Retro der Woche 38/2013

Schon lange, bevor ich die Schwalbe-Sachbearbeitung für Retros übernommen hatte, habe ich dort immer wieder intensiv hingeschaut – besonders intensiv im Jahr 2002, da ich dort die Urdrucke richten durfte.

Eine der Aufgaben möchte ich euch heute vorstellen; sie hat für mich nicht unerwartet den Sprung ins FIDE-Album geschafft, und ich finde sie auch heute noch faszinierend.

Rustam Ubaidullajev
11587 Die Schwalbe 2002, 2. Preis
Beweispartie in 23 Zügen (14+16)

 

Dass die schwarzen Läufer so auffällig auf dem Brett stehen, ist kein Zufall: sie bilden die Hauptfiguren dieser Beweispartie.

Die beiden [wLc1] und [sLf8] kommen, so sollte man meinen, leicht aneinander vorbei: sLf8-g7-a1, dann wLc1-b2-g7-f8, und ähnlich kann sich auch die weiße Dame auf ihr Zielfeld schleichen. Aber ihr vermutet es sicherlich schon: Soo leicht ist die Sache nun auch nicht!

Und auch der [sLc8] scheint ja sehr einfach nach h1 gekommen zu sein: Irgendwann ist er auf die lange Diagonale marschiert, nachdem der weiße König g2 und f3 bereits wieder verlassen hatte?! Aber soo leicht ist auch diese Sache nicht!
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Elsässisches Circe

Vor in paar Tagen begann im Forum von MatPlus.net eine Diskussion über Elsässisches Circe. Diese Bedingung ist ziemlich genau ein Drittel Jahrhundert alt; sie wurde von Jean Zeller (er stammte aus dem Elsaß, daher auf Vorschlag von Michel Caillaud der Name der Bedingung) in 49 feenschach Januar-März 1980 (S.298-303) eingeführt.

Die Regel ist eigentlich ganz einfach, hat aber dann gelegentlich verblüffende Konsequenzen:

Nach jedem Circe-Zug muss die Stellung unter orthodoxen Gesichtspunkten legal bleiben. Auch muss das Diagramm selbst sowohl nach den Circe- als auch nach den orthodoxen Regeln legal sein.

Mit anderen Worten: Zur Diagrammstellung und nach jedem Zug muss es eine orthodoxe und eine circensische Beweispartie (die natürlich nicht eindeutig sein muss) geben, die zu dieser Stellung führt.

Das ist also eine Märchenbedingung, die für uns Retro-Freunde sehr interessant ist — und ich bin mir sicher, auf diesem Gebiet sind noch sehr viele interessante Sachen möglich!

Ein kleines und einfaches Beispiel aus dem oben zitierten Artikel möchte ich hier vorstellen:

Jean Zeller
feenschach 1980
Hilfsmatt in 3 Zügen, Elsässisches Circe (7+3)

Die Stellung ist orthodox legal (wLa6 ist ein Umwandlungsläufer), und es gibt auch keine Zweifel an der circensischen Legalität der Stellung. Wäre die sDh1 ein Turm, löste sich die Aufgabe auch ohne Circe in zwei Zügen (1.Th8 Ta1 2.Tb8 Lc8#), aber die schwarze Dame ist ein denkbar schlechter Block.

Aber irgendwie muss ja die neue Bedingung zum Tragen kommen — und dann finden wir ein Mattbild mit schwarzen Blocks auf a7 und b8 und Lb7#, wenn denn das Schlagen des Läufers aus irgendwelchen Gründen nicht möglich wäre. Das kann natürlich nur elsässisch begründet werden, und dann ergibt sich die Lösung

1.Dh2 f3 2.La7 Tf2! 3.Db8 Lb7#, denn nun entstünde nach einem Schlag des Läufers und dessen circensischer Wiedergeburt auf f1 eine illegale Stellung, da der wTf2 niemals orthodox in diesen Käfig hätte gelangen können — also Matt.

Übrigens lässt sich die elsässiche Bedingung auch mit anderen Bedingungen (z.B. Madrasi, Anticirce, etc.) verknüpfen, und da lassen sich bestimmt noch interessante Sachen entdecken!

Nachtrag 31.8.13:
Beim Blick in WinChloe fand ich die Nebenlösung 1.Lxf2 Ld3 2.La7 Tf7 3.Lb8 Le4# — ganz ohne Circe, von “elsässisch” ganz zu schweigen… Das lässt sich natürlich leicht reparieren, z.B. +wBf5 oder +sBe7.

Retro der Woche 35/2013

Nicht so ganz einfach zu lösen erscheint mir die heutige Beweispartie. Warum? Weil sie sehr gut offensichtliche Löse-Hinweise zu verbergen mag. Und so ganz kurz ist sie auch nicht, was vielleicht subjektiv die Hemmschwelle noch einmal erhöht.

Aber einen gründlichen Blick verdient diese Aufgabe des finnischen Komponisten Unto Heinonen, der sich nicht nur auf Retros beschränkt, sondern auch ein bekannter und erfolgreicher Märchenschach- und Hilfsmattkomponist ist.

Unto Heinonen
P0341 StrateGems 2012
Beweispartie in 28 Zügen (13+14)

 

Zählen wir die offensichtlichen Schlagfälle, nämlich solche, die eindeutig und sichtbar von Bauern durchgeführt worden sind, kommen wir auf zwei schwarze (dxe und gxh) und einen weißen (dxe3). Bei beiden Seiten bleibt also noch ein Schlag offen.

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Retro der Woche 33/2013

Vielleicht erinnert ihr euch noch? Der erste Urdruck hier im Retroblog kam von Andrej Frolkin, und er zeigte ein “Färbe-Problem”, bei dem also im Diagramm alle Steine in einer Farbe dargestellt sind und dann erschlossen werden muss, welche wirkliche Farbe die einzelnen Steine haben.

Mit diesem Aufgaben-Typ hat sich Andrej schon mehrfach beschäftigt; ein hübsches, gar nicht so schwer zu lösendes Beispiel möchte ich heute vorstellen.

Andrej Frolkin
The Problemist 1989-90, 3. Preis
Färbe die Steine; Beweispartie in 17,5 Zügen (31+0)

Es fehlt nur ein einziger Stein, nämlich eine Dame, die auf der e-Linie von einem f-Bauern geschlagen worden ist. Damit stehen bereits die Farben aller Bauern auf a bis d sowie auf g und h fest: “oben” sind es schwarze, “unten” weiße Bauern.

Außerdem sehen wir, dass Ke1 und Dd1 von gleicher Farbe sind, anderenfalls könnte das Damenschach nicht erklärt werden.
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Retro der Woche 32/2013

Schon im letzten Retro der Woche hatte ich eine Aufgabe aus dem Preisbericht für Die Schwalbe 2011 von Günther Weeth aufgegriffen, und das möchte ich heute wieder tun, dieses Mal eine klassische Beweispartie.

Roberto Osorio & Jorge Joaquim Lois
14833 Die Schwalbe 2011, 3. Preis (Beweispartien)
Beweispartie in 23 Zügen (13+13)

 

Das übliche Schauen nach den Schlagbilanzen hilft uns hier nicht so recht weiter: So können beispielsweise alle fünf fehlenden Bauern auf ihren Linien geschlagen worden sein; der fehlende [wLc1] wäre dann auf h6 oder h4 gestorben. Aber es sind natürlich noch viele andere Schlagfelder für die fehlenden Steine denkbar.

Also bleibt uns, Züge zu zählen, um so mögliche Einschränkungen der Möglichkeiten bei Weiß oder Schwarz festzustellen. Und da sind zunächst natürlich nur die weißen Züge hilfreich. Weiterlesen

Retro der Woche 30/2013

In dieser Woche sind die Ergebnisse der Kompositions-Einzelweltmeisterschaft 2010-2012 veröffentlicht worden; auf die Retro-Ergebnisse hatte ich ja schon hingewiesen.

Im Retro der Woche 20/2013 hatte ich bereits eine Aufgabe, die mir zum Richten vorgelegen hatten, hier vorgestellt – und damit hatte ich offensichtlich einen guten Griff getan, denn dieses Stück stellte sich zum Schluss als das am höchsten bewertete Retro in diesem Wettbewerb (11,5 von 12 möglichen Punkten) heraus!

Vom Drittplatzierten Nicolas Dupont möchte ich heute ein weiteres Stück vorstellen, das (mal wieder) hochmodern „Proof Games of the Future“ thematisiert und hier eine eindrucksvolle Probe  von der exzellenten Technik gibt, die man heute bei Weltklasse-Beweispartien erwarten kann.

Nicolas Dupont
FIDE World Cup 2011, 3. Preis
Beweispartie in 28,5 Zügen (14+13)

Die beiden fehlenden weißen Steine wurden auf der c- und der b- oder d-Linie geschlagen; da es sich um zwei Bauern, nämlich die von e2 und g2 handelt, konnten diese wegen der weißen Bauernstruktur dort nicht direkt geschlagen werden, mussten sich also umwandeln.

Auch die fehlenden schwarzen Steine (3 Bauern) lassen sich bereits erklären: Der f-Bauer konnte seine Linie nie verlassen und wurde deshalb auf f geschlagen; der schwarze g-Bauer hat sich schlagfrei umgewandelt – und damit ist klar, dass der Schlag des schwarzen f-Bauern durch den weißen g-Bauern erfolgt sein muss.

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Retro der Woche 29/2013

Ich habe 2013 das Vergnügen, in StrateGems beide Retro-Untergruppen (Beweispartien sowie alle anderen Retros) zu richten: Dies ist sicherlich keine leichte Aufgabe, da der Retroteil von StrateGems einer der qualitativ bestbeschickten weltweit ist. Aber das macht natürlich viel mehr Spaß, als ein Turnier zu richten, in dem man kaum auszeichnungswürdige Aufgaben findet: Vor diesem Problem werde ich hier sicherlich nicht stehen!

Aus dem diesjährigen ersten Heft habe ich eine Beweispartie ausgesucht, die sicherlich nicht allzu leicht zu lösen ist und die nicht so ganz dem momentanen Mainstream folgt und bestimmte (Umwandlungs)-Themen mehrfach setzt und kombiniert. Hier haben wir es eher mit einem Potpourri attraktiver Einzelthemen zu tun, die uns der finnische Autor präsentiert.

Unto Heinonen
P0347 StrateGems 2013
Beweispartie in 17,5 Zügen (15+14)

Wie meistens gibt die Bauernstellung die ersten Hinweise auf einen möglichen Lösungsverlauf: Bei Schwarz fehlen zwei Bauern, die aber nicht auf e3 bzw. auf der g-Linie geschlagen werden konnten: Der [sBh7] konnte nämlich nicht nach g4 oder g5 schlagen, da der [wBa2] als einziger weißer Stein fehlt: Der allerdings konnte sich nicht umwandeln, da hierfür ein weiterer Schlag erforderlich wäre, der nicht zur Verfügung steht.
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Nach Hause…

Nicolas Dupont hat bei “chessproblems.ca” ein Thematurnier ausgeschrieben für Aufgaben mit der von ihm erfundenen Bedingung Back-Home (englischer Begriff, im französischen Original Retour) — und ich schlage vor, dass wir im Deutschen den französischen Original-Begriff verwenden.

Während E.T. nach Hause telefonieren wollte, müssen bei Retour-Aufgaben Steine, wenn dies legal möglich ist, auf ihr Ursprungsfeld in der Diagrammstellung ziehen, bei mehreren möglichen Retour-Zügen hat der Ziehende freie Auswahl. Für Umwandlungsfiguren gilt die Diagrammposition des Bauern, der sich umgewandelt hat.

Nach dem Willen des Erfinders hat diese Retour-Regel sogar Vorrang vor Schachgeboten; dies will ich an einem kleinen Beispiel erläutern: wTd1, wBf6, sKe8 — Schach in einem Zug, Retour.

1.Td8? ist kein Schachgebot, sondern nur eine Verführung, denn Weiß muss ja in seinem nächsten Zug zurück nach d1. Deshalb kann Schwarz ganz ruhig z.B. 1.– Kf8 ziehen, nicht jedoch 1.– Kd7??, denn dies wäre Selbstschach, da der König dem Turm seinen Rückweg nach d1 versperren würde. Somit löst nur 1.f7+, denn der Bauer kann nicht legal wieder nach f6 ziehen.

Ein Beweispartie-Beispiel aus der Ausschreibung:

Nicolas Dupont
J.-M. Trillon Gedenkturnier 2012, 1. ehrende Erwähnung
Beweispartie in 13,5 Zügen, Retour (16+15)

Lösung: 1.e4 a5 2.e5 a5 3.e6 Ta5 4.La6 (versperrt den Rückweg) 4.– Te5+ 5.Se2 d5 6.0-0 Dd6 7.exf7+ Kd7 (die sD kann nun nicht nach Hause) 8.f4 Db6 (nicht sofort 8.– Kc6?? — und warum nun noch nicht 9.Kf2?) 9.f5 Kc6 (Und nun beginnt das Aufräumen bei Weiß.) 10.Kf2 Kb6 11.Th1 Ka7 12.Sg1 Ka8 13. Lf1 Ld7 14.Ke1.

Das Turnier ist in drei Gruppen ausgeschrieben, die dritte fordert Beweispartien, Richter hierfür ich Michel Caillaud. Die genaue Ausschreibung könnt ihr bei chessproblems.ca herunterladen, die Einsende-Formalitäten und Termine findet ihr wie üblich auch im Problemschach-Kalender.

Nun viel Spaß mit Experimenten mit dieser interessanten neuen Märchenart!