Retro der Woche 42/2021

Gestern erst habe ich auf die Oktober-2021-Ausgabe der Schwalbe hingewiesen, habe ich erst darauf hingewiesen, dass ich noch darauf zurückkommen werde — und heute ist es schon so weit: Ich möchte euch den ersten Preis der Beweispartie-Abteilung des Jahrgangs 2019 vorstellen.

Michel Caillaud
Die Schwalbe 2019, 1. Preis Gruppe A
Beweispartie in 23,5 Zügen (16+16)

 

Hier müssen wir erst gar nicht nach verräterischen Doppelbauern schauen: Es sind noch „alle Mann an Bord“! Also versuchen wir unser Glück mit den Zählen der sichtbaren erforderlichen Züge: Bei Weiß sind das 7+0+0+2+1+2=12 — das ist erst einmal erschreckend, wenn die Hälfte der Züge noch offen ist.

Bei Schwarz kommen wir auf 1+2+8+3+4+5=23 — alle schwarzen Züge sind erklärt. Um mit acht Zügen der schwarzen Türme auszukommen, brauchen wir die Zugwege Th8-h6-c6-c3(4) sowie Ta8-e8-e6-f6-f4(3)-c4(3), also 3+5.

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Retro der Woche 41/2021

Ähnlich wie StrateGems, von dessen Pünktlichkeit ich in der letzten Woche berichtet hatte, kann man sich auch beim spanischen Problemas darauf freuen, sich pünktlich zum Quartalsbeginn an einem neuen Exemplar erfreuen zu können.

Problemas ist eine sehr vielsprachige Zeitschrift (natürlich spanisch und englisch, gelegentlich auch mal französisch oder deutsch), die allerdings nicht gedruckt, sondern ausschließlich (kostenlos) im Internet erscheint: Natürlich könnt ihr die .pdf-Datei auf euren Rechner, auf euer Tablet laden, um die Exemplare stets griffbereit zu haben.

Das heutige Beispiel (aus dem Januar-Heft) zeigt die inhaltliche Breite, die komplett vom #2 über Studien und Märchenschach bis hin zu (auch nicht-orthodoxen) Retros reicht; der Verfasser ist regelmäßiger Mitarbeiter von Problemas.

Andrej Frolkin
Problemas 2021
Letzte 6 Züge? 2+2 Grashüpfer (15+11)

 

Die kopfstehenden Damen sind Grashüpfer, die auf Damenlinien ziehen, aber einen Sprungbock brauchen, um direkt dahinter zu landen und dabei ggf. einen gegnerischen Stein zu schlagen. sGa1 könnte also Ga4, Gd4 oder Gxc1 ziehen. Bei Retros gilt die Konvention, dass Märchensteine als durch Bauernumwandlung entstanden angesehen werden.

Bei Weiß fehlt nur [Lf1], der offensichtlich mittels e6xLf5 geschlagen wurde — mehr Schlagfälle stehen Schwarz auch nicht zur Verfügung.

Damit müssen auch die beiden schwarzen Bauernmärsche zu den Umwandlungen in Grashüpfer schlagfrei verlaufen sein. Um zu sehen, wo Weiß möglicherweise geschlagen hat, sollten wir erst einmal bemerken, dass der schwarze König im Schach steht. Das kann Weiß nicht mit Gc6-e8+ zurücknehmen, da der schwarze König ja bereits von c6 aus im Schach gestanden hätte; also muss Weiß entwandeln: R 1.e7-e8=G#.

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Retro der Woche 40/2021

Darauf kann man sich verlassen: Dass pünktlich zum Quartalswechsel die neue Ausgabe von StrateGems im Briefkasten liegt, so auch in der letzten Woche.

In diesem Heft findet man eine Fortsetzung der Serie Notable Composers mit einem Beitrag über Mario Parrinello, Kardiologe und Allgemeinmediziner, Kompositionsgroßmeister seit 2012. Besonders bekannt ist Mario als Hilfsmatt- und Märchenschachkomponist; in diesem Artikel werden zwölf solche Aufgaben vorgestellt und wie immer ausführlich kommentiert — sehr lesenswert!

Hier interessieren wir uns natürlich noch mehr für seine gar nicht so seltenen Ausflüge in den Bereich der Beweispartien: die PDB umfasst 33 solcher Aufgaben, WinChloe gar 58. Meist sind es nicht allzu lange, sehr pointierte Aufgaben; so auch unser heutiges Beispiel.

Mario Parrinello
StrateGems 2002, 1. Lob
Beweispartie in 14 Zügen (15+13)

 

Beginnen wir wie üblich mit der Inventur: Bei Weiß fehlt nur ein Springer, bei Schwarz ebenfalls ein Springer sowie der schwarzfeldrige Läufer und ein Bauer. Die fehlenden schwarzen Steine sind durch Bauernschläge vollständig erklärt, die Frage ist nur, wie der weiße Springer starb.

Auf den ersten Blick könnte er auf e6 geschlagen worden sein, ferner schlug Weiß mit f6xBe7 den Bauern; die beiden schwarzen Offiziere opferten sich dann auf a3 bzw. c3. Funktioniert das aber auch noch auf den zweiten Blick?

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Retro der Woche 39/2021

In seinem Retro-Preisbericht für den feenschach-Jahrgang 2019 setzte Andrej Frolkin drei Märchenretros auf die ersten Plätze, den ersten Preis haben wir uns hier in der letzten Woche ansehen können. Heute möchte ich euch das bestplatzierte orthodoxe Stück vorstellen.

Nein, das ist keine Beweispartie, sondern eine ganz klassische Auflöse-Aufgabe, und zwar aus dem Retro-Sonderlösungsturnier, das Gerald Ettl in feenschach-Heft 238 (XI-XII/2019) mit zwölf eigenen Urdrucken ausgeschrieben hatte; im Retro der Woche 16/2020 war ich auf dieses Turnier bereits eingegangen.

Gerald Ettl
feenschach 2019, 4. Preis
Löse auf! (16+13)

 

Weiß hat alle Mann an Bord, Schwarz kann also nicht geschlagen haben. Bei Schwarz hingegen fehlen drei Steine: ein Springer sowie [Ba7] und [Bf7]. All diese Steine wurden von weißen Bauern geschlagen: axb, dxc3 sowie gxf3.

Damit ist klar, dass [Ba7] umgewandelt haben muss, denn er konnte die a-Linie ja nicht verlassen, aber dort auch nicht geschlagen werden. Und deswegen können wir axb auch erst zurücknehmen, wenn der a-Bauer auf a1 entwandelt und sich schon wieder ein Stückchen zurückgezogen hat.

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Retro der Woche 38/2021

Bleiben wir bei aktuellen Retro-Preisberichten aus feenschach: Andrej Frolkin ging in seinem Bericht für den Jahrgang 2019, wie immer von ihm ebenso zügig wie profund vorgelegt und perfekt aufbereitet, auf die recht ungewöhnliche Verteilung der Aufgaben in „orthodox“ und „Märchenretros“ ein: Im orthodoxen Bereich fehlten Beweispartien fast vollständig, während bei den klassischen Auflöse-Aufgaben alle 21 vom selben Autor stammen!

Auf den ersten drei Plätzen landeten drei Märchenretros, bei denen die Autoren geschickt die Bedingungen bzw. Figuren ausgewählt haben, die sie das intendierte Thema darstellen ließen.

Den ersten Preis gewann eine Aufgabe des französischen Spezialisten, der auch im Bereich der Märchen-Beweispartien schon hervorragende Erfolge erzielt hat.

Nicolas Dupont
feenschach 2019, 1. Preis, Vlaicu Criçan gewidmet
Beweispartie in 16 Zügen, Vertikales Spiegelcirce (16+16)

 

 

Die Bedingung „Vertikales Spiegelcirce“ ist viel einfacher, als man bei dem recht sperrigen Namen vermuten sollte: „Ein geschlagener Stein wird auf dem Feld wiedergeboren, das sich symmetrisch an der vertikalen Mittelsenkrechten zu seinem Ursprungsfeld befindet.“ (Definition aus dem Schwalbe-Lexikon) Ein auf d3 (weißes Feld) geschlagener schwarzer Turm wird also nicht auf a8 wie im „normalen“ Circe wiedergeboren, sondern auf h8, sonst gelten die normalen Circe-Regeln.

Bei Weiß sind nur zwei Züge sichtbar, bei Schwarz allerdings springt die Bauernstruktur sofort ins Auge.

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Retro der Woche 37/2021

In der letzten Woche gab es die erste ehrende Erwähnung im Retro-Preisbericht für 2018 von feenschach zu sehen; heute möchte ich euch den ersten Preis aus diesem Turnier zeigen.

Ich habe „zeigen“ geschrieben, weil ich nicht unbedingt davon ausgehe, dass ihr euch selbst aufs Lösen stürzt, obgleich das natürlich klasse wäre. Deshalb verstecke ich wie üblich auch wieder die Lösung — und die kommentiere ich dabei auch noch ein wenig: Ähnlich, wie ich es in dem Preisbericht gemacht habe.

Günther Weeth
feenschach 2018, 1. Preis
#1 vor 10 Zügen, VRZ Høeg, Anticirce (5+13)

 

Beim Verteidigungsrückzüger nach Niels Høeg bestimmt, wir erinnern uns, die Gegenseite, ob und wenn ja was entschlagen wurde. Und bei Anticirce wird der Schläger auf seinem Partieanfangsfeld wiedergeboren; ist das besetzt, so ist der Schlag unmöglich. In der Diagrmmstellung kann also nur der weiße König — er steht als einziger auf seinem Partieanfangsfeld — entschlagen. Im ersten Moment meint man vielleicht, das sei eine deutlich Lösungsvereinfachung? aber das ist es nur bedingt, da der weiße König ja quasi überall auf dem Brett geschlagen haben könnte.

(Ich orientiere mich in der Lösungsangabe und -kommentierung stark an meinem Preisbericht in feenschach 244.)

Günther Weeth hat sich in den letzten Jahren intensiv bemüht, dem Anticirce-Verteidigungsrückzüger weitere interessante Seiten abzugewinnen. Neben seinen „magischen Wandersteinen“ und in letzter Zeit der Verbindung mit Circe sei hier die Untersuchung des Typs Høeg besonders erwähnt, der noch einmal zusätzliche Komplexität bringt: Bei jedem Entschlag müssen die Interessen der Gegenseite berücksichtigt werden.

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Retro der Woche 36/2021

In den letzten Jahren kann man nicht nur in der Schwalbe, sondern auch in vielen anderen Problemzeitungen den Trend feststellen, dass der absolute und prozentuale Anteil an (klassischen) Beweispartien abnimmt. Inwieweit das nur eine „Konjunkturdelle“ ist, werden wir wohl in fünf oder zehn Jahren sehen; das momentan laufende 11. WCCT könnte möglicherweise darauf hindeuten, ist die Beteiligung an der Retroabteilung dort doch sehr gut.

Auch in den schon erwähnten feenschach-Preisberichten manifestiert sich der Eindruck eines Rückgangs. Aus „meinem“ Preisbericht für den Jahrgang 2018 möchte ich die bestplatzierte Beweispartie (im Gesamtrang auf Platz vier gelandet) vorstellen:

Bernd Gräfrath
feenschach 2018, 1. ehrende Erwähnung
Beweispartie in 10 Zügen, zwei Lösungen (11+10)

 

Sicherlich ein extrem lösefreundliches Stück: Doppelte Homebase, zwei Lösungen, relativ kurz: Wenn das nicht zum Lösen vom Blatt reizt, dann weiß ich es kaum!

So elegant solche Homebase-Positionen sind, so wenig Ansätze bieten sie zum Lösen: Weder verrät die Bauernposition etwas über (die reichlich vorkommenden) Schläge, noch kommen wir mit dem Zählen sichtbarer Züge weiter: Unseren einzigen Hilfen sind die fehlenden Steine.

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Retro der Woche 35/2021

Nach dem 1. Preis der Beweispartien im Schwalbe-Retroturnier 2018 möchte ich nun der Sieger der zweiten Kategorie „Klassische Retros und Rückzüger“ vorstellen: ein imposantes Werk von Michel Caillaud, einer der tiefsten Verteidigungsrückzüger, den ich kenne.

Michel Caillaud
Die Schwalbe 2018, Wolfgang Dittmann zum Gedenken, 1. Preis Abteilung B
#1 vor 71 Zügen, VRZ Proca ohne VV(9+10)

 

„ohne Vorwärtsverteidigung“ bedeutet, dass Schwarz nicht das Recht hat, nach einer Zugrücknahme das Vorwärtsziel zu erfüllen. So war es von Zeno Proca auch gedacht, jedoch hat sich in den letzten gut vierzig Jahren eher als Standard „mit Vorwärtsverteidigung“ durchgesetzt.

Zunächst erkennen wir, dass die schwarzen Bauern auf der a- und der b-Linie alle fehlenden weißen Figuren geschlagen haben. Damit kommt sBf3 schlagfrei von f7; die weißen Bauern haben also zumindest vier der fehlenden sechs schwarzen Steine geschlagen.

Nach R 1.Ld6-b8 wäre Weiß schon am Ziel, wenn nach vor: 1.axb4+ Schwarz nicht noch das Fluchtfeld a6 hätte. Das kann wLg8 nehmen, dafür hat Weiß nun 70 Züge Zeit — und muss natürlich aufpassen, dass der schwarze König in seinem Nest bleiben muss. Das erfordert eine Menge an Zickzack-Manövern von König und Läufer.

Ich gebe nun „einfach“ die Lösung mit den Anmerkungen von Michel wieder: Natürlich lade ich jeden ein, selbst Löseversuche zu unternehmen, aber mit den Anmerkungen zusammen sollte sich die Strategie des Weißen auch im Nachspielen erschließen. Dafür vielleicht die Empfehlung, die Lösung erst einmal komplett durchzuspielen und das dann zu wiederholen, wobei ihr nun besonders auf die Erklärungen des Autors achten solltet.

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