Retro der Woche 49/2013

Es gibt Aufgaben, bei denen ich niemals an Korrektheit glauben würde, trügen sie nicht das Siegel „C+“. Unser heutiges Retro der Woche gehörte, als ich es zum ersten Mal sah, in diese Rubrik, denn dort haben wir eine Menge Freiheitsgrade für die Lösung.

Reto Aschwanden
Probleemblad 2004, 1. Preis
Beweispartie in 21,5 Zügen (14+10)

 

Zunächst sehen wir, dass Schwarz nur zwei offensichtliche Züge gemacht hat, 19 seiner Züge sind also verborgen. Und zählen wir die weißen Züge, so kommen wir (mit Rochade, sonst dauert es länger) auf  2+2+5+4+2+5=20 – auch hier also noch Freiheiten?

Genaueres Hinschauen beruhigt uns ein wenig: wSg1 muss gezogen haben und zurückgekehrt sein, um den [wTh1] heraus zu lassen, also zwei zusätzliche weiße Züge, also 22 – alle weißen Züge sind damit erklärt.

Damit wissen wir auch, dass die beiden fehlenden weißen Bauern auf ihren Ursprungsfeldern geschlagen wurden, also auf b2 und auf e2 oder g2.
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Retro der Woche 48/2013

Ich finde es sehr schade, dass Gerd Wilts nicht häufiger zum Komponieren kommt: Beruf, Familie und auch die Arbeit an der PDB lassen ihm für meinen Geschmack viel zu wenig Zeit dafür. Denn wenn über einem Diagramm „Gerd Wilts“ steht, dann könnt ihr euch sicher sein, eine gute Aufgabe vor euch zu haben.

So auch bei dem Stück, mit dem Gerd gerade den ersten Preis des Schwalbe Retro-Informalturniers 2010 gewonnen hat und das ich heute noch einmal vorstellen möchte.

Gerd Wilts
Die Schwalbe 2010, 1. Preis
Beweispartie in 20 Zügen (13+12)

 

Bei Weiß fehlen [wBa2], [wBb2] und [wBd2]; darüber hinaus sind fünf weiße Züge sichtbar.  Bei Schwarz hingegen ist das ein wenig unübersichtlich: Wenn Schwarz hxg6 und gxh6 gespielt hat, dann kommt er (die lange Rochade vorausgesetzt) mit 3+1+2+6+1+5=18 Zügen aus – dafür müssten aber weiße Schlagobjekte nach g6 und h6 gebracht werden. Das wieder dauert recht lang und, vor allen Dingen gibt es dafür keine sinnvolle Eröffnung für Schwarz, die ihn so lange warten lässt, bis er auf dem Königsflügel schlagen kann.

Gehen wir also nicht von Überkreuz-Schlägen auf g6 und h6 aus, so benötigen wir 4+1+3+6+1+4=19 Züge – das geht ohne Rochade am schnellsten, da ansonsten [sTh8] einen langen Umweg machen müsste, um nach h6 zu kommen. So geht es mit sTa8-a5—h5.

Zusätzlich zu den 19 Zügen muss noch [sBg7] einmal gezogen haben, damit [wBf2] schlagen konnte – welches Schlagobjekt sollte er sonst haben?

Nun müssen wir uns drum kümmern, die weißen Bauern verschwinden zu lassen.

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November-Problemist

Gestern hatte ich das November-Heft des Problemist im Briefkasten.

Drei Retro-Urdrucke bringt der Problemist nun regelmäßig, und die in diesem Heft laden zum lösen ein. Schickt doch einmal Kommentare zu den dortigen Urdrucken ein, daran herrscht beim Problemist gelegentlich leider etwas Mangel.

Bernd Gräfrath stellt nicht nur wieder drei “Selected Retros” vor (dieses Mal aus einem seiner Lieblingsgebiete: Schlagschach-Beweispartien), sondern im Supplement der Ausgabe findet sich auch noch ein interessanter Kurz-Aufsatz “Composing a Record Proof Game” von ihm, der sich mit einem anderen seiner Lieblingsthemen (Pseudo- und Anti-Rochade, wie ich das Thema einmal genannt hatte) beschäftigt.

Eine der dortigen Aufgaben, den aktuellen “Geschwindigkeitsrekord” für dieses Thema, möchte ich hier kurz vorstellen:
 

Bernd Gräfrath
The Problemist 2013
Beweispartie in 11,5 Zügen (10+16)

 
1.b4 a5 2.La3 axb4 3.Dc1 Txa3 4.Db2 Tf3 5.Sc3 Txf2 6.O-O-O! Txf1 7.Sf3 Txh1 8.Tf1! Txh2 9.Kd1 Th6 10.Ke1 Tf6 11.Kf2 h5 12.Kg1!
 
 
Ist damit schon das Ende der Fahnenstange erreicht?

Retro der Woche 46/2013

Im neuen Oktober-Heft der Schwalbe (ja, in der Zwischenzeit ist das Heft auch bei mir angekommen…) ist der sehr ausführliche Retro-Preisbericht 2010 erschienen: Der Preisrichter Thierry Le Gleuher hat gleich 31 Aufgaben ausgezeichnet – wenn das keine tolle Lektüre ist, dann weiß ich es nicht!

Allerdings will ich heute keine Aufgabe hieraus vorstellen, sondern ein Stück des Preisrichters, das mir immer wieder gefällt, das vor beinahe 20 Jahren sicherlich eine ziemliche Begeisterung hervorgerufen haben muss.

Thierry Le Gleuher
Phénix 1994, 2. Preis
Beweispartie in 19 Zügen (16+14)

Betrachten wir die Stellung, fällt sofort auf, dass bei Schwarz nur zwei sichtbare Züge vorhanden sind, dass andererseits die beiden Bauern [sBa7] und [sBg6] fehlen, die wegen der weißen Doppelbauern auf b und h nicht auf ihren Linien geschlagen worden sein können.

Damit wissen wir schon, dass mindestens eine Umwandlungsfigur noch auf dem Brett steht: Zunächst nämlich musste sich in schwarzer Offizier opfern, bevor einer der beiden fehlenden Bauern umwandeln konnte.

Das sollten wir im Kopf behalten, auch wenn wir nun zuerst einmal die weißen Züge zählen:

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Retro der Woche 44/2013

Die Auswahl der heutigen Aufgabe habt ihr meiner Richter-Tätigkeit für das FIDE-Album 2010-2012 zu verdanken.

„Wie das? Das Stück gehört doch nun wahrlich nicht mehr zur Album-Periode?“ Richtig – aber gelegentlich muss man doch etwas intensiver nach Vorgängern suchen, und in diesem Fall bin ich fündig geworden: Unser heutiges Stück nimmt eine Einsendung für das neue Album recht deutlich vorweg.

Satoshi Hashimoto
StrateGems 1999, 5. Preis
Beweispartie in 15,5 Zügen (14+15)

 

Die übliche Zählung der offensichtlichen weißen und schwarzen Züge hilft hier nicht viel weiter: Bei Weiß sind nur vier, bei Schwarz immerhin neun Züge sichtbar. Schauen wir uns nun also an, welche Steine fehlen – Umwandlungsthematik können wir wegen der 16 Bauern sofort ausschließen.

Bei Schwarz fehlt die Dame, bei Weiß ein Springer und der weißfeldrige Läufer – und der ist besonders wichtig, da er „zu Hause“ auf f1 geschlagen werden musste.

Das wird sicherlich der Springer erledigt haben, und dabei hat er auch sofort den fehlenden weißen Springer mit beseitigt; das geht in weiteren vier Zügen – passt doch, da sind immer noch zwei übrig!?

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Retro der Woche 43/2013

Diese Woche gehen herzliche Glückwünsche nach Mülheim an der Ruhr: Dort feiert am heutigen Sonntag Bernd Gräfrath Geburtstag. Alles Gute für dein neues Lebensjahr wünsche ich dir auch im Namen aller Leser des Retroblogs!

Bernd ist (problem)schachlich breit interessiert und engagiert: Viele kennen seine schachgeschichtlichen und schachphilosophischen (da trifft sich Beruf und Hobby!) Artikel, die er in letzter Zeit beispielsweise in feenschach veröffentlicht hat, er ist ein ausgezeichneter Literaturkenner und natürlich, deshalb beschäftige ich mich hier mit ihm, ein hervorragender Retro-Spezialist.

Viele kennen sicher seine Rubrik in The Problemist, wo er in jeder Ausgabe drei Retros vorstellt und diskutiert – für jeden Retrofreund ein MUSS und ein Genuss. In diesem Jahr ist er Preisrichter für die Retro-Urdrucke der Schwalbe und seit 2010 Internationaler Preisrichter der FIDE für Retros.

Sein kompositorisches Spezialgebiet sind Beweispartien mit Märchenbedingungen, die die Realisierung von Themen ermöglichen, die orthodox nicht darstellbar sind; ein Beispiel habe ich herausgesucht.

Bernd Gräfrath
Die Schwalbe 2008, Günter Lauinger gewidmet
Beweispartie in 8 Zügen, Schlagschach (10+12)

 

Beim Schlagschach (die genauen Regeln finden sich hier im Blog-Lexikon) muss bekanntlich ein möglicher Schlag immer ausgeführt werden; Könige verlieren ihre königliche Eigenschaft und dürfen geschlagen und erwandelt werden.

Gewöhnlich finde ich Schlagschach-Beweispartien recht schwer zu lösen: gerade wegen der häufig vielen Schläge, die natürlich leicht Spuren auf dem Brett verwischen. Diese Aufgabe erscheint mir aber recht leicht zu sein.

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Retro der Woche 41/2013

Retro der Woche 41/2013

Im kommenden Jahr wird Kostas Prentos die Original-Retroaufgaben in der Schwalbe richten. Der Retro-Sachbearbeiter von StrateGems ist ein kompetenter und auch erfreulich schneller Richter, davon konnte man sich im Juli-Heft des Problemist überzeugen; dort erschien sein Preisbericht zu den dortigen Retros der Jahre 2011 und 2012.

Aus diesem Preisbericht möchte ich heute den zweiten Preis vorstellen:

Rustam Ubaidullajew
The Problemist 2012, 2. Preis 2011-2012
Beweispartie in 23,5 Zügen (16+16)

Kein einziger Schlag hat stattgefunden, und Weiß brauchte „eigentlich“ nur drei Züge, um seine Steine gemäß Diagramm zu positionieren, hat also eine Reserve von 21 Zügen!

Deutlich enger schaut es bei Schwarz aus; hier betrachten wir die erforderlichen schwarzen Züge genauer:

Offensichtlich reichen vier Bauern- und ein Damenzug für diese Steinarten, fünf Läuferzüge sind erforderlich. Diese zehn Züge sind dann auch determiniert.

Etwas komplizierter ist es bei den anderen Steinarten:

sTb7 ist über b8 gekommen, daher muss Sb8 Platz gemacht haben und zurückgekehrt sein; dies macht für beide Springer zusammen vier Züge erforderlich. STb7 benötigt zwei, sTh4 vier Züge, um auf ihre Zielfelder zu kommen.

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Retro der Woche 39/2013

Der heutige Wochenbeitrag ist verbunden mit ganz herzlichen Glückwünschen nach Roßdorf bei Darmstadt, wo just an diesem Sonntag Uli Ring einen sehr runden Geburtstag feiert: Die besten Wünsche für das neue Lebensjahr(zehnt) dazu von mir, denen sich sicher die Leser des Blogs anschließen werden!

Uli ist nicht nur ein „Retromensch“, sondern im gesamten Bereich des Problemschachs sehr bewandert: In sehr jungen Jahren war er Sachbearbeiter der Schwalbe für Zweizüger, als Komponist trat er besonders (unter dem Einfluss des legendären John Niemann) bei den Hilfsmatts hervor und hat schon sehr gute Beweispartien gebaut, als dieses Genre erst gerade begann aufzublühen.

Ich selbst kenne Uli schon seit meinem ersten Andernach-Treffen, und es war und ist immer eine Freude, sich mit ihm nicht nur schachlich auszutauschen: Sein trockener, stets hintergründiger Humor bereichert jede Diskussion über Schach und Kultur, über Politik und Fußball, über Gott und die Welt, und die gemeinsamen nachmittaglichen Eisdielen-Besuche zusammen mit Hans Gruber gehören für mich in Andernach nicht nur zur Tradition, sondern auch zu den Höhepunkten der jährlichen Treffen dort.

Das Stück, das ich heute ausgesucht habe, zeigte schon vor 27 Jahren sehr moderne Beweispartien-Thematik, und ich kann mich noch erinnern, dass das Lösen und Prüfen dieser Aufgabe meine Begeisterung für die damals noch recht neue Mode der eindeutigen kürzesten Beweispartien weiter gesteigert hat.

 

Ulrich Ring
feenschach 1986
Beweispartie in 24,5 Zügen (14+16)

 

Eine Homebase-Stellung, wo sich also sämtliche noch vorhandenen Steine in ihrer Partieanfangsstellung befinden, über auch heute noch einen hohen ästhetischen Reiz aus; bei Beweispartien sicherlich, weil sie optimal das Spiel dieser Farbe verschleiern.
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