Retro der Woche 29/2025

Im Partieschach kann ein Spieler Remis reklamieren, wenn er nachweist, dass er mit seinem nächsten Zug eine Stellung herbeiführen kann, die bereits zweimal auf dem Brett gestanden hat: Gleiche Postition und gleiche Zugrechte. diese Kann-Regel wurde schon im Piraner Kodex von 1958 zur Muss-Regel beim Problemschach, denn dort gibt es ja keinen Spieler, der das Remis einfordern kann.

Diese Regel ist auch sehr nützlich: Ohne sie gäbe etwa keine Pendel-Manöver im Verteidigungsrückzüger, Schachprobleme können also mit dieser Regel vielfältiger sein als ohne!

Ähnlich macht man es auch mit der 50-Züge-Regel: Kein Schlag, kein Bauernzug in den letzten 50 Zügen führt zwangsweise zum Remis — beim Problemschach hat man auch „keine Rochade“ hinzu genommen; das wechselt beim Partieschach gelegentlich, ist dort aber in den Endspielen, in denen diese Regel meist relevant ist, nicht von besonderer Bedeutung. Und ja, da dies nicht eindeutig festgelegt ist, ist dies eine (aber allgemein akzeptierte) Grauzone.

Interessante, meist recht recht komplexe klassische Retros lassen sich mit der 50-Züge-Regel konstruieren; Nikita Plaksin war ein Meister darin, solche Mechanismen zu erfinden. Aber so kompliziert muss es gar nicht immer sein, wie das heutige Beispiel von Thierry Le Gleuher zeigt.

Thierry Le Gleuher
The Problemist 2021, Spezialpreis 2021-2022
Woher kommen die Türme? (14+11)

 

Weiß hat drei Türme; der einzig fehlende Bauer [Bb2] muss sich also umgewandelt haben. Damit fehlen bei Weiß Dame und ein Springer, die beide im Nordosten geschlagen wurden. Für die Turmumwandlung war ein Schlag nötig (bxXa7), der schwarze Damenläufer wurde zu Hause geschlagen, und die drei anderen fehlenden schwarzen Stein starben im Südosten. Und damit sind alle Schläge erklärt.

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Retro der Woche 28/2025

In den Beiträgen der letzten beiden Wochen hatte ich bereits Preisträger des 11. WCCI vorgestellt: jeweils eine Aufgabe des Drittplatzierten Andrij Frolkin und des „runner-up“, wie die Engländer so schön sagen, Dmitrij Baibikov.

Heute ist nun natürlich der Sieger an der Reihe, da stelle ich eine der Aufgaben, die Silvio Baier fürs WCCI eingesandt hatte, vor.

Silvio Baier
The Problemist 2022, 1. Preis
Beweispartie in 32,5 Zügen (12+14)

Soo viele Züge — und nur einer bei Weiß sichtbar? Das Thema können doch nur ein paar Umwandlungen bei Weiß sein — und vielleicht erinnert ihr euch an eine tolle Artikelserie von Silvio in der Schwalbe Dezember 2022 bis April 2023 zur Themenkombination “Je zwei Ceriani-Frolkins und Pronkins” — die ist übrigens immer noch lesens- und studierenswert.

Beim Blick aufs Diagramm könnte man auf den Gedanken kommen: „die a-, d- und h-Linie sind offen, da bieten sich doch Turm- und/oder Damen-Pronkins an?“ Brav haben ja die schwarzen Offiziere, die anfangs dort auf der 8. Reihe stehen, auch Platz geschaffen.

Nun gilt es also nur noch die zwei Ceriani-Frolkin-Steine zu bestimmen — und dann zu schauen, was Weiß mit den übrig gebliebenen Zügen machen muss?

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Retro der Woche 27/2025

2. Nachtrag vom 29.6.2025: Doch nicht gekocht, siehe unten!

Den zweiten Platz in der Retro-Abteilung des 9. WCCI belegte Dmitrij Baibikov. Er war in den vierten bis sechsten WCCI Retro-Weltmeister, und nun scheint er auf den zweiten Platz abonniert zu sein.

Ein wenig Pech hatte er dieses Mal, denn sein unglaubliches Illegal Cluster, dem zu den angegebenen sieben Steinen alle anderen 25 hinzugefügt werden sollten — siehe Retro der Woche 5/2023 erwies sich leider als nebenlösig; die Aufgabe hätte sicherlich gut für weitere Punkte bei Dmitrij gesorgt.

Heute möchte ich euch eine ganz besondere Märchenaufgabe zeigen, die “optisch” schon als Zweisteiner-Retro besonders ins Auge fällt.

Dmitrj Baibikov
Die Schwalbe 2023
a) Letzte 10 Einzelzüge? b) Was waren die Schläge? Strikt wachsende Steine (1+1)

Die Bedingung muss sicherlich erklärt werden, ich greife dazu aufs bewährte Schwalbe-Lexikon zurück: “Jeder Stein kann nur Züge ausführen, die weiter sind als sein vorangegangener Zug. Diese Beschränkung gilt auch in Bezug auf die Wirkung auf den gegnerischen König.”

Dies ist natürlich eine extrem einschränkende Bedingung; halbwegs beweglich bleiben nur die Langschrittler. Ein weißer Bauer kommt nicht über die 4. Reihe hinaus: Doppelschritt oder Einfachschritt gefolgt von einem Schlag, ebenso kann ein König maximal zwei Züge machen: Erst orthogonal, dann diagonal (oder rochieren, dann kann er sich auch nicht mehr bewegen). Und ein Springer kann nur ein einziges Mal ziehen.

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Retro der Woche 26/2025

Beim Vorstellen der Retro-Ergebnisse des 9. WCCI Anfang dieser Woche hatte ich angekündigt, auf diese Weltmeisterschaft noch zurück zu kommen. Heute und an den kommenden beiden Sonntagen will ich jeweils eine Aufgabe der drei bestplatzierten Retro-Autoren hier vorstellen. Einige der eingereichten und besonders hoch bewerteten Stücke haben wir hier übrigens schon gesehen.

Beginnen möchte ich mit dem Drittplatzierten Andrij Frolkin, von dem ich hier bereits drei seiner vier in die Wertung gekommenen Stücke hier vorgestellt habe: im Retro der Woche 19/2025 (9,5 Punkte) und im Retro der Woche 2/2023 sowie Retro der Woche 9/2025 (jeweils 9 Punkte).

Heute schauen wir uns also seine vierte, mit 9,5 Punkten bewertete Aufgabe an:

Andrij Frolkin
Yoav Ben-Zvi Gedenkturnier 2022, Version, 1. ehrende Erwähnung
Beweispartie in 24,5 Zügen (15+14)

 

Thema des Turniers waren “zweckreine Bahnungen in Beweispartien”, also ein höchst strategisches Thema; Andrijs 2. Preis in diesem Turnier hatten wir bereits Anfang 2023 hier gesehen. Für das Turnier hatte Andrij damals eine schwächere Vorversion eingesendet, da er diese bessere, nachträglich veröffentlichte, damals noch nicht per Computer prüfen konnte; das schaffte in erträglicher Zeit erst Stelvio.

Im Diagramm fehlen ein weißer und zwei schwarze Bauern, und daraus können wir schon Schlüsse ziehen, obgleich keine Doppelbauern zu sehen sind. Der schwarze Bd3 muss schlagfrei von d7 kommen, und das bedeutet, dass “irgendwie” im Zentrum Weiß zwei Bauernschläge durchgeführt haben muss.

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Retro der Woche 25/2025

Bleiben wir noch einmal im Jahr 2015, schauen aber noch einmal in den Beweispartie-Preisbericht der Schwalbe dieses Jahres, der unglaublich stark war. So kam der erste Preis (Retro der Woche 33/2019) mit glatten 12 Punkten ins FIDE Album, den dritten Preis habe ich hier im Retro der Woche 52/2020 vorgestellt.

Heute möchte ich auf den vierten Preis eingehen, der mit seiner weißen Homebase-Stellung erst einmal ganz harmlos daher kommt – aber das wissen wir ja zwischenzeitlich, dass dem nicht unbedingt so sein muss, speziell nicht bei Aufgaben von Silvio Baier.

Silvio Baier
Die Schwalbe 2015, 4. Preis
Beweispartie in 28,5 Zügen (11+15)

Bei Weiß fehlen fünf Bauern, bei Schwarz drei Bauern, von denen zwei durch umgewandelte Springer ersetzt sind. Wir sprechen hier sicher über [Ba7] sowie zwei der drei Bauern [Bf7], [Bg7] oder [Bh7]. [Bb7] und [Be7] haben natürlich zu dem schwarzen Klumpen auf der c- und d-Linie geschlagen – aber davon höchstens einen Bauern.

Also müssen wir in der Lösung auch mit weißen Umwandlungen rechnen – das ist aber auch sehr beruhigend, da wir von den 29 weißen Zügen im Diagramm keinen einzigen sehen.

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Retro der Woche 24/2025

Nachtrag 09.06.2025:
Dmitrij Baibikov weist dankenswerter Weise auf Frolkins Korrektur hin, die ich nun nachgezogen habe.

Vor ziemlich genau zehn Jahren präsentierten Chris Tylor und Andrij Frolkin in feenschach 212, März-April 2015 eine kurz zuvor in The Problemist vorgestellte Idee, nach einem Matt weiterspielen zu können – besser gesagt sogar zwei Ideen.

Nach der ersten wird der Matt gebende Stein einfach entfernt (beim Doppelschach beide); diese Bedingung wird mit “#R” (remove oder
raus) angegeben; ein Beispiel hierzu habe ich im Retro der Woche 6/2020 vorgestellt; schaut dort noch einmal vorbei.

Die Alternative ist, den/die Matt gebenden Stein(e) umzufärben: “#C” (color); damit wollen wir uns heute beschäftigen.

Andrij Frolkin
feenschach 2015 (Korr), 1. ehrende Erwähnung
Letzte 10 Einzelzüge? #C (11+12)

Andrij wäre nicht Andrij, wenn er mit solchen Bedingungen nicht nur Beweispartien, sondern auch “klassische” Auflöse-Retros bauen würde.

Der Käfig im Nordwesten wäre im orthodoxen Schach illegal, da er nicht geöffnet und damit aufgelöst werden könnte.

Aber bevor wir uns darüber Gedanken machen, müssen wir zunächst dem Weißen Züge geben, denn im Moment kann er nur mit seinem h-Bauern spielen.

Und dabei kann er nicht entschlagen, da alle fehlenden Steine von Bauern geschlagen wurden. Das aber ist irgendwann zu Ende – und dann kommt unsere Bedingung ins Spiel, indem dann ein weißer Stein generiert wird.

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Retro der Woche 23/2025

Nach klassischem Retro und Anticirce-Proca geht es bei unserem Blick in den Preisbericht des 2002-er Jahrgangs der Schwalbe mit einer orthodoxen Beweispartie weiter. Und bei deren Analyse werden wir vielleicht noch auf die eine oder andere Überraschung stoßen — oder wer wird am Schluss sagen: “Na, das Thema habe ich doch sofort gesehen!”?

Olli Heimo & Uno Heinonen
Die Schwalbe 2002, 1. ehrende Erwähnung
Beweispartie in 24,5 Zügen (13+14)

 

Zunächst einmal bekommen wir beim Blick aufs Diagramm vielleicht einen Schrecken: So häufig können wir schon eine Menge von der Lösung entdecken, wenn wir uns die sichtbaren Bauernschläge anschauen — hier aber ist keiner zu entdecken. Und ausschließlich Bauern (drei bei Weiß, zwei bei Schwarz) fehlen, nämlich die vier Eckbauern und [Bb2]. Damit ist klar, dass höchstens einer der fünf fehlenden Bauern durch einen Bauernschlag verschwinden konnte. Aber zumindest stehen ja einige Steine “verdächtig”.

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Retro der Woche 22/2025

Bleiben wir, wie in der letzten Woche angekündigt, noch bei den ehrenden Erwähnungen aus dem Retro-Preisbericht der Schwalbe aus dem Jahr 2002.

Mit der 2. ehrenden Erwähnung hatte ich einen Proca-Verteidigungsrückzüger mit der Bedingung “Anticirce” (Der schlagende Stein wird auf sein circensisches Wiedergeburtsfeld versetzt; ist dieses besetzt, ist der Schlag unzulässig. Beim hier verwendeten Typ Cheylan darf ein Stein, der auf dem Wiedergeburtsfeld des “Schlägers” steht, nicht geschlagen werden.) von Wolfgang Dittmann ausgezeichnet. Er war einer der Pioniere dieser damals noch recht neuen Aufgabenart und hat dieses Stück bezeichnenderweise Klaus Wenda gewidmet, der diese Kombination von Forderung und Bedingung eingeführt hatte.

Wolfgang Dittmann
Die Schwalbe 2002, 2. ehrende Erwähnung
Matt vor 7 Zügen, VRZ Proca, Anticirce Typ Cheylan (5+8)

 

Wegen der vielen Entschlagmöglichkeiten (hier kann gemäß der Regeln Weiß beinahe beliebige Schlagzüge zurücknehmen, z.B. Be5xSd6 oder Kg7xTh6) sind Aufgaben dieses Typs zumindest am Anfang recht schwierig zu lösen, jedoch gibt es auch hier Strategien, die sich bewährt haben, um solche Aufgaben korrekt zu halten – und die zu kennen ist auch für Löser wichtig. Deswegen hatte Wolfgang Dittmann einen Artikel “Lösungsstrategien im Verteidigungsrückzüger mit Anticirce-Bedingung” Die Schwalbe, Dez. 2003, S.277-284 und einen Nachtrag Die Schwalbe, Juni. 2004, S.447-448, der auch heute noch höchst lesenswert ist, veröffentlicht.

Es ist im ersten Moment schwierig, sich vorzustellen, welcher weiße Stein mattsetzen könnte. Schwarz wird ihm nicht den Gefallen tun, einen möglichen Mattstein zu entschlagen, mit den Bauern und dem Springer ist es sehr unwahrscheinlich.

Was bleibt also als Mattstein? Der weiße König! Und das kann funktionieren: Stellen wir in Gedanken den weißen König nach b6, so ist das erst einmal illegal, weil beide Könige im Schach stehen. Wäre aber das Feld e8 besetzt, böte der schwarze König seinem weißen Kollegen kein Schach. Und wäre e1 frei (und auch nicht von einem schwarzen Stein zu besetzen), so wäre Schwarz matt!

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