Retro der Woche 05/2015

Australien ist sicherlich nicht das Land, das einem beim Nachdenken über „Problemschach- oder Retroländer“ als erstes einfallen würde. Dennoch gibt es auch dort natürlich begeisterte Problemfreunde und Retro-Fans — Peter Wong fällt mir da immer sofort ein.

Das Stück, das ich von ihm heute ausgesucht habe, ist bereits 20 Jahre alt und wirkt auf mich noch immer frisch wie am ersten Tag.

Peter Wong
The Problemist 1995, 2. Preis (R. Meadley gewidmet)
Beweispartie in 21,5 Zügen (15+9)

 

Zählen wir die weißen Züge (bei den schwarzen sieht man bereits schnell, dass dort zunächst nicht allzu viele feststehen — auch, weil insgesamt sieben schwarze Steine fehlen), so kommen wir auf 7+0+3+2+1+2=15. Da fehlen also noch sieben! Schauen wir uns jedoch den schwarzen Doppelbauern auf c7/c6 an, ist klar, dass der fehlende weiße Stein auf c6 mittels b7xc6 verschwand. Im Diagramm fehlt aber bei Weiß nur [Bh2].

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Retro der Woche 04/2015

Wir erinnern uns:

Bei den Verteidigungsrückzügern (VRZ) nehmen Weiß und Schwarz abwechselnd (selbstverständlich legale!) Züge zurück, wobei Weiß versucht, das anschließende “Vorwärts-Ziel”, meist ein Matt in einem Zug, zu erreichen, Schwarz dies aber durch geeignete Zugrücknahmen zu verhindern sucht.
Beim Typ Proca entscheidet die zurücknehmende Partei über mögliche Entschläge, beim Typ Høeg die andere.

So ist es hier im Lexikon definiert -– eigentlich eine einfache Sache.

Beide Arten der Verteidigungsrückzüger sind quasi gleichzeitig und unabhängig voneinander erfunden worden, nämlich Ende des Jahres 1923.

Die Definitionen der beiden Typen unterscheiden sich nur in einem einzigen Punkt. Dieser Unterschied führt jedoch zu ziemlich unterschiedlichen Strategien: Während beim Proca-VRZ jede Partei einen kompletten Zug zurücknimmt, schaut das beim Typ Høeg anders aus: Die am Zug befindliche Partei bestimmt nur den eigenen Stein, dessen Zug zurück gespielt werden soll, sowie dessen ursprüngliches Standfeld. Damit ist der Zug aber noch nicht abgeschlossen; dies erfolgt erst durch die Entscheidungen der Gegenseite!

Nun nämlich bestimmt die Gegenpartei (natürlich im Rahmen der Legalität der entstehenden Stellungen), ob diese Zugbewegung einen Schlagfall einschließen konnte oder gar musste. Beantwortet sich diese Frage mit JA, so entscheidet diese Partei, also die Gegenseite, welcher Stein seiner Farbe entschlagen wird. Falls kein Stein aus retroanalytischen Gründen entschlagen werden muss, sondern entschlagen werden kann, so kann sie sich auch entscheiden, keinen Stein einzusetzen.

Diesen Unterschied wollen wir uns anhand des Schemas anschauen, mit dem Niels Høeg seine Idee ursprünglich vorgestellt hat -– das Gedankenspiel, das wir nun vornehmen werden, stammt selbstverständlich nicht von ihm, da er den Typ Proca noch nicht kannte.

Niels Høeg
Eskilstuna-Kuriren 1418, 8.12.1923
-1 & #1,VRZ Høeg (4+3)

Weiß könnte sofort mattsetzen: mit 1.Lg5#, aber auch mit 1.Sf7#. Aber er muss ja zunächst einen Zug zurücknehmen, der natürlich unschädlich sein soll, also weiterhin eines der Satzmatts erhalten soll. Ein beliebiger Springer-Rückzug (z.B. R 1.Sb7-d8) würde Schwarz erlauben, auf d8 einen eigenen Läufer oder eine Dame einzusetzen, und Weiß kann nicht mattsetzen.

Nun erscheint etwa R 1.Le7-h4 ganz pfiffig, denn das behält doch beide Mattdrohungen aufrecht! Aber auch dagegen kann sich Schwarz verteidigen, indem er auf h4 nun einen schwarzen Turm oder eine schwarze Dame ergänzt, und Weiß muss sich nun in seinem Vorwärtszug um die Abwehr dieses Schachgebots kümmern, kann also nicht mattsetzen!

Also bleibt Weiß nur, eine Umwandlung in den Springer zurückzunehmen: R Bd7-d8=S (Schwarz kann nichts einsetzen, da dieser Zug garantiert schlagfrei gewesen ist) würde funktionieren, aber scheitert am Retropatt. R Bc7-d8=S ist im Prinzip wie die Rücknahme eines Springerzuges, Schwarz kann auf d8 also einen Läufer oder eine Dame ergänzen. Also löst nur R Be7-d8=S, und nun kann Schwarz eine beliebige eigene Figur auf d8 einsetzen: Keine verteidigt, so dass Weiß nun mit Lg5 mattsetzen kann.

Interpretiert man die Stellung als VRZ Proca, so könnte Weiß alle möglichen Rückzüge auch zurücknehmen und entweder nichts oder Unschädliches entschlagen, z.B. R Sb7-d8 oder auch R Le7:Sh4 (Entschlag ist erforderlich, da Schwarz sonst retropatt wäre).

Da sieht man schon deutliche Unterschiede!

Schauen wir uns nun die erste „richtige“ VRZ Høeg Aufgabe an:

Niels Høeg
Eskilstuna-Kuriren 1419, 8.12.1923
-2 & #1,VRZ Høeg (8+2)

Weiß nimmt die Turmumwandlung auf b8 zurück: Damit kann Schwarz nichts entschlagen bzw. einsetzen und hat nun genau vier Felder, von denen sein König in seinem letzten Zug kommen konnte.

Kam der schwarze König von a8, so ergänzt Weiß auf a7 einen weißen Läufer, nimmt b6-b7+ zurück und setzt mit Lc6 matt. (Übrigens kann Weiß nicht wBa7 ergänzen: Das wäre legal, aber dann kann er nicht mit b6-b7 das Schach aufheben (sondern nur mit c6xXb7+), da dies zu einer illegalen Bauernstellung führen würde!)

Wie notiert man nun die Lösung? Nun, das kann man machen wie bei allen anderen Retro-Aufgaben auch, also für diese Variante R 1.b7-b8=T Ka8:La7 2.b6-b7+ & vor: 1.Lc6#.

Aber Niels Høeg hatte eine andere Schreibweise vorgesehen und sie in seiner Schrift On Retraction Chess Problems (1927) so eingeführt: „The moves of retraction chess are written down in the form in which the reversed move of ordinary chess would have been written, and added men are stated in [].”

Er hat also bewusst eine abweichende Notation gegenüber der üblichen Retro-Notation, die auch damals schon verbreitet war, gewählt. Der Grund erscheint mir sehr gut und überzeugend: Während beim normalen Retro (und auch beim Proca-VRZ) der komplette Zug vollständig von der zurücknehmenden Partei bestimmt wird (wie im Partieschach), weicht der Høeg-Typ ja hiervon ab. Die zurücknehmende Seite bestimmt ja nur Ausgangs- und Zielfeld ihrer Rücknahme, aber damit ist der Zug ja noch nicht abgeschlossen, sondern dann entscheidet die andere Seite, ob und wenn ja was entschlagen worden sein soll.

Ich schlage allerdings runde Klammern vor, um bei möglichen (Anti-) Circe Aufgaben nicht mit den eckigen Klammern zu kollidieren, die dort ja das Versetzungsfeld angeben.

Damit können dann alle vier Varianten angegeben werden:

R 1.b7-b8=T Ka8-a7(L) 2.b6-b7+ & vor: 1.Lc6#; 1.– Kb8-a7(T) 2.Lc6-d7(beliebig) & vor: 1.Ta8#; 1.– Ka6-a7(L) 2.b6-b7 & vor: Lc8#; 1.—Kb6-a7(T) 2.c2-c3 (einziger neutraler Wartezug!) & vor: 1.b8=D#.

Schaut euch noch einmal genau an, weshalb andere Einsetzungen nicht gehen!

Auch wenn die Høeg-Retraktoren längst nicht so verbreitet sind wie ihre Kollegen vom Proca-Typ, so bin ich fest davon überzeugt, dass hier noch jede Menge zu entdecken ist –- auf dem orthodoxen Gebiet ebenso wie zusammen mit Märchenbedingungen!

Retro der Woche 03/2015

Retro der Woche 03/2015 für 11.1.15

Interessant ist es, den Retro-Preisbericht der Schwalbe (Oktober 2006, von Ersatzrichter Ronald Schäfer) zu lesen: Er geht dabei u.a. auf die Weiterentwicklung der Retroanalyse in diesen zehn Jahren ein: Damals lag der Anteil der Beweispartien am Gesamtturnier noch deutlich unter 20% (10 von 56 Aufgaben); das war 2006 schon völlig anders. Ronalds Vermutung war, dass der Aufschwung der Beweispartien auch auf die Verfügbarkeit von Löseprogrammen wie natch und euclide zurückzuführen sei: vorher galten Beweispartien als chronisch nebenlösig.

Ich möchte heute den ersten Preis der Beweispartien-Abteilung vorstellen, der auch heute noch in Turnieren eine gute Figur machen würde.

Andrej Frolkin
Die Schwalbe 1996, 1. Preis
Beweispartie in 23,5 Zügen (14+13)

 

Zählen wir die direkt im Diagramm sichtbaren Züge, kommen wir nicht viel weiter: Bei Weiß sind das 0+2+2+1+3+2=10, bei Schwarz sind es 3+2+2+1+1+5=14 – dabei habe ich schon berücksichtigt, dass [Dd8] gezogen haben muss, um [Ke8] vorbei zu lassen. Aber vielleicht hilft ja die harmlos ausschauende Bauernstruktur weiter?

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Retro der Woche 02/2015

Kuriose Zufälle gibt es manchmal…

Das folgende Stück von Gerd Wilts wurde im Phénix Turnier 2004 mit dem vierten Preis ausgezeichnet, und das wollen wir uns genauer anschauen.

Gerd Wilts
Phénix 2004, 4. Preis
Beweispartie in 18,5 Zügen (14+14)

 

Zählen wir die weißen Züge, so stellen wir fest, dass alle im Diagramm verbraucht sind: 2+1+4+4+4+4=19. Daraus ergibt sich auch, dass Weiß rochiert haben muss, denn ansonsten benötigte der weiße König drei Züge bis b1. Ferner ist klar, dass die drei Zentralbauern des Weißen jeweils einen Doppelschritt gemacht haben müssen. Sie also können nicht trickreich die beiden fehlenden schwarzen Bauern geschlagen haben.

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Retro der Woche 01/2015

Bei den traditionellen Problemschachtreffen im französischen Messigny (nördlich von Dijon) steht auch immer ein Retro-Kompositionsturnier auf dem Programm. Ähnlich wie bei den Turnieren in Andernach oder bei den WCCC Treffen bin ich immer wieder über die hohe Qualität der Aufgaben, die bei solchen Treffen entstehen, erstaunt.

Leicht und locker schaut das Siegerstück des Messigny-Turniers 2013 aus. Thema war der Volet-Bauer; benannt nach dem Thema des Thomas-Volet-50 Turniers: Ein Bauer schlägt mindestens fünf Mal auf der gleichen Diagonale.

Michel Caillaud
Messigny 2013, 1. Preis
Für welche Steine steht das Schlagfeld fest? (8+9)

 

Betrachtet man die weißen Bauernschläge, so sieht man sofort, dass wBa7 ein solcher Volet-Bauer ist: Er kann nur von f2 kommen, da [Bc2] offensichtlich nach b3 geschlagen hat.

Der hilft aber zunächst nicht bei der Beantwortung der gestellten Frage. Andererseits ist die Stellung des wK auf h7 sehr auffällig: Er kann ja nur über die a-Linie und b7 ins schwarze Lager eingedrungen sein. Vielleicht hat er dann den sBh7 zu Hause geschlagen?

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Retro der Woche 52/2014

Geht es euch auch so wie mir? In dieser eigentlich so ruhigen (wie die Bayern so herrlich, beinahe schon lautmalerisch, sagen: „staaden“) Adventszeit kommt immer wieder Hektik auf: Nicht nur wegen der Vorbereitungen für Weihnachten, sondern auch beruflich kommt dann meist zum Ende des Jahres noch eine Menge zusammen.

Diesen Wechsel aus Hektik und Ruhe finden wir auch in der Aufgabe, die ich euch heute vorstellen möchte – oder an die ich euch erinnern möchte, denn für mich ist dieses schon 30 Jahre alte Stück ein echter Klassiker.

Andrej Frolkin
Thèmes 64 1984, 1. ehrende Erwähnung
Beweispartie in 14 Zügen (15+15)

 

Zunächst einmal stellen wir fest, dass auf beiden Seiten jeweils genau ein Turm fehlt. Damit scheiden Umwandlungen aus, speziell der sSh1 ist ein Originalspringer.

Also zählen wir die sichtbaren Züge: Das sind bei Weiß 3+2+0+2+1+5=13 und bei Schwarz 0+0+0+0+5+4=9. Gut, bei Schwarz müssen noch drei Turmzüge hinzu kommen, da der fehlende [Ta8] ja auf d3 geschlagen worden ist.

Damit haben wir also 12 schwarze Züge, aber es fehlen immer noch drei Halbzüge. Die Frage ist nun natürlich, wo die sich verstecken.

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Retro der Woche 50/2014

Heute stelle ich ein „kleines“ Stück vor: klein bezüglich der Zügezahl, aber mit interessantem und originellem Inhalt — aber hättet ihr das bei dem Autor anders erwartet? Ich auch nicht…

Reto Aschwanden
Die Schwalbe 2003, 1. ehrende Erwähnung
Beweispartie in 14,0 Zügen (14+14)

 

Um euch noch ein wenig neugieriger zu machen hier der Beginn des Kommentars zu dieser Aufgabe in der PDB: „Interessante und neue Idee, die gar nicht so leicht zu beschreiben ist.“

Das sollte euch dann endgültig zum Selbstlösen ermuntern, allzu schwer ist das Stück auch nicht…

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Retro der Woche 49/2014

Wenn ein solcher Könner wie Silvio Baier einen offensichtlichen Umwandlungsstein im Diagramm einer Beweispartie stehen lässt, wenn dann dieses Stück auch noch die höchste Auszeichnung in einem bedeutenden Turnier gewinnt, dann muss diese Umwandlungsdame entweder thematisch sein — oder der Inhalt muss so originell sein, dass der Preisrichter sie deswegen akzeptiert.

Wenn ihr das Stück noch nicht kennt, dann ratet einmal, was nun der Grund ist?

Silvio Baier
FIDE World Cup 2011, 1. Preis
Beweispartie in 25,0 Zügen (10+14)

 

Bei Weiß sieht die Stellung sehr einfach aus: Home Base, also alle weißen Steine, die noch auf dem Brett zu finden sind, stehen auf ihren Standfeldern der Partieausgangsstellung.

Beginnen wir also mit dem Zählen der minimalen Züge bei Schwarz: Egal, welche der beiden schwarzen Damen Original oder Umwandlungsstein ist, bedurfte es mindestens dreier Damenzüge: entweder h1-h3 und d8-d6-h2 oder g1/h1-h2 und d8-d7-h3. Die Züge zur Umwandlung müssen wir nun den Bauernzügen zuschlagen. Damit haben wir offensichtlich 1+3+4+3+3+10=24.

Damit ist noch ein schwarzer Zug offen.

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