Retro der Woche 41/2025

An diesem Wochenende findet in Leimen das Jahrestreffen der Schwalbe statt — und was passt da heute besser als ein Retro zweier wichtiger Gründungsmitglieder dieser Organisation?

Anton Trilling war der Essener Initiator (angeregt von Wilhelm Maßmann in Kiel) der Schwalbe-Gründung im Jahr 1924 und ihr erster Vorsitzender, Hugo August mit damals 21 Jahren jüngstes Gründungsmitglied; gerade er hat sich als hervorragender Retro-Komponist profiliert.

Hugo August & Anton Trilling
Die Schwalbe 1940, 33. Thematurnier
Die letzten 15 Züge waren Schachzüge! (11+14)

 

In dem immer noch lesenswerten Artikel „Höchstleistungen und Themen in exakten Rückzügern“ hatte Luigi Ceriani im Juniheft 1939 der Schwalbe (Seite 513–516) 13 Aufgaben mit aktuellen Längenrekorden vorgestellt, in denen also die letzten Züge vor Erreichung der Diagrammstellung eindeutig bestimmbar sein mussten. Hierzu schrieb er das 33. Thematurnier aus, in dem Überbietungen der im Aufsatz angegebenen Rekorde gefordert waren.

In diesem Aufsatz hatte Ceriani „unser“ Thema mit 10 Zügen dargestellt; er vermutete, dass 11 oder 12 gingen — mit 15 hatte er nicht gerechnet, wie er im Preisbericht im Februarheft 1940 der Schwalbe (Seite 513–516) bekannte.

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Retro der Woche 40/2025

Bei Märchen-Retros faszinieren mich besonders solche Bedingungen, die sehr einfach zu erklären und zu verstehen sind und interessante Auswirkungen auf die Retroanalyse und den Lösungsverlauf haben. Hierzu gehören für mich z.B. Längstzüger, Duellantenschach — und auch Gitterschach, bei dem das Brett in 16 2×2 Quadrate aufgeteilt ist, und bei jedem Zug müssen Start- und Zielquadrat unterschiedlich sein, d.h. es muss mindestens eine Gitterlinie überquert werden.

Ein wie ich finde großartiges Gitterschach-Retro war in feenschach 256 veröffentlicht; die Lösung wurde im gerade erschienenen Heft 263 (September 2025) publiziert.

Dmitrij Baibikov
feenschach 2024
Letzte 31 Einzelzüge? Gitterschach (14+12)

 
Wenn man sich etwas in die Bedingung hinein denkt, fällt schnell auf, dass eine Umwandlung mindestens drei Schlagfälle benötigt, ein König nie auf einem Eckfeld und ein weißer Bauer nie auf a6 oder h6 stehen kann.

Ich orientiere mich hier einfach an meinem Löser-Kommentar infenschach:

Gitterschach-Retros sind fast immer höchst interessant, und bei dem Autor kann man natürlich eine Menge erwarten! Wegen Bh2>f7 mit zwei Schlagfällen kann es keine Umwandlungen gegeben haben; die benötigen im Gitterschach mindestens drei Schläge (2-4x5x6-7×8). Damit müssen auch [Bb2] und [Bc2] irgendwo auf dem Damenflügel geschlagen worden sein, der letzte Zug 1.– Sh2-f1# erfolgte also schlagfrei.

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Chinesische Retros

Habt ihr euch schon mal chinesisches Schach Xiang Qi angeschaut? Ein echtes “Märchenbrett”: 9×10 Felder mit höchst originellen Zugeinschränkungen, Figuren, die teilweise ans mittelalterliche Schach erinnern und andererseits den Pao als regulären Stein enthalten, eine völlig andere Art von Anfangsstellung als in “unserem” Schach: Sehr spannend also.

Und noch spannender: Alain Brobecker hat damit Retros, sprich: Lastmover, gebaut, und die sind nicht nur interessant, sondern bilden auch gerade für uns Retrofreunde eine tolle Einführung in diese interessante Schachart.

Schaut doch mal vorbei — und löst einige der chinesischen Retros — viel Spaß dabei!

Retro der Woche 34/2025

In der letzten Woche hatte ich hier die erstplatzierte Beweispartie des diesjährigen Champagne-Turniers vorgestellt — heute soll es mit dem zweiten Platz der Abteilung B (sonstige Retros) weiter gehen, das traditionell zahlenmäßig deutlich schwächer besetzt war.

Hier konnte Andrij Frolkin mit einer klassischen Auflöse-Aufgabe überzeugen, der gar nicht so schwer zu lösen ist, wie es beim ersten Blick auf das Diagramm wirken könnte:

Andrij Frolkin
Champagne-Turnier 2025, 2. Preis Abt. B
Löse die Stellung auf (14+13)

 

Bei Schwarz fehlen ein Springer, ein Bauer (von g7 oder h7 kommend) sowie der schwarzfeldrige Läufer — und damit ist ein möglicher weißer Kreuzschlag auf der b- und c-Linie nicht möglich: das wären zusammen mit g2xh3 drei weißfeldrige Schlagfälle. Also hat dieser Kreuzschlag durch Schwarz stattgefunden — dabei fehlen bei Weiß nur zwei Bauern!

Die müssen also mittels exSd7 und fxLg (neben gxBh3) geschlagen haben, um sich dann auf d8 und g8 umzuwandeln.

Was hat auf d8 umgewandelt? Das ist entscheidend für die Auflösung des Nordwest-Knotens, die nur durch d7-d6 erfolgen kann, denn vorher muss Weiß e6xSd7 und d8=X zurücknehmen.

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Retro der Woche 32/2025

Beim vorgestrigen Hinweis auf das FIDE Album 2019-2021 hatte ich schon angemerkt, dass ich hier auf die eine oder andere Aufgabe dort zurückkommen würde. Damit will ich gleich heute beginnen.

Mich reizte das Stück von Joaquim Crusats und Andrij Frolkin schon wegen der bemerkenswerten Diagrammstellung: Alles spielt sich im Süden ab, und gleich fünf schwarze Damen lassen einen sofort fragen, ob die nun thematisch oder konstruktive Krücken sind? Nun, die Autorennamen deuten schon darauf hin, dass es bei den Umwandlungssteinen um thematischen Gehalt geht.

Joaquim Crusats & Andrij Frolkin
StrateGems 2020, 2. Preis
Ergänze einen schwarzen Springer auf einem Eckfeld und löse auf (11+12)

 

Wollen wir die Schlagbilanz untersuchen, sollten wir gedanklich bereits den dritten schwarzen Springer berücksichtigen. Damit haben wir dann noch drei schwarze Bauern und gleichzeitig fünf schwarze Umwandlungssteine. Die drei fehlenden schwarzen Steine sind durch axb, bxc und fxg erklärt.

Zu Beginn der Rücknahme müssen wir natürlich das Schach gegen den weißen König aufheben, und das geht nur durch Entwandlung auf g1: direkt g2-g1=D+ oder mit Entschlag R: h2xXg1=D+. Im ersten Falle hat Weiß anschließend nur die Rücknahme e2-e3, und dann geht es schon nicht weiter, denn warum kann Schwarz nun nicht f3xYg2 zurücknehmen?

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Retro der Woche 29/2025

Im Partieschach kann ein Spieler Remis reklamieren, wenn er nachweist, dass er mit seinem nächsten Zug eine Stellung herbeiführen kann, die bereits zweimal auf dem Brett gestanden hat: Gleiche Postition und gleiche Zugrechte. diese Kann-Regel wurde schon im Piraner Kodex von 1958 zur Muss-Regel beim Problemschach, denn dort gibt es ja keinen Spieler, der das Remis einfordern kann.

Diese Regel ist auch sehr nützlich: Ohne sie gäbe etwa keine Pendel-Manöver im Verteidigungsrückzüger, Schachprobleme können also mit dieser Regel vielfältiger sein als ohne!

Ähnlich macht man es auch mit der 50-Züge-Regel: Kein Schlag, kein Bauernzug in den letzten 50 Zügen führt zwangsweise zum Remis — beim Problemschach hat man auch „keine Rochade“ hinzu genommen; das wechselt beim Partieschach gelegentlich, ist dort aber in den Endspielen, in denen diese Regel meist relevant ist, nicht von besonderer Bedeutung. Und ja, da dies nicht eindeutig festgelegt ist, ist dies eine (aber allgemein akzeptierte) Grauzone.

Interessante, meist recht recht komplexe klassische Retros lassen sich mit der 50-Züge-Regel konstruieren; Nikita Plaksin war ein Meister darin, solche Mechanismen zu erfinden. Aber so kompliziert muss es gar nicht immer sein, wie das heutige Beispiel von Thierry Le Gleuher zeigt.

Thierry Le Gleuher
The Problemist 2021, Spezialpreis 2021-2022
Woher kommen die Türme? (14+11)

 

Weiß hat drei Türme; der einzig fehlende Bauer [Bb2] muss sich also umgewandelt haben. Damit fehlen bei Weiß Dame und ein Springer, die beide im Nordosten geschlagen wurden. Für die Turmumwandlung war ein Schlag nötig (bxXa7), der schwarze Damenläufer wurde zu Hause geschlagen, und die drei anderen fehlenden schwarzen Stein starben im Südosten. Und damit sind alle Schläge erklärt.

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Retro der Woche 27/2025

2. Nachtrag vom 29.6.2025: Doch nicht gekocht, siehe unten!

Den zweiten Platz in der Retro-Abteilung des 9. WCCI belegte Dmitrij Baibikov. Er war in den vierten bis sechsten WCCI Retro-Weltmeister, und nun scheint er auf den zweiten Platz abonniert zu sein.

Ein wenig Pech hatte er dieses Mal, denn sein unglaubliches Illegal Cluster, dem zu den angegebenen sieben Steinen alle anderen 25 hinzugefügt werden sollten — siehe Retro der Woche 5/2023 erwies sich leider als nebenlösig; die Aufgabe hätte sicherlich gut für weitere Punkte bei Dmitrij gesorgt.

Heute möchte ich euch eine ganz besondere Märchenaufgabe zeigen, die “optisch” schon als Zweisteiner-Retro besonders ins Auge fällt.

Dmitrj Baibikov
Die Schwalbe 2023
a) Letzte 10 Einzelzüge? b) Was waren die Schläge? Strikt wachsende Steine (1+1)

Die Bedingung muss sicherlich erklärt werden, ich greife dazu aufs bewährte Schwalbe-Lexikon zurück: “Jeder Stein kann nur Züge ausführen, die weiter sind als sein vorangegangener Zug. Diese Beschränkung gilt auch in Bezug auf die Wirkung auf den gegnerischen König.”

Dies ist natürlich eine extrem einschränkende Bedingung; halbwegs beweglich bleiben nur die Langschrittler. Ein weißer Bauer kommt nicht über die 4. Reihe hinaus: Doppelschritt oder Einfachschritt gefolgt von einem Schlag, ebenso kann ein König maximal zwei Züge machen: Erst orthogonal, dann diagonal (oder rochieren, dann kann er sich auch nicht mehr bewegen). Und ein Springer kann nur ein einziges Mal ziehen.

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Retro der Woche 24/2025

Nachtrag 09.06.2025:
Dmitrij Baibikov weist dankenswerter Weise auf Frolkins Korrektur hin, die ich nun nachgezogen habe.

Vor ziemlich genau zehn Jahren präsentierten Chris Tylor und Andrij Frolkin in feenschach 212, März-April 2015 eine kurz zuvor in The Problemist vorgestellte Idee, nach einem Matt weiterspielen zu können – besser gesagt sogar zwei Ideen.

Nach der ersten wird der Matt gebende Stein einfach entfernt (beim Doppelschach beide); diese Bedingung wird mit “#R” (remove oder
raus) angegeben; ein Beispiel hierzu habe ich im Retro der Woche 6/2020 vorgestellt; schaut dort noch einmal vorbei.

Die Alternative ist, den/die Matt gebenden Stein(e) umzufärben: “#C” (color); damit wollen wir uns heute beschäftigen.

Andrij Frolkin
feenschach 2015 (Korr), 1. ehrende Erwähnung
Letzte 10 Einzelzüge? #C (11+12)

Andrij wäre nicht Andrij, wenn er mit solchen Bedingungen nicht nur Beweispartien, sondern auch “klassische” Auflöse-Retros bauen würde.

Der Käfig im Nordwesten wäre im orthodoxen Schach illegal, da er nicht geöffnet und damit aufgelöst werden könnte.

Aber bevor wir uns darüber Gedanken machen, müssen wir zunächst dem Weißen Züge geben, denn im Moment kann er nur mit seinem h-Bauern spielen.

Und dabei kann er nicht entschlagen, da alle fehlenden Steine von Bauern geschlagen wurden. Das aber ist irgendwann zu Ende – und dann kommt unsere Bedingung ins Spiel, indem dann ein weißer Stein generiert wird.

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