th7-h8+ 15.Th5-g5 f2:Sg1=T! (nun ist f2:Lg1=T=?? illegal) 16.Sh3:Sg1 & vor 1.Sf2:#.

Locker-leicht und elegant: Wenn man die Aufgabe mit Musik vergleicht, ist das sicher eher „Mozart“ als Beethoven oder gar Wagner …

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