Retro der Woche 51/2017

Ich bin immer wieder erstaunt und begeistert, welch tiefe Retroanalysen in Aufgaben unter der Bedingung „monochromes Schach“ möglich sind. Wir erinnern uns: Hier sind nur Züge erlaubt, in denen Ausgangs- und Zielfeld eines Zuges dieselbe Farbe haben. Daraus leitet sich beispielsweise ab, dass Springer nicht ziehen können.

Ein großer Meister monochromer Retros ist René Jean Millour; ein Beispiel haben wir im Retro der Woche 22/2017 betrachtet. Auch das heutige Stück verblüfft wieder mit einer lockeren Stellung und ganz überraschenden Fragen, die dann eindeutig beantwortet werden können.

René J. Millour
Die Schwalbe 1991, H.H. Schmitz und M. Seidel gewidmet, 4. Preis
monochromes Schach: wo wurden sLc8 und wTh1 geschlagen? (3+8)

 

Bei der Darstellung des Lösungsweges orientiere ich mich stark an der Beschreibung des Autors in seinem Buch „Subtleties on 64 Squares“ (Editions FEE=NIX 2015 — wenn ihr noch ein Weihnachtsgeschenk für euch selbst sucht…).

Klar ist, dass alle vier Springer zu Hause geschlagen wurden; ebenso klar ist, dass beide Könige, um loszumarschieren, (kurz) rochieren mussten — die lange ist ja nicht möglich, da der Turm seine Feldfarbe ändern würde.

Weiterlesen

Retro der Woche 50/2017

Schon bevor Silvio Baier das vorletzte Retro der Woche kommentiert hatte, hatte ich die vom ihm benannte Vergleichsaufgabe bereits für heute notiert — und dabei soll es auch bleiben. Es erscheint mir nämlich interessant, die beiden Stücke auch bezüglich der Konstruktion zu vergleichen.

Michel Caillaud
StrateGems 2003, G. Donati gewidmet, 4. Preis
Beweispartie in 22,5 Zügen (16+14)

 

Es fehlen nur zwei schwarze Steine: [Bh7] und ein Springer. Der Bauer wurde auf seiner Linie geschlagen: er hatte je kein Schlagobjekt zur Verfügung; der Springer offensichtlich auf f3. Also stammt der wBf3 von e2, denn [Bg2] musste vor seiner Umwandlung (es stehen ja drei weiße Türme auf dem Brett!) noch [Bh7] beseitigen, um sich dann auf h8 umzuwandeln.

Der Turm steht dann natürlich bös im Weg: Schwarz muss ja seine Türme und auch seine Dame auf die h-Linie bringen. Dabei wird zumindest für die Türme das Feld h8 benötigt, das der UW-Turm also wieder räumen muss. Außerdem muss man sich Gedanken um Schachschutz für [Ke8] machen. Und nebenbei steht [Th8] schon der Umwandlung im Weg, muss deswegen im Vorfeld also sein Standfeld frei machen.

Weiterlesen

Retro der Woche 49/2017

Wenn man bei Luigi Ceriani ein „einfaches“ Hilfsmatt sieht, wird man natürlich stutzig: Steckt da nicht irgendwo Retroanalyse drin? Besonders, wo hier die Rochadestellungen bei Schwarz und Weiß auffallen.

Luigi Ceriani
Sahovski Vjesnik 1951, 1. Preis (V)
h# in 2,5 Zügen (11+14)

 

Kurz noch der Hinweis, dass hier „2,5 Züge“ bedeutet, dass der erste (schwarze) Halbzug entfällt, also Weiß zieht an und setzt mit freundlicher Hilfe von Schwarz in seinem dritten Zug matt.

Wirklich überraschend ist es nicht, dass wir fix je eine Lösung mit weißer und eine mit schwarzer Rochade finden:

Weiterlesen

Retro der Woche 48/2017

„Ein Problem, das man wegen seiner Originalität immer wieder zeigen wird.“ meinte Preisrichter Thierry Le Gleuher zu der heutigen Aufgabe, und Meisterlöser Silvio Baier kommentierte damals: „Gleich der nächste Höhepunkt. Nur mit einem deutlichen Hinweis von Roberto habe ich das geknackt.“ (Mit dem vorangehenden Höhepunkt meinte er übrigens unser Retro der Woche 48/2013, das direkt davor veröffentlicht wurde.)

Damit sollte ich euch neugierig gemacht haben auf das heutige Stück?

Jorge Joaquin Lois & Roberto Osorio
Die Schwalbe 2010, 4. ehrende Erwähnung
Beweispartie in 21 Zügen (12+15)

 

Der einzige fehlende schwarze Stein wurde auf c3 geschlagen. Da nur [Bh7] fehlt, muss der sich umgewandelt haben, um dann entweder selbst auf c3 geschlagen worden zu sein oder das dortige Opfer zu ersetzen.

Besonders auffällig am Diagramm ist aber zunächst nicht so sehr diese recht offensichtliche Umwandlung, sondern sind die beiden weißen Türme im Nordwesten mitten im schwarzen Lager. Da müssen wir sicherlich genauer hinschauen, wie die dorthin gelangen konnten?

Weiterlesen

Retro der Woche 47/2017

Der in diesem Jahr im Alter von 97 Jahren verstorbene Raymond Smullyan (siehe auch das letzte Für zwischendurch) hat sehr viel zur Popularisierung der Retroanalyse beigetragen: Viele haben ihren ersten Kontakt zu unserer Lieblings-Problemart durch die Übersetzung seiner Bücher ins Deutsche („Schach mit Sherlock Holmes“ und „Die Schachgeheimnisse des Kalifen“, beide im Otto Maier Verlag Ravensburg als Taschenbuch erschienen und beide nur noch antiquarisch zu bekommen.) gefunden, in denen er die Aufgaben in kleine Geschichten eingebettet hatte.

Einige Retro-Experten schätzen ihn als Komponisten nicht sehr hoch ein, da er für seine Aufgaben häufig Randbedingen nutzte, die eher an mittelalterliche Wett-Aufgaben als an modernes Problemschach erinnern. Im Sinne der Popularisierung sind solche Rätsel sicher nicht verkehrt — und er konnte auch gute „klassische“ Retros komponieren, von denen ich heute ein nicht allzu schwer zu lösendes vorstellen möchte.

Raymond Smullyan
The Chess Mysteries of Sherlock Holmes 1979
Welche Figur steht auf h4? (10+10+1)

 

Beginnen wir wie üblich mit Überlegungen zur Schlagbilanz. Die sind hier zunächst etwas schwieriger, da wir über die Farbe des Steins auf h4 nichts wissen, wir also für genau eine Farbe sechs, für die andere fünf Schläge haben.

Beginnen wir mit Schwarz: dort sieht man sofort bxa6 und f7xe6xd5xc4, das macht vier Schlagfälle. Bei Weiß sieht man anhand der Bauernkonstellation zunächst keinen Schlag, aber kann doch sehr schnell fünf Schläge ermitteln:

Weiterlesen

Retro der Woche 46/2017

Heute möchte ich gern wieder ein älteres klassisches Stück vorstellen, das wir noch „geschichtlich einordnen“ werden und das gar nicht so schwer zu lösen ist: Wenn ihr die Aufgabe nicht kennt, solltet ihr euch an der Lösung versuchen.

Boris Lurje & Nikita Plaksin
Ranok 1988, 1.-2.Preis
Löse die Stellung auf! (11+13)

 

Bei Weiß fehlen vier Bauern sowie der schwarzfeldrige Läufer, und das korrespondiert direkt mit den sichtbaren schwarzen Schlägen: b7xc6xd5xe4, f7xe6 sowie g7xLf6 — letzteres ergibt sich daraus, dass alle anderen schwarzen Schläge auf weißen Feldern stattfanden, wo natürlich [Lc1] nicht geschlagen werden konnte.

Weiterlesen

Retro der Woche 45/2017

Roberto Osorio, der Probleemblad Retro-Sachbearbeiter, hat sich dankenswerterweise bereit erklärt, gemeinsam mit Hans Gruber die Schwalbe-Retros 2018 zu richten. Dieses Team kann die Zusammenarbeit bereits bei den feenschach-Retros 2017 üben.

Von Roberto möchte ich heute ein schon etwas älteres Stück, das zu seiner Preisrichter-Amtszeit bereits 15 Jahre alt sein wird, vorführen: Es hat mich, als ich es zum ersten Mal sah, ziemlich beeindruckt.

Roberto Osorio
Problem Paradise 2003, 3. ehrende Erwähnung
Beweispartie in 23,5 Zügen (9+15)

 

Mit dem Zählen der sichtbaren weißen Züge ist man schnell fertig; ein wenig hilfreicher sind da die schwarzen Züge: 4+2+4+2+3+5=20 — Es fehlen also „nur noch“ drei schwarze Züge.

Vielleicht kann ja eine genauere Betrachtung des Diagramms Hilfestellung geben, die möglicherweise zu identifizieren, zumindest die schwarzen Freiheiten weiter einzuschränken?

Weiterlesen

Retro der Woche 44/2017

Henry Anthony Adamson (21.01.1871 – 21.08.1941) war ein Autor, der sich im Umfeld des jüngeren Thomas Rayner Dawson (28.11.1889 – 16.12.1951) intensiv mit Retroanalyse beschäftigt hat, auch wenn sein „Output“ nicht riesig ist: Die PDB umfasst nur 21 Retros von ihm.

Adamson hat sich speziell mit „Hilfsretraktoren“ beschäftigt: es werden Züge zurückgenommen (Weiß und Schwarz kooperieren, wenn mehrere Züge zurückgenommen werden sollen), anschließend muss eine Vorwärtsforderung erfüllt werden. Bei den komplexen Retraktoren von Adamson gilt es dabei, die möglichen Lösungen retroanalytisch zu untermauern, bzw, auszuschließen. Ein reines Auflöse-Retro von Adamson findet ihr als Retro der Woche 52/2012.

Schauen wir uns nun einen seiner Hilfsretraktoren an:

Henry Adamson
The Fairy Chess Review 1938
Schwarz nimmt 1 Zug zurück, dann h#1 (15+13)

 

Der fehlende weiße Stein wurde mittels g7xf6 geschlagen, ferner sehen wir sofort zwei weiße Schlagfälle: dxe3 und hxg3. Auch den dritten können wir schnell klären, wenn wir betrachten, welcher weiße Stein fehlt: Das ist [Ba2], der aber nicht direkt auf f6 geschlagen werden konnte. Also musste er sich umwandeln, um entweder selbst geschlagen zu werden oder das Schlagopfer zu ersetzen. Als dritten weißen Schlag haben wir also axb7, damit sich [Ba2] auf b8 umwandeln konnte.

Weiterlesen