Retro der Woche 49/2013

Es gibt Aufgaben, bei denen ich niemals an Korrektheit glauben würde, trügen sie nicht das Siegel „C+“. Unser heutiges Retro der Woche gehörte, als ich es zum ersten Mal sah, in diese Rubrik, denn dort haben wir eine Menge Freiheitsgrade für die Lösung.

Reto Aschwanden
Probleemblad 2004, 1. Preis
Beweispartie in 21,5 Zügen (14+10)

 

Zunächst sehen wir, dass Schwarz nur zwei offensichtliche Züge gemacht hat, 19 seiner Züge sind also verborgen. Und zählen wir die weißen Züge, so kommen wir (mit Rochade, sonst dauert es länger) auf  2+2+5+4+2+5=20 – auch hier also noch Freiheiten?

Genaueres Hinschauen beruhigt uns ein wenig: wSg1 muss gezogen haben und zurückgekehrt sein, um den [wTh1] heraus zu lassen, also zwei zusätzliche weiße Züge, also 22 – alle weißen Züge sind damit erklärt.

Damit wissen wir auch, dass die beiden fehlenden weißen Bauern auf ihren Ursprungsfeldern geschlagen wurden, also auf b2 und auf e2 oder g2.

Nun sollten wir uns überlegen, wie und wo die fehlenden schwarzen Steine verschwunden sein können: Wir wissen, für das Schlagen kann Weiß keine „Umwege“ gehen. Spannend sind vor allen Dingen die Schlussfolgerungen, die sich aus dem weißen Doppelbauern ziehen lassen: Wir haben nur zwei Züge dafür zu Verfügung, also muss zunächst f4 gespielt worden sein, dann erst exf3 oder gxf3.

Mit dieser Beobachtung können wir erklären, wie der [sBf7] verschwand: Er muss sich auf g1 umgewandelt haben! Warum? Er kann nicht auf f3 oder f4 geschlagen worden sein, da ja Weiß zunächst selbst f2-f4 gespielt haben muss. Er kann also nicht auf der f-Linie geschlagen worden sein. Sxf3 scheidet aus, da seine Rückkehr erst nach der Rochade erfolgen kann, aber mit den Bauern auf e2 und g2 kann wegen des weißen Läufers niemals rochiert werden.

Und warum kann er nicht auf e1 umgewandelt haben? Dann müsste er auf e2 geschlagen haben, dann kann aber der [wLf1] nicht heraus (er zog Lf1-d3-g6) und die Rochade ist auch unmöglich.

Der [sBh7] kann offensichtlich von der wD oder dem wTh4 geschlagen worden sein, was aber ist mit dem [sBg7] passiert? Auch der muss umgewandelt haben, denn ein Schlagobjekt stand für ihn nicht zu Verfügung und er kann nicht auf seiner Linie geschlagen worden sein: Erst muss wTg8 erfolgt sein, erst dann kann wLg6 folgen – also muss die g-Linie frei gewesen sein, und dies kann nur erreicht werden, indem der [sBg7] umwandelt. Auch dies muss vor der weißen Rochade erfolgen, denn anderenfalls würde entweder der weiße König auf g1 die Umwandlung verhindern oder g3-g2 böte Schach – und zu dessen Parade steht kein weißer Zug mehr zur Verfügung.

Nach diesen Überlegungen ist es immer noch nicht ganz einfach, die Lösung zu finden, und dann findet man noch tolle Überraschungen, denn wir müssen ja auch noch überlegen, wo die anderen fehlenden schwarzen Steine geschlagen werden konnten.

1.a4 f5 2.Ta3 f4 3.Th3 f3 4.Th4 fxg2 5.Sh3 g1=D 6.f4 Db6 7.Sc3 Dxb2 8.Lxb2 g5 9.Db1 g4 10.Sd1 g3 11.Le5 g2 12.c3 g1=S 13.Dxh7 Sf3+ 14.exf3 Sc6 15.Ld3 Sd4 16.OO Se2+ 17.Kh1 Sg1 18.Txg1 c6 19.Txg8 Db6 20.Lg6+ Kd8 21.d3 Dg1+ 22.Sxg1.

Dann stellt man nämlich fest, dass die beiden auf g1 umgewandelten Figuren geschlagen wurden (Ceriani-Frolkin-Thema), und die Originalfiguren gleicher Art auch nach g1 gezogen haben (Anti-Pronkin-Thema) – um beide dort geschlagen zu werden.

Eine Aufgabe, die mich mit ihren Feinheiten immer wieder begeistert.

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