Im Retro der Woche 42/2021 hatte ich den ersten Preis in der Beweispartie-Abteilung des Retro-Turniers 2019 in der Schwalbe vorgestellt. Heute will ich den zweiten Preis folgen lassen, der mir auch sehr gut gefällt, da er eine sehr originelle Idee höchst elegant präsentiert.
Reto Aschwanden Die Schwalbe 2019, 2. Preis Gruppe A Beweispartie in 18,5 Zügen (14+14)
Kein einziger Bauernschlag ist im Diagramm auszumachen, bei Schwarz ist nur ein einziger Zug zu sehen — also beginnen wir mit dem Zählen der weißen Züge: Sicherlich können wir daraus erste Schlüsse ziehen.
Also: 3+1+3+4+1+5=17 — zwei Züge sind noch frei. Aber waren wir da nicht zu optimistisch? Was passierte beispielsweise auf der h-Linie?
Allen Retrofreunden wünsche ich
ein gutes neues Jahr 2022!
Wie in den letzten Jahren möchte ich heute mit euch zusammen einen Blick in die Geschichte der Retroanalyse 100 Jahre zurück werfen.
In diesem Jahr ging der Stern eines Jung-Twens auf: Hans Klüver aus Hamburg (*4.3.1901). Große Aufmerksamkeit brachte sein monumentaler Aufsatz (20 Seiten, 40 Aufgaben) “Schnittpunktphänomene in der retrograden Analyse“ im ebenso monumentalen Kongressbuch des Turniers in Teplitz-Schönau im Oktober 1922 (664 Seiten, davon mehr als 200 (!) über Problemschach). Dies war der bis dahin bedeutendste deutschsprachige Beitrag zur Retroanalyse, und Klüver wandte sich besonders an die „Neudeutschen“, um deren Interesse für das rückläufige Spiel zu wecken — dazu waren natürlich Schnittpunkt-Themen besonders geeignet.
Aus dem Artikel möchte ich den Klüver’schen Originalbeitrag vorstellen und euch zum Lösen einladen — so schwer ist die Aufgabe nicht!
Hans Klüver Schachkongress Teplitz-Schönau 1922 Weiß nimmt seinen letzten Zug zurück und setzt in zwei Zügen matt. (13+14)
In einer Woche werde ich hier die Lösungsangabe aus dem Kongressbuch zitieren.
Lösung
Aus dem Kongressbuch S. 483-484, zu Nr. 30:
Nr. 30 zeigt ein antikritisches Manöver im weiß-schwarzen Schnittpunktgefüge. Schwarz könnte zuletzt nicht gezogen haben, da g7-g6 den zu entschlagenden schwarzen Königsläufer aussperren und c7-c5 den Ld8 einsperren würde. Weiß muß also einen Zug zurücknehmen, der einen legalen schwarzen Retrozug ermöglicht. Ein Entschlag auf g4 (h3:Dg4) ist nicht angängig, da der Bg4 auf g3 den schwarzfeldrigen Läufer zu entschlagen hat, um nach dessen Bewegung nach f8 und der eines Turmes nach h8 g7-g6 nebst f6:Dh7 zu ermöglichen. Einzige Möglichkeit: 1.Lb6-d8! (antikritisch) c7-c5; 2.Kd4-d5! e6-e5+ 3.Sa2-b4 (Kc6-b7) oder 3.Lc5-b6 (Sb6-a8). Nach Rücknahme von Lb6-d8 kann Weiß dennoch mittels bc: ep+ dc:+ 2.Lc6# matt setzen.
Wenn sich das Schachbrett vor unseren Augen dreht, kann das daran liegen, dass es auf einer Tortenplatte steht, zum Beispiel auf der berühmten von Dr. Ernst Bachl. Oder das liegt an dem einen oder anderen Silvesterpunsch zu viel.
Wenn sich aber nur das Zentrum des Bretts dreht, dann liegt das wahrscheinlich an der Märchenschach-Bedingung „Actuated Revolving Centre“!
Deren Regel ist eigentlich ganz einfach: Nach einem Zug ins Zentrum (Felder d4 e4 d5 e5) oder aus dem Zentrum heraus dreht sich das Zentrum mit all seinen Steinen darin um 90° im Uhrzeigersinn.
Zum Jahreswechsel lädt uns Michael Barth ein, zwischendurch ins Rotieren zu kommen. Wer rotiert mit?
Michael Barth Urdruck 31.12.2021 Beweispartie in 5 Zügen, Actuated Revolving Center (16+16)
Die Lösung findet ihr hier im kommenden Jahr — etwas konkreter: etwa in einer Woche!
Und nun wünsche ich euch einen schönen Silvestertag, kommt gut ins neue Jahr, dort sehen wir uns dann hoffentlich gesund und munter wieder!
Hier die Lösung:
Lösung
(“D” bedeutet Drehung des Zentrums)
1.e2-e4 D d7-d5 D 2.d5-d6 D Lc8-f5 3.d2-d4 D e7-e5 D 4.e5-e6 D d4-d3 D 5.Lc1-f4 e4-e3 D
Da zeigt Michael jeweils zwei weiße und zwei schwarze schlagfreie Betrüger-Bauern, ähnlich den orthodoxen Kreuzschlägen — wenn das nicht spezifisch ist für diese interessante Bedingung!
Eben erhielt ich von Andrej Frolkin die Mitteilung, dass der Längenrekord für orthodoxe Beweispartien, der hier am ersten Weihnachtstag urgedruckt wurde, doch noch defekt ist:
In den letzten Wochen haben wir uns intensiv mit der Geschichte der Längenrekorde eindeutiger Beweispartien beschäftigt, die dann gestern hier ihren Höhepunkt im neuen Rekord fand.
Darum möchte ich heute einerseits die Retro-Art wechseln, andererseits auch ganz aktuell werden; ich möchte euch heute einen orthodoxen Verteidigungsrückzüger vorstellen, der im Juni 2021 in der Schwalbe veröffentlicht wurde und mir sehr gut gefällt. Ihr erinnert euch? Beim Typ “Proca” bestimmt die schlagende Partei, welcher gegnerische Stein geschlagen wurde.
Joaquim Crusats Die Schwalbe 2021 #1 vor 6 Zügen, VRZ Proca (15+12)
Bei so vielen Steinen auf dem Brett, von denen wahrscheinlich einige nicht am Rückspiel bzw. dem Matt teilhaben werden, lohnen sich häufig ein paar retroanalytische Überlegungen vor.
Umwandlungen haben nicht stattgefunden, da alle 16 Bauern auf dem Brett stehen. Bei Weiß fehlt nur [Lf1], der auf b5 geschlagen wurde. Bei Schwarz fehlen Dame, Turm, (schwarzfeldriger) Läufer und Springer; die weiße Bauernstellung verrät nichts über mögliche Schlagfelder.
Bei genauerem Hinsehen stellt man fest, dass Schwarz retropatt ist, er im Moment überhaupt keine Zugrücknahme zur Verfügung hat.
Also müssen wir mit dem Schlüssel Schwarz eine Rücknahme ermöglichen, um uns dann um das Matt zu kümmern.
Nachtrag 31.12.2021:
Leider ist der Versuch noch nebenlösig!
Am vierten Advent hatte ich noch gefragt, wie lange eurer Meinung nach der bestehende Längenrekord für (orthodoxe) Beweispartien wohl noch Bestand haben werde — und sechs Tage später präsentieren vier Autoren ihre Überbietung!! (OK, ich gebe zu: Als ich die Frage stellte, kannte ich schon die Antwort…)
Vor knapp fünf Jahren war der Versuch der ersten drei Autoren noch von Boris Tummes gekocht worden, nun hat er das Autorenteam verstärkt — und herausgekommen ist eine Beweispartie, die nun drei Halbzüge länger ist als der bisherige Rekord.
Dmitri Pronkin, Andrej Frolkin, Werner Keym & Boris Tummes Urdruck Beweispartie in 59 Zügen (14+14)
Kurz noch einmal zur Geschichte:
In den Jahren 1988/89 arbeiteten Pronkin und Frolkin elf Monate lang mit Hunderten von Positionen. Eine erste Rekordfassung (mit 58,0 Zügen) erschien in der Schwalbe im Juni 1989, eine kleine Korrektur (mit 57,5 Zügen), der bisherige Rekord, im Februar 1990. 2016 unternahm Frolkin, von Keym unterstützt, einen zweiten Versuch (Die Schwalbe , Februar 2017); doch wurde ihre Beweispartie (58,5 Züge) von Tummes als dualistisch nachgewiesen (Die Schwalbe, April 2018). In einem dritten Anlauf gelang Frolkin im Dezember 2021 gemeinsam mit Keym und Tummes der Durchbruch, der neue Rekord mit 59,0 Zügen.
Ich will euch gar nicht empfehlen, die Aufgabe selbst zu lösen — wer das dennoch machen will, wer noch weiter prüfen will, ist natürlich herzlich eingeladen!
Ansonsten: Spielt zuerst einmal die Lösung genüsslich durch, stellt euch für die nächsten Male im Prinzip die gleichen Fragen, wie ich sie für den alten Rekord vorgeschlagen hatte — und zum Schluss versucht einmal die Kniffe zu ergründen, mit denen den fantastischen Vier die Verlängerung gelang? Viel Spaß und anregende Beschäftigung wünsche ich euch dabei!
Lösung
Und den Vieren gilt mein herzlicher Glückwunsch zu dieser Großtat — und mein ebensolcher Dank, dass sie mir die Ehre zuteilwerden ließen, diese Superaufgabe hier im Blog urzudrucken und damit auf einen sicheren ersten Preis in einem beliebigen Informalturnier zu verzichten. Übrigens soll in der Schwalbe 2022 hierzu ein Aufsatz „aus erster Hand“ erscheinen, auf den ich schon sehr gespannt bin.
Am heutigen ersten Weihnachtstag gehen herzliche Glückwünsche nach Finnland, wo Unto Heinonen seinen 75. Geburtstag feiert.
Unto ist uns Retrofreunden besonders als vielseitiger Komponist von Beweispartien bekannt, er ist aber auch sehr fleißig und erfolgreich im Bereich des Märchenschachs, wo er ein besonders produktiver Mitarbeiter der Augsburger Problemkiste war — allein dort sind über 1000 seiner Aufgaben erschienen.
Seine Beweispartien — die PDB enthält 190, von denen 58 in der Schwalbe erschienen sind — sind immer abwechslungsreich, zeichnen sich stets durch Originalität und Qualität aus. Nicht umsonst habe ich schon 15 seiner Stücke im der „Retro der Woche“ Rubrik veröffentlicht.
Heute möchte ich von Unto eine Synthese aus orthodoxer Beweispartie und Märchenschach vorstellen; viel Spaß beim Lösen!
Unto Heinonen StrateGems 2001 Beweispartie in 8,5 Zügen — b) Beweispartie in 8 Zügen, Madrasi (14+12)
Und wie stets folgt die Lösung hier in etwa einer Woche.
Frohe Weihnachten Schöni Wienacht Merry Christmas Zalig Kerstfeest Feliz Navidad Buon Natale Joyeux Noël З Рiздвом Христовым С Рождеством Христос се роди メリークリスマス 圣诞节快乐 Glædelig Jul Hyvää Joulua God Jul
Euch allen wünsche ich ein frohes, ein schönes, ein ruhiges, ein friedliches und besinnliches Weihnachtsfest 2021!
Vielleicht habt ihr ja jetzt an den Feiertagen Zeit, Lust und Muße, zwischendurch eine hübsche kleine Retroaufgabe zu lösen?
Bengt Giöbel & Frithjof Lindgren Eskilstuna-Kuriren 1948 (Verbesserung) -1w, dann #2; b) alle Steine ein Feld nach rechts (10+2)
Viel Spaß dabei, und lasst euch dabei die Weihnachtsplätzchen schmecken! Die Auflösung gibt es wie immer in etwa einer Woche hier!
Und morgen, am 25.12., schaut hier unbedingt vorbei, da gibt es Bescherung!
Hier nun die Lösung:
Lösung
a) R 1.Ke1-d1 & vor: 1.O-O-O! Ke2 2.Td2#
b) R 1.Td1-b1 & vor: 1.O-O! Ke2 2.Tfe1#