Retro der Woche 23/2022

Wie beinahe immer wurde auch beim diesjährigen Treffen der Märchenschachfreunde in Andernach eine neue Bedingung vorgestellt und gleich kompositorisch erprobt. Dieses Mal war es Dister, erfunden von Andreas Thoma, der es wie folgt (um einige Sonderfälle und Verbindungen mit anderen Bedingungen gekürzt) erklärt:

„Beim Dister (etwas ausführlicher könnte man auch Distancer sagen) geht es um den maximalen Abstand zweier bestimmter Diagrammsteine, der Bezugssteine S1 und S2, die im bzw. unter dem Diagramm festgelegt sind. Beim maxdister muss Schwarz so ziehen, dass die Entfernung zwischen S1 und S2 nach Beendigung des Zuges (inclusive eventueller Wiedergeburten) maximal ist. Dabei bleibt die Wirkung auf den gegnerischen König normal (wie beim Längstzüger). Die Parade von Schachgeboten gegen den eigenen König hat Vorrang vor der Dister-Bedingung. Beim mindister ist minimale statt maximaler Distanz gefordert.“

Und wie beinahe immer gewann auch in diesem Jahr eine Beweispartie das entsprechende Thematurnier!

Michel Caillaud
Andernach 2022, 1. Preis
Beweispartie in 17 Zügen, MaxDister; Bezugssteine kopfstehend (14+15)

 

Wenn ihr euch ein wenig in die Bedingung eingedacht habt, werdet ihr euch sicher schnell über den „Dister-Bauern“ auf h5 wundern: Er hatte natürlich auf h7 die Maximaldistanz zum anderen Bezugsstein Ba2 – wir konnte er dann nach h5 kommen? Oder konkreter: Wie konnte er nach h5 gezwungen werden, denn nach den „normalen“ Dister-Regeln hätte er sich nicht bewegen dürfen, da jeder Zug von h7 ja die geforderte Maximaldistanz verringert hat.

Ein wenig weiteres Nachdenken ergibt, dass kein Zug des [Bh7] direkt auf der h-Linie erzwungen werden kann: Weder h7-h6 noch h7-h5.

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R.I.F.A.C.E. 2022 Retroturnier

Ähnlich wie “Andernach” findet das Treffen der französischen Problemfreunde traditionell an einem festen Termin statt: Am Pfingstwochenende.

Ebenso traditionell gibt es dort ein Retro-Kompositionsturnier, das auch für Nicht-Teilnehmer offen ist. In diesem Jahr geht es um Vogtländer Schach; die Ausschreibung enthält Beispiele, von denen das erste zwischenzeitlich gekocht wurde.

Einsendungen schickt bis zum Pfingstsonntag 15:00 Uhr an retro.riface2022@gmail.com; viel Spaß und Erfolg!

Retro der Woche 22/2022

Heute geht das Treffen der Märchenschachfreunde in Andernach schon wieder zu Ende. Da möchte ich euch wie schon in der letzten Woche wieder eine Märchenschach-Beweispartie zeigen – und irgendwie komme ich natürlich an der Bedingung Andernachschach nicht vorbei, die, wen wundert es, bei einem dieser Treffen vorgestellt und sofort kompositorisch ausprobiert wurde.

Die Bedingung ist sehr einfach erklärt: „Nichtkönigliche Steine wechseln, wenn sie einen gegnerischen Stein schlagen, als Teil des Zuges die Farbe.“ – so ist sie im Schwalbe-Lexikon definiert.

Auch der Autor dieser Aufgabe war in diesem Jahr wieder in Andernach!

Dirk Borst
feenschach 1997, Preis
Beweispartie in 21 Zügen, Andernachschach (16+12)

 

Zunächst einmal bemerken wir: Orthodox kann die Stellung nicht in 21 Zügen, nicht in einer ungeraden Zahl von Zügen erspielt werden, da Weiß eine gerade Zahl von Zügen spielen müsste, um die Partieanfangsstellung wiederherstellen zu können.

Wir sehen, dass bei Schwarz vier Bauern fehlen – also schlug wegen der Märchenbedingung Schwarz (!) vier Mal mit Bauern. Da ist aber erst einmal nichts sichtbar!

Wenn uns sonst nichts einfällt, wenn etwa die Schlagbilanz anhand der Bauernstruktur keine Hinweise gibt, dann zählen wir einfach die schwarzen sichtbaren Züge. Da sehen wir 3+2+3+2+3+1=14 – damit sind noch sieben Züge frei! Das ist sehr viel, aber vielleicht hilft uns das doch weiter? Dazu stellen wir uns die Frage, wie denn die weiße Bauernphalanx wieder geschlossen werden konnte, wenn doch gleich vier Bauern durch Schlagen weiß wurden – und was haben sie geschlagen?

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Start des Andernach-Treffens

Heute geht es in Andernach nach zweijähriger Corona-Pause wieder los! Allen, die auf dem Weg dorthin sind, wünsche ich eine gute Fahrt – im Zug, im Auto (natürlich nur auf dem Beifahrersitz!) mögt ihr euch vielleicht schon einstimmen? Und wenn ihr nicht kommt, dann habt ihr hier zumindest einen kleinen „Zwischendurch“-Gruß aus Andernach!

Andrew Buchanan
Problemas 2021
Beweispartie zu Schwarz am Zug, dann h#2, Köko, Okök (16+16)

 

Viel Märchenschach, wie es sich für heute gehört! Die kopfstehenden Damen ersetzen die Originale und sind Grashüpfer (ziehen wie Damen, aber über einen Sprungstein direkt vor dem Zielfeld). Köko: Mindestens ein Nachbarfeld des Zielfeldes muss besetzt sein, sonst ist der Zug illegal. Okök: Mindestens ein Nachbarfeld des Startfeldes muss besetzt sein, sonst ist der Zug illegal.

Gesucht ist also die kürzeste Beweispartie, die diese Anfangsstellung mit Schwarz am Zug wiederherstellt, dann wird das Hilfsmatt in zwei Zügen gesucht.

Das liest sich schrecklich wild, ist es aber gar nicht! Versucht es; viel Spaß dabei! Und in etwa einer Woche erscheint hier wieder die Lösung.

Lösung

Lösung mit netten Verführungen!
Beweispartie in 3,5 Zügen:
1.Sc3 Gd6 2.Sd5 Gd4 3.Sc3 Gd8 4.Sb1.
1.Sf3? Gf6 2.Se5 Gd4 3.Sf3 Gd8? Okök 4.Sg1
1.Sf3? Gd6 2.Sd4? Köko Gd3 3.Sc3 Gd8 4.Sg1
1.Sf3,Sh3? Gf6 2.Sg5 Gh4+ 3.Sf3 Gd8? Okök 4.Sg1
Dann das Hilfsmatt in 2:
1.h6 (1.h5? Köko) Gb3 2.Th7 Gxg8#

So schwer war das doch gar nicht, stimmts?

Retro der Woche 21/2022

Nach zweijähriger Corona-bedingter Pause treffen sich die Märchenschachfreunde wieder am Himmelfahrts-Wochenende in Andernach – wie seit dem ersten Treffen 1975 jedes Jahr, wenn man von den letzten beiden absieht.

Dort spielt traditionell auch Retroanalyse, häufig natürlich märchenschachlich gewürzt, eine wichtige Rolle, und so will ich zum Aufwärmen heute eine Märchen-Beweispartie vorstellen.

Circe ist sicher eine der fruchtbarsten und bekanntesten Märchenbedingungen überhaupt: Ein geschlagener Stein wird auf seinem Partieausgangsfeld wiedergeboren. Für Läufer und Dame ist dies eindeutig bestimmt (dabei übersieht man mögliche Umwandlungen großzügig), für Springer und Türme definiert man das Anfangsfeld mit gleicher Felderfarbe als Wiedergeburtsfeld (ein wS geschlagen auf d4 wird auf g1 wiedergeboren, ein auf d5 geschlagener auf b1). Bei Bauern nimmt man das Feld der zweiten bzw. siebten Reihe, auf der sie geschlagen wurden, als Anfangsfeld an. Ist dieses Feld besetzt, verschwindet das Schlagopfer ganz normal.

Der Autor unserer heutigen Aufgabe hat sich auch wieder angemeldet; sein Stück zeigt ein ganz typisches Circe-Thema.

Michel Caillaud
Probleemblad 1995
Beweispartie in 22 Zügen, Circe (16+16)

 

Eine mit orthodoxer Brille betrachtet natürlich sehr kuriose, völlig illegale Stellung! Irgendwie muss ja die schwarze Dame d8 verlassen haben, irgendwie müssen die Türme, Dame und König von Weiß mitten aufs Brett gekommen sein – und irgendwie müssen ja auch Läufer uf die Eckfelder gelangt sein.

Kann man denn aus der Stellung überhaupt etwas ableiten oder muss man wie wild probieren?

Zählen wir doch mal einfach die sichtbaren weißen Züge: 3+1+3+4+5=16 – da bleiben also noch sechs Züge übrig, um mit den Bauern freie Wege zu schaffen: Für König, Dame, Türme, aber auch für die Läufer, damit sie auf die Eckfelder kommen.

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Retro der Woche 10/2022

In dieser Woche ist die erste Ausgabe 2022 des niederländischen Probleemblad erschienen. In den Retro-Lösungen zu den Urdrucken aus Heft 3/2021 fand ich ein sehr interessantes Stück, das ich euch heute zeigen möchte – speziell, weil der Sachbearbeiter Roberto Osorio hier einen interessanten Vergleich zu einer völlig anders gearteten Forderung zieht.

Jorge Lois & Roberto Osorio
Probleemblad 2021
Beweispartie in 22 Zügen (13+15)

 

Bei Schwarz fehlt nur ein Stein, nämlich ein Turm, und der starb auf b3. Bei Weiß fehlen ein Turm sowie [Bd2] und [Bh2]. Weiß kann nicht mehr geschlagen haben, also wurde [Bh2] auf h6, der fehlende Turm auf e6 und [Bd2] auf der d-Linie geschlagen worden sein.

Versuchen wir uns nun am Abzählen der sichtbaren Züge: Bei Schwarz sehen wir 5+0+3+1+0+3=12 Upps, da fehlen noch glatt zehn Züge!

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Retro der Woche 07/2022

Mal wieder ein nettes Märchen-Retro gefällig? Nein, das wird nicht besonders schwer, und „die Klassik“ überwiegt – trotzdem bekommen wir sehr Märchentypisches zu sehen!

Die kopfstehende Dame im heutigen Diagramm ist ein Grashüpfer: der zieht wie eine Dame, benötigt aber genau einen Sprungbock, hinter dem er landet. Ist der Landeplatz durch einen Stein der anderen Farbe besetzt, so wird dieser geschlagen. Bei allen Märchensteinen in Retroproblemen wird vorausgesetzt, dass sie durch Bauernumwandlungen entstanden sind.

Nikita Plaksin
feenschach 1981
Letzte 9 Züge? (13+12)

 

Der schwarze Grashüpfer ist offensichtlich durch Umwandlung des [Bb7] entstanden. Er bietet im Diagramm dem weißen König Schach, hat aber (als Grashüpfer) keinen letzten Zug; also muss er gerade umgewandelt haben: R 1.d2xXe1=G+.

Betrachten wir die weißen Steine, sehen wir, dass bei Weiß drei Bauern fehlen: [Bg2], [Bh2] und (wahrscheinlich) [Ba2]. Die aber müssen sich alle drei umgewandelt haben, da sie sonst nicht geschlagen werden konnten.

Warum?

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Wenn sich das Brett dreht

Wenn sich das Schachbrett vor unseren Augen dreht, kann das daran liegen, dass es auf einer Tortenplatte steht, zum Beispiel auf der berühmten von Dr. Ernst Bachl. Oder das liegt an dem einen oder anderen Silvesterpunsch zu viel.

Wenn sich aber nur das Zentrum des Bretts dreht, dann liegt das wahrscheinlich an der Märchenschach-Bedingung „Actuated Revolving Centre“!

Deren Regel ist eigentlich ganz einfach: Nach einem Zug ins Zentrum (Felder d4 e4 d5 e5) oder aus dem Zentrum heraus dreht sich das Zentrum mit all seinen Steinen darin um 90° im Uhrzeigersinn.

Zum Jahreswechsel lädt uns Michael Barth ein, zwischendurch ins Rotieren zu kommen. Wer rotiert mit?

Michael Barth
Urdruck 31.12.2021
Beweispartie in 5 Zügen, Actuated Revolving Center (16+16)

 

Die Lösung findet ihr hier im kommenden Jahr — etwas konkreter: etwa in einer Woche!

Und nun wünsche ich euch einen schönen Silvestertag, kommt gut ins neue Jahr, dort sehen wir uns dann hoffentlich gesund und munter wieder!

Hier die Lösung:

Lösung

(“D” bedeutet Drehung des Zentrums)
1.e2-e4 D d7-d5 D 2.d5-d6 D Lc8-f5 3.d2-d4 D e7-e5 D 4.e5-e6 D d4-d3 D 5.Lc1-f4 e4-e3 D

Da zeigt Michael jeweils zwei weiße und zwei schwarze schlagfreie Betrüger-Bauern, ähnlich den orthodoxen Kreuzschlägen — wenn das nicht spezifisch ist für diese interessante Bedingung!