Retro der Woche 51/2025

Im Juniheft 1939 der Schwalbe veröffentlichte Luigi Ceriani einen umfangreichen Aufsatz unter dem Titel „Höchstleistungen und Themen in exakten Rückzügern“ und führte dazu aus:

„Unter exakten Rückzügern versteht man Stellungen, aus denen sich die zuletzt ausgeführten Züge bis zum nten Zug sowohl hinsichtlich ihrer Art als auch hinsichtlich ihrer Reihenfolge genau ableiten lassen. … nahm ich mit die die Erforschung von zwei Themen bei exakten Rückzügern vor: Das Maximum von n im Zylinderschach und die am weitesten zurückliegende Rochade.“ (Im Zylinderschach sind die a- und die h-Linie als angrenzend gedacht, was den Namen sogleich erklärt.)

Dazu schrieb Ceriani das 33. Thematurnier der Schwalbe aus, in dem es um entsprechende Überbietungen gehen sollte.

Im Aufsatz konnte er eine Zylinderschach-Stellung mit 28 eindeutigen letzten Zügen vorstellen, im Preisbericht (Februar 1940) veröffentlichte er dann seine eigene deutliche Überbietung auf 35 Züge; hierzu hatte er ein orthodoxes Schema von Hugo August und Anton Trilling aus diesem Turnier verwendet; dieses Stück habe ich für heute ausgewählt.

Luigi Ceriani (nach H. August und A. Trilling)
Die Schwalbe 1940
Zylinderschach. Welches waren die letzten 35 Züge? (14+14)

 
Man kann Zylinderschach-Aufgaben prinzipiell analysieren wie orthodoxe, muss natürlich dabei solche möglichen Züge wie La4-g2 beachten. Der Zylinder erschwert auch das konstruieren von Käfigen, da die vertikalen Brettränder fehlen.

Bei Schwarz fehlen beide Türme, ein Bauer hat sich in einen Springer umgewandelt. Bei Weiß fehlen ein Springer und der schwarzfeldrige Läufer. Alle fehlenden Steine wurden von Bauern geschlagen: bxa7 und cxd7 bzw. bei Schwarz fxg6 und gxh6 — damit steht c1 als Umwandlungsfeld des dritten schwarzen Springers fest.

Der schwarze König steht im Schach, damit steht als erster Rücknahmezug Se8-c7+ fest — und so stehen Weiß im Moment nur Bauern-Rücknahmen zur Verfügung.

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Retro der Woche 50/2025

Michel Caillaud hat im Probleemblad Retro-Informalturnier 2019-2020 nicht nur den zweiten Preis mit einer Märchen-Beweispartie (Schlagschach) gewonnen — diese Aufgabe habe ich hier vor gut einem Monat vorgestellt, sondern auch den 4. Preis mit einer anderen Märchenbedingung.

Beim KnightMate tauschen Könige und Springer komplett ihre Rollen: Jede Partei hat nun zwei Könige, die zu Partiebeginn auf den üblichen Springerfeldern stehen und keine königlichen Eigenschaften besitzen; die Springer stehen hingegen anfangs auf e1 bzw. e8 und sind königlich; gegen sie kann also ein Schachgebot oder gar ein Matt erfolgen.

Michel Caillaud
Probleemblad 2020, 4. Preis 2019-2020
Beweispartie in 21 Zügen, KnightMate (12+16)

 
Die königliche Eigenschaft der Springer markiere ich hier durch dessen Drehung um 90 Grad, und bei den Lösungsangaben orientiere ich mich an den Kommentaren der Richter Gruber, Ring und Borst.

Bis auf die Randbauern hat Weiß im Diagramm eine Homebase-Stellung, und damit stellt sich gleich die Frage, wie denn der weiße schwarzfeldrige Läufer verschwinden konnte? Zählern wir erst einmal die sichtbaren schwarzen Züge: 0+0+1+3+3+3=10. Die können allerdings nicht erreicht werden wegen des äußert geschickt konstruierten Clusters sDd8, sTc8, sLb8d7, sBd6, was schwarze Wartezüge erfordert. Und damit sind Lösungen mit Schlag des Läufers durch Dame, Turm oder König zu lang.

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feenschach Thematurniere

feenschach hat kürzlich zwei Thematurniere ausgeschrieben, auf die hier noch nicht hingewiesen wurde. Beides sind keine expliziten Retro-Turniere, doch nach guter alter feenschach-Tradition sind dort natürlich auch Retros im Rahmen der Themenvorgabe gern gesehen.

3D-Schach (82. feenschach TT)

für Schachprobleme auf einem 3D-Schachbrett ausgeschrieben. Zulässig sind die klassischen Raumschachformen 5×5×5-Raumschach, Stereoschach und Alice-Schach. Beliebige Kombinationen mit anderen Märchenschachelementen sind erlaubt.

Preisrichter: Bernhard Geismann und Hans Gruber

Einsendungen: bis zum 5. April 2026 an t.brand(at)gmx.net

Ausschreibung zum Download

Erich-Bartel-Gedenkturnier (83. feenschach TT)

Eine Partei steht in der Diagrammstellung im Patt, am Ende der Lösung steht die andere Partei im Patt. Dabei ist die beliebige Verwendung von Märchenschachelementen erlaubt.

Preisrichter: Elmar Bartel, Hans Gruber, Bernd Schwarzkopf

Einsendungen: bis zum 21. August 2026 an t.brand(at)gmx.net

Ausschreibung zum Download

Ich freue mich schon auf eure Einsendungen!

Retro der Woche 46/2025

In der letzten Woche hatte ich den zweiten Preis aus dem Probleemblad-Retroturnier 2019—2020 mit einem Richter-Trio vorgestellt. Auch das parallele Turnier des Problemist fand unter den gleichen Rahmenbedingungen statt, nur war das Richter-Dreigestirn etwas anders zusammengesetzt: Gruber, Ring und Brand. Und auch aus diesem Turnier möchte ich zunächst den zweiten Preis vorstellen.

Andrij Frolkin & Jeff Coakley
The Problemist 2019, 2. Preis 2019-2020
Jeder Buchstabe repräsentiert einen anderen Figurentyp, Groß- und Kleinbuchstaben stehen für die unterschiedlichen Farben. Entferne alle Buchstaben eines Typs, um eine legale Stellung zu erhalten, bestimme die Position und den letzten Zug.

 
Andrij und Jeff sind sicherlich die größten Experten im Bereich dieser Art von „Buchstaben-Problemen“, hier sind sie aber unserer Meinung nach ganz besonders kreativ gewesen: Von den (nur) fünf unterschiedlichen Figurentypen muss auch noch einer komplett verschwinden, um eine legale, dann auch noch eindeutig ableitbare Stellung zu erhalten, in der auch noch der letzte Zug eindeutig war. Das ist schon großes Kino, besonders, wenn man dann sieht, wie logisch ableitbar die Lösung ist.

Je einmal in beiden Farben kommen nur G und I vor, ein Buchstabentyp muss also die Könige darstellen. Repräsentiert G die Könige, dann kann H weder Dame noch Turm oder Springer sein (beide Könige im Schach), auch nicht Läufer (illegales Schach e1-d2) oder Bauer (auf der 1. bzw. 8. Reihe) — H kann also bei G=König nicht legal eingesetzt werden. Aus den gleichen Gründen kann bei G=König auch N nicht legal eingesetzt werden. Es darf aber nur eine Steinart entfernt werden — also ist G nicht König, sondern I.

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Retro der Woche 40/2025

Bei Märchen-Retros faszinieren mich besonders solche Bedingungen, die sehr einfach zu erklären und zu verstehen sind und interessante Auswirkungen auf die Retroanalyse und den Lösungsverlauf haben. Hierzu gehören für mich z.B. Längstzüger, Duellantenschach — und auch Gitterschach, bei dem das Brett in 16 2×2 Quadrate aufgeteilt ist, und bei jedem Zug müssen Start- und Zielquadrat unterschiedlich sein, d.h. es muss mindestens eine Gitterlinie überquert werden.

Ein wie ich finde großartiges Gitterschach-Retro war in feenschach 256 veröffentlicht; die Lösung wurde im gerade erschienenen Heft 263 (September 2025) publiziert.

Dmitrij Baibikov
feenschach 2024
Letzte 31 Einzelzüge? Gitterschach (14+12)

 
Wenn man sich etwas in die Bedingung hinein denkt, fällt schnell auf, dass eine Umwandlung mindestens drei Schlagfälle benötigt, ein König nie auf einem Eckfeld und ein weißer Bauer nie auf a6 oder h6 stehen kann.

Ich orientiere mich hier einfach an meinem Löser-Kommentar infenschach:

Gitterschach-Retros sind fast immer höchst interessant, und bei dem Autor kann man natürlich eine Menge erwarten! Wegen Bh2>f7 mit zwei Schlagfällen kann es keine Umwandlungen gegeben haben; die benötigen im Gitterschach mindestens drei Schläge (2-4x5x6-7×8). Damit müssen auch [Bb2] und [Bc2] irgendwo auf dem Damenflügel geschlagen worden sein, der letzte Zug 1.– Sh2-f1# erfolgte also schlagfrei.

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Retro der Woche 39/2025

Erst als wir den Retro-Preisbericht für 2019-2020 für The Problemist fertiggestellt hatten (siehe Retro der Woche 38/2025), fielen Ulrich Ring, Hans Gruber und mir eine Kuriosität auf: Die Preise und ehrenden Erwähnungen hatten wir ausschließlich an orthodoxe Retros vergeben, die Lobe ausschließlich an Märchen-Retros!

Eines davon möchte ich euch heute vorstellen, euch zum Selbst-Lösen einladen und anregen.

Anna O’Donovan †
The Problemist 2019, 1. Lob 2019-2020
Beweispartie in 8,5 Zügen, Punktspiegelung (16+16)

 
Das Schwalbe -Märchenlexikon definiert die Bedingung „Punktspiegelung“ (Point Reflection) so:

„Stehen zwei Steine (beliebiger Farbe, Könige eingeschlossen) auf Feldern, die punktsymmetrisch bezüglich der Brettmittelpunkts zueinander sind (z.B. a1-h8, b3-g6), tauschen sie ihre Zug-, Schlag- und Wirkkräfte (behalten aber die Farbe, die Bauernzugrichtung und evtl. königliche Eigenschaften bei). Ein Bauer auf der ersten Reihe kann nicht selbstständig ziehen, sein korrespondierender Stein auf der achten Reihe daher auch nicht. Die Rochade ist nur mit nicht-gespiegelten Figuren (König, Turm) möglich. Nur nicht-gespiegelte Bauern können en passant schlagen.“

So wäre im Diagramm Ke1-e4 möglich, da der König auf e1 die Kraft der schwarzen Dame auf d8 übernimmt.

Wie können wir nun eine Lösungsidee bekommen?

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Retro der Woche 37/2025

In dieser Woche sind die beiden feenschach -Hefte 261 und 262 erschienen, die aus verschiedenen nachvollziehbaren Gründen ungewöhnlich lange beim Drucker gelegen hatten. sie enthalten auch die Andernach-2025 Berichterstattung; aus dem dortigen Kompositionsturnier mit dem Thema „Alice-Schach“ zum Gedenken an René J. Millour möchte ich euch hier den ersten Preis vorstellen.

Das Schwalbe-Lexikon definiert Alice-Schach: „Es wird auf zwei 8×8-Brettern gespielt: Bretter A und B. Nach jedem Zug (wahlweise auf einem der beiden Bretter) wird der gezogene Stein als unmittelbare Zugfolge auf das analoge leere Feld des anderen Brettes versetzt. Ist das zugehörige Feld nicht leer, wäre der entsprechende Zug illegal. Ein Schlagfall ist also nur auf demjenigen Brett möglich, auf dem der Zug auch startete. Geschlagene Steine verschwinden vom Brett. Der König darf durch einen Zug seiner Partei weder vor dem Brettwechsel des Zugsteines noch danach einem Schachgebot auf seinem Brett im herkömmlichen Sinne ausgesetzt sein. In der Partieanfangsstellung stehen alle 32 Steine auf Brett A.“

Für die Darstellung des „Doppelbretts“ reicht eins aus: Da ja jeder Stein auf ein freies Feld auf dem anderen Brett gestellt wird, kann man etwa die Steine auf Brett B durch umgedrehte Symbole darstellen; so machen wir es hier auch, und so hat es auch René J. Millour stets gemacht.

Dirk Borst & Joost Michielsen
Andernach 2025, Millour-Gedenkturnier
Beweispartie in 22,5 Zügen, Alice-Schach (15+14)

 

Bei Weiß fehlt nur der [Lf1], der nie gezogen haben kann. Trotzdem stehen alle weißen Steine auf dem A-Brett, obgleich Weiß eine ungerade Zahl von Zügen gemacht hat. Das ist nur in zwei Fällen möglich: Wenn ein weißer Stein auf dem B-Brett geschlagen wurde, was hier ausscheidet — oder wenn Weiß rochiert hat, denn dabei werden König und Turm auf das B-Brett gebracht.

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Chinesische Retros

Habt ihr euch schon mal chinesisches Schach Xiang Qi angeschaut? Ein echtes “Märchenbrett”: 9×10 Felder mit höchst originellen Zugeinschränkungen, Figuren, die teilweise ans mittelalterliche Schach erinnern und andererseits den Pao als regulären Stein enthalten, eine völlig andere Art von Anfangsstellung als in “unserem” Schach: Sehr spannend also.

Und noch spannender: Alain Brobecker hat damit Retros, sprich: Lastmover, gebaut, und die sind nicht nur interessant, sondern bilden auch gerade für uns Retrofreunde eine tolle Einführung in diese interessante Schachart.

Schaut doch mal vorbei — und löst einige der chinesischen Retros — viel Spaß dabei!