Retro der Woche 35/2014

Das heutige Retro der Woche ist eine jener Beweispartien, wo der normalerweise erste Löseansatz, nämlich die erforderlichen Züge zumindest einer Seite zu fixieren, nicht sofort weiterhilft.

Jorge Lois & Roberto Osorio
MatPlus 2008, 1. ehrende Erwähnung
Beweispartie in 18.5 Zügen (14+14)

 

Zählt man die schwarzen sichtbaren Züge, so kommt man nur auf acht; auch bei Weiß sind es nicht viel mehr: Da sind es gerade einmal zehn.

Also sollten wir nach Stellungsmerkmalen Ausschau halten, die uns weiterhelfen könnten:

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Quartz 40

Vor einigen Tagen ist die 40. Ausgabe von Quartz zum Download bereitgestellt worden. Neben Hilfsmatt- und Märchen-Preisberichten findet sich darin eine größere Übersicht von „some astonishing proof games“, zusammengestellt von Paul Raican.

Darin berichtet er u.a. vom Weihnachtsturnier 2007/2008 von France-Echecs, das Beweispartien mit der Märchenbedingung Lortap forderte. Die Bedingung ist leicht zu definieren: Ein Stein kann nur schlagen, wenn er nicht von Steinen seiner Farbe beobachtet ist. (Das ist sozusagen Anti-Patrol-Schach, und daraus ergibt sich auch der Name.)

Den ersten Preis möchte ich euch vorstellen und zum Studieren empfehlen.

Michel Caillaud & Nicolas Dupont
France-Echecs Weihnachtsturnier I/2008 , 1. Preis
Beweispartie in 20 Zügen, Lortap (13+15)

 

Schwarz hat im Diagramm beinahe seine Partieausgangsstellung – und genau die Abweichung davon ist thematisch, denn wie kann unter der Lortap-Bedingung der Schag e7:Xf6 erfolgt sein? Dafür müssen die Steine auf d8 bis g8 verschwunden sein, denn sie decken alle e7 und verhindern damit diesen Schlag – also ein „Kampf gegen die Bedingung“, die hier offensichtlich nicht der Konstruktionserleichterung dient, sondern im Gegenteil das Lösungsgeschehen komplett bestimmt.

Man erkennt schnell, dass [sLf8] zu Hause geschlagen worden sein muss, denn er kann sich allein nicht der Beobachtung von e7 entziehen – wir wissen also schon, dass auf f8 ein Pronkin-Läufer, entstanden aus [sBh7], steht. Die drei anderen Steine müssen weg und wieder zurück gezogen haben.

Damit steht für das schwarze Spiel schon eine Menge fest; das weiße ist, wie bei zwei so exzellenten Verfassern nicht anders zu erwarten, auch sehr trickreich. Oder hättet ihr auch bei Weiß sofort eine Rückkehr und einen Geschwister-Stein vermutet?

1.d3 h5 2.Dd2 h4 3.Dh6 h3 4.Dh7 Sh6 5.Dg8 hxg2 6.Dxf8+ Txf8 7.h4 Th8 8.Th3 Kf8 9.Tf3 Kg8 10.Tf6 Kh7 11.f4 Dg8 12.Sf3 g1=L 13.Lh3 exf6 14.Lg4 Lc5 15.Le3 Dd8 16.Sbd2 Kg8 17.OOO Kf8 18.Th1 Ke8 19.Sg1 Lf8 20.Lc5 Sg8.

Eine tolle Demonstration der Möglichkeiten dieser Märchenbedingung, wie ich finde!

Noch eine App

Vor ein paar Tagen hatten ich euch das Popeye Frontend für Android Smartphones oder Tablets vorgestellt; nun soll noch ein tipp in diese Richtung folgen.

Gern nutze ich zum Nachspielen von Beweispartien die kostenfreie Android-App DroidFish von Peter Österlund. Eigentlich ist sie nur dazu fast zu schade, da sie auch eine recht starke Schach-Engine enthält, aber das Nutzer-Interface, wenn auch komplett auf englisch, ist zum Spielen und auch Abspeichern von Beweispartien ideal.

Man kann auch Stellungen aufbauen und von dort weiterspielen: Toll zum Beispiel für Studienfreunde, da auch Varianten gespeichert werden können. Und selbst für klassische Retros ist sie etwas eingeschränkt zu gebrauchen, wenn man nämlich die Auflösung “von vorn” eingibt und dann rückwärts nachspielt.

Wie bei quasi allen Schachprogrammen beherrsch auch DroidFish ausschließlich die orthodoxen Regeln; eie Schlagschach- oder Circe-Beweispartie ist also nicht möglich. Dennoch kann ich DroidFish sehr empfehlen.

Champagner-Turnier

Es ist schon Tradition, dass Michel Caillaud anlässlich der WCCC Tagungen ein Retro-Thematurnier veranstaltet: Bei diesen Champagner-Turnieren dürft ihr drei Mal raten, wie die Preise aussehen? Das ist auch der Grund, weshalb dieses Turnier nur für Teilnehmer des WCCC in Bern offen ist.

Die beiden Themen finde ich trotzdem sehr interessant:

  1. Beweispartien mit Gegenschachs
  2. Zum Gedenken an Paul Valois und Uri Avner: Selbst- oder Reflexmatts mit Retro-Inhalt.

Beispielaufgaben findet ihr auf der WCCC-Seite für Bern 2014; vielleicht möchtet ihr euch ja auch unabhängig vom Treffen mit diesen Themen beschäftigen?

Retro der Woche 33/2014

Heute möchte ich euch eine „rätselhafte“ Beweispartie vorstellen, die sicherlich nicht ganz leicht zu lösen ist, die mir sehr gut gefällt wegen ihres Themas.

Wer die Aufgaben von Thierry ein wenig kennt, könnte vielleicht schon zumindest die Richtung des Inhaltes erraten? Und diese mögliche Vermutung wird ja noch durch die Diagrammposition verstärkt: Es könnte irgend etwas mit Rochade zu tun haben?!

Thierry Le Gleuher
British Chess Magazine 1993, 2. ehrende Erwähnung
Beweispartie in 24 Zügen (15+15)

 

Zunächst einmal bietet die Stellung keine besonderen Anhaltspunkte: Besonders spektakulär sind die geschehenen Schlagfälle nicht, dass sie sofort einen Großteil der Lösung verraten: Der [wLc1] als einziger fehlender weißer Stein wurde auf f6 geschlagen, und somit bleibt für den einzigen fehlenden schwarzen Stein, den [sBc7] nur, dass er auf seiner Linie von einem weißen Offizier geschlagen wurde.

Nun sollten wir uns wie üblich mit der minimalen Zügezahl zumindest einer Partei beschäftigen:

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Retro der Woche 32/2014

Es ist schon sehr bemerkenswert, wenn in einem Kompositionsturnier, das für alle Problemarten offen ist, ein Retro ganz vorn landet, besonders, wenn es sich um logische, neudeutsche Thematik handelt.

Das ist nun gerade Manfred Rittirsch in der Gruppe B des Hans Peter Rehm Jubiläumsturniers von feenschach und Die Schwalbe anlässlich seines 70. Geburtstags gelungen (Preisrichter: der Jubilar zusammen mit bernd ellinghoven) – herzlichen Glückwunsch, Manfred!

Worum ging es in dem Turnier? Um die Darstellung des „Rehmers“ in möglichst origineller Form.

Manfred Rittirsch
Rehm-70 Jubiläumstunier, Gruppe B, 2014, 1. Preis
Beweispartie in 11,5 Zügen (14+15)

 

Der Erfinder und Jubilar erläutert selbst das Thema im Preisbericht:

Der Einfall seinerzeit (1990) war nicht die Umgehung einer Linienfigur durch eine andere, um im Vergleich zum Probespiel die richtige Reihenfolge zweier Linienfiguren mit gleicher Zugart herzustellen, sondern diese Umgehung durch einen antikritischen Zug der am Schluss „vorderen“ Figur auf der Themalinie erst zu ermöglichen.

Eine „richtige“ Reihenfolge kann sinnvoll als solche nur genutzt werden, wenn beide Figuren dann längs der Themalinie „nach vorn“ verwendet werden, was nur durch einen Bahnungszug der vorderen Figur für die hintere möglich ist.

Damit ergeben sich als Bestandteile des Themas:

1. Antikritikus der Figur, die am Schluss „die vordere“ werden soll.
2. Periführung (um die andere Figur „hinter“ die kritisch ziehende zu bringen).
3. Bahnungszug der „vorderen“ Figur.

Inzwischen akzeptiert man die Bestandteile 2. & 3. als Rehmer (schon das war zur
Entstehungszeit wohl eher selten dargestellt), und spricht von „vollständigem Rehmer“, wenn 1. hinzukommt. 2. setzt voraus, dass ein Probespiel vorhanden ist, in dem die eine Themafigur auf der falschen Seite der anderen landet, was durch die Periführung korrigiert wird. Ein Rehmer wirkt besonders eindrucksvoll, wenn die umgehende Figur auf der Themalinie auf der falschen Seite der anderen startet.

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Retro der Woche 30/2014

Und weiter geht es mit dem Pronkin-Thema: Heute stelle ich euch die erste einfarbige Vierfachdarstellung dieses Themas in einer eindeutigen Beweispartie vor.

Ihr erinnert euch? Im Retro der Woche 27/2014 war es eine nun schon eigentlich 25 Jahre alte Dreifachsetzung des Themas, im folgenden Retro der Woche 28/2014 die erste, nun fünf Jahre alte einfarbige Pronkin-Allumwandlung.

Quasi ein Zwischenglied ist das heutige Stück, bei der – wen wundert es?? – der Springer zur Allumwandlung fehlt und durch einen zweiten Turm, normalerweise der am einfachsten darzustellende Pronkin-Stein, ersetzt wird.

Nicolas Dupont
Orbit 2005 (V), 1. Preis, zum Gedenken an Guy Dupont
Beweispartie in 31 Zügen (15+10)

 

Aber auch das ist natürlich alles andere als trivial, wie allein schon die Tatsache zeigt, dass das Stück mit 10,5 Punkten ins FIDE-Album gekommen ist.

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harmonie-aktiv 120

Heute hatte ich Heft 120 von harmonie-aktiv in meinem Mail-Postfach — über den angegebenen Link könnt ihr sie kostenlos herunterladen (nur der Versand in Papierform ist kostenpflichtig). Während ich diesen Artikel erstelle, ist das neue Heft dort noch nicht zu finden — das wird sich aber bestimmt sehr schnell ändern.

Viel interessanten Lese- und Lösestoff gibt es; leider auch wenig erfreulichen, nämlich die Nachrufe auf Ludovit Lehen (3.6.1925 – 12.5.2014) sowie der besonders lesenswerte, von Jörg Kuhlmann verfasste, auf Paul Valois (6.3.1946 – 15.5.2014), den ich persönlich das letzte Mal bei der Schwalbe-Tagung 2012 in Traunstein getroffen hatte.

Ken Seehofer
2063 harmonie-aktiv Juli 2014
Beweispartie in 7,5 Zügen (13+13)

 

Von den Urdrucken möchte ich euch besonders die Beweispartie von Ken Seehofer, dem Sohn des harmonie-aktiv Redakteurs Wilfried Seehofer, zum Selbstlösen ans Herz legen. Schön, dass sich zumindest gelegentlich auch schon ganz junge Nachwuchs-Komponisten für Retros interessieren!

Viel Spaß beim Lesen / Lösen.