Retro der Woche 47/2013

In einem Kommentar zum letzten Retro der Woche sprach Urs das Thema „Schwierigkeit als Qualitätsmerkmal einer Schachaufgabe“ an. Ich möchte dazu meine eigene Ansicht zur Diskussion stellen und an einem Beispiel erläutern.

Für mich persönlich ist Schwierigkeit der Lösung kein besonderes Kriterium für die Beurteilung einer Aufgabe, egal, ob es sich um ein Retrostück oder eins mit konventionellem Spiel handelt. Schwierigkeit ist extrem subjektiv: Ein Lösegroßmeister dürfte dort völlig andere Maßstäbe ansetzen als ein Anfänger, für jemanden, der sein Leben lang Zwei- und Dreizüger gelöst hat, ist vielleicht ein „einfaches“ Hilfsmatt schwer zu lösen. Und der subjektive Eindruck hängt auch von der Tagesform ab: An einem Tag klappt es besser mit dem Lösen als an einem anderen.

Dennoch sollte ein Schachproblem ein „Problem“ bleiben: wenn ich sofort und ohne Mühe die Lösung einer Aufgabe sehe, bin ich selten vom Inhalt begeistert, da er ja offensichtlich nicht überraschend, nicht „problemhaft“ ist?! Andererseits bin ich auch nicht glücklich, wenn ich nach langen Mühen ein Stück gelöst habe und ich mich anschließend frage: „Und was soll das nun?“, wenn also die Schwierigkeit auch daher kommt, dass quasi kein problemschachlicher Inhalt geboten wird. Schwierigkeit und Inhalt müssen also für mich in einem passenden Verhältnis zueinander stehen – was auch immer das bedeuten mag.

Wer schreibt also einmal einen Aufsatz zur „Schwierigkeits-Ökonomie“?

Vielleicht kann ich dies einmal an einem wie ich finde hübschen Beispiel erläutern:

 

Nikolai Beluchow
StrateGems 2010
Letzter Zug? (14+13)

 

Bei Weiß fehlen nur der [wBf2] und der [wBh2] – beide konnten wegen der schwarzen Bauernstruktur nicht direkt geschlagen werden, mussten also umwandeln: Schwarz hat fxe und exd gespielt, also muss der weiße Bauer auf a7 zweimal um den sBa5 herum geschlagen haben. Als weiterer weißer Schlag bleibt nur noch hxg, damit der h-Bauer sich auf g8 umwandeln konnte.

Den Käfig im Nordwesten (und anschließend dann den im Südwesten) kann man erst durch f6xXe5 öffnen, aber vorher muss sich ein weißer Stein auf f8 entwandelt haben.

Nichts leichter als das?

Weiterlesen

Retro der Woche 41/2013

Retro der Woche 41/2013

Im kommenden Jahr wird Kostas Prentos die Original-Retroaufgaben in der Schwalbe richten. Der Retro-Sachbearbeiter von StrateGems ist ein kompetenter und auch erfreulich schneller Richter, davon konnte man sich im Juli-Heft des Problemist überzeugen; dort erschien sein Preisbericht zu den dortigen Retros der Jahre 2011 und 2012.

Aus diesem Preisbericht möchte ich heute den zweiten Preis vorstellen:

Rustam Ubaidullajew
The Problemist 2012, 2. Preis 2011-2012
Beweispartie in 23,5 Zügen (16+16)

Kein einziger Schlag hat stattgefunden, und Weiß brauchte „eigentlich“ nur drei Züge, um seine Steine gemäß Diagramm zu positionieren, hat also eine Reserve von 21 Zügen!

Deutlich enger schaut es bei Schwarz aus; hier betrachten wir die erforderlichen schwarzen Züge genauer:

Offensichtlich reichen vier Bauern- und ein Damenzug für diese Steinarten, fünf Läuferzüge sind erforderlich. Diese zehn Züge sind dann auch determiniert.

Etwas komplizierter ist es bei den anderen Steinarten:

sTb7 ist über b8 gekommen, daher muss Sb8 Platz gemacht haben und zurückgekehrt sein; dies macht für beide Springer zusammen vier Züge erforderlich. STb7 benötigt zwei, sTh4 vier Züge, um auf ihre Zielfelder zu kommen.

Weiterlesen

Retro der Woche 40/2013

Thomas Volet gehört schon lange zu meinen Lieblingsautoren klassischer Retros, er beschäftigt sich in immer neuen Facetten besonders intensiv und erfolgreich mit dem Thema „Schachschutz“.

Wenn ein solch profilierter Komponist über eine seine Aufgaben schreibt „One of the few compositions of mine that I would call elegant, and clearly among my best.“, dann lohnt es sicherlich, sich dieses Stück einmal genau anzuschauen.

Thomas Volet
Phénix 2011 (M. Palewitsch & S. Wolobujew gewidmet)
Löse die Stellung auf! (13+14)

 

Beginnen wir wie üblich mit der Inventur der Stellung: Bei Weiß sieht man zwei Bauernschläge (axb und hxg), damit sind die fehlenden schwarzen Steine erklärt. Ebenso schaut es anders herum aus: axb, dxc und e3xf2 erklären vollständig die drei fehlenden weißen Steine.

Die fehlenden Bauern [wBe2] und [sBh7] konnten allerdings nicht direkt geschlagen werden; beide müssen sich also schlagfrei umgewandelt haben.

Um den Retroknoten im Westen und Südwesten endgültig auflösen zu können, muss e3xXf2 f2-f3 Sf3-e1 zurückgenommen werden; dann löst sich alles leicht weiter auf.

Weiterlesen

Retro der Woche 37/2013

Luigi Ceriani (23.1.1894 — 8.10.1969) war einer der besten und produktivsten Retro-Komponisten des vorigen Jahrhunderts, und seine beide Bücher 32 personaggi e un autore (1955) und La genesi delle posizioni (1961) gehören für mich neben Dawson/Hundsdorfers Retrograde Analysis (1915) und Dittmanns Der Blick zurück (2006) zu den absoluten Klassikern der Retroanalyse-Literatur, all diese Werke verdienen eine uneingeschränkte Lese-Empfehlung.

Ein Beispiel sei heute von ihm vorgestellt — besonders das erstgenannte Buch kann man einfach aufschlagen, und man findet eine interessante Aufgabe.

Luigi Ceriani
32 personaggi e 1 autore 1955, Nr. 91
Öffne den Südkäfig (13+12)

Ceriani liebte es, seine Forderung sehr beschreibend darzustellen; heute ist mehr “Löse die Stellung auf” üblich (und so findet sich die Aufgabe auch in der PDB), aber er schrieb unter das Diagramm “aprire la gabbia Sud”, und das habe ich hier übernommen.

Der Südosten kann erst befreit werden, wenn der sLe1 hinaus kann, dafür fehlen im Moment aber noch die Voraussetzungen, nämlich dass der sKd2 nach d1 zurückziehen kann.

Gleichzeitig sind in der Diagrammstellung sofort beide Parteien in Zugnot: Schwarz kann nur a7-a6 und e7xXf6 zurüchnehmen (d7-d6 scheidet aus, da es den Originalläufer auf h1 aussperren würde), und Weiß hat gar keinen Rückzug, denn h3-h4 würde entweder den wLh2 oder den sKd2 abklemmen.

Damit ist auch schon die Frage beantwortet, welche Seite mit der Rücknahme beginnen muss: Schwarz, und zwar mit e7xXf6.
Weiterlesen

Retro der Woche 31/2013

Ich hatte hier im Blog schon den Retro-Preisbericht von Günther Weeth für das Jahr 2011 erwähnt. Heute möchte ich nun eine Aufgabe daraus vorstellen. Mir hat sie sehr gut gefallen, sie gewinnt einem alten Thema offensichtlich neue Aspekte ab – und ist soo schwer auch nicht zu lösen, wie ich meine.

Michel Caillaud & Nikolai Beluchow
Die Schwalbe 2011, 2. Preis
Erste Züge der Umwandlungsfiguren? (16+9)

Nanu, Umwandlungsfiguren? Es sind doch auf dem Brett keine zu sehen – und Weiß kann ja gar nicht umgewandelt haben, weil all seine acht Bauern auf dem Brett stehen. Also müssen wir nach schwarzen Umwandlungssteinen Ausschau halten.

Weiterlesen

Retro der Woche 28/2013

StrateGems ist üblicherweise nicht nur sehr pünktlich (das aktuelle Juli-Septemberheft 2013 hatte ich am 1. Juli im Briefkasten), sondern auch sehr schnell mit seinen Preisberichten: So enhtält dieses Heft nicht nur den Retro-Preisbericht von 2010 (1. Preis an Günther Weeth mit einem großartigen AC-Proca, Richter: Gerd Wilts), sondern auch schon der Retro-Preisbericht des Jahres 2012!! Richter war hier Henrik Juel.

Der erste Preis ging an ein sehr schönes klassisches Retro:

Nikolai Beluchow & Andrej Frolkin
R0191 StrateGems 2012, Michel Caillaud gewidmet
Löse auf (15+14)

 

Der riesige Retroknoten im Westen und Norden kann nur nach der Rücknahme von e2xd3 aufgelöst werden; beginnen wir also mit der Inventur: Wegen der im Diagramm fehlenden Bauern auf der h-Linie muss dort bzw. auf der g-Linie irgendetwas geschlagen worden sein. Bei der Klärung dieser Frage hilft nun, dass Schwarz über zwei weißfeldrige Läufer verfügt; einer muss also durch Umwandlung entstanden sein. Und diese Umwandlung konnte nur auf h1 erfolgen.

Weiterlesen

Retro der Woche 26/2013

Gerald Ettl aus Meitingen am Lech (ca. 20 Kilometer nördlich von Augsburg) ist ein sehr vielseitiger Problemist: Er hat nicht nur als Komponist ein sehr breites Spektrum von neudeutschen Aufgaben über Märchenschach bis zu Retros, sondern tut auch sehr viel für die Popularisierung des Problemschachs. Er betreibt eine eigene Website, auf der er u.a. regelmäßig hauptsächlich eigene Aufgaben mit Videos vorstellt — das lohnt sich, da einmal vorbei zu schauen.

Darüber hinaus stellt er die Ausgaben des Münchener Problemkreises zum Anschauen und Herunterladen zur Verfügung, und er hat eine Problemschach-Datenbank entwickelt, die er als Open Source Programm zur Verfügung stellt.

Eines seiner jüngeren Retro-Probleme möchte ich heute präsentieren:

Gerald Ettl
feenschach 2012, Andrej Kornilow in memoriam
Letzte 24 Einzelzüge? (15+12)

Beginnen wir wieder mit der Schlagbilanz: Bei Weiß fehlt nur ein Stein (der [wLc1]), daher kann Schwarz keine Bauernschläge am Damenflügel vorgenommen haben: Bei der schwarzen Bauernstruktur wären mindestens zwei Schläge erforderlich. Also erfolgten vier Schläge durch Weiß, die sofort alle fehlenden schwarzen Steine erklären: b2xa3, c5xd6, axb, b4xc5, und auch axb ist eindeutig: Da alle anderen Schläge auf schwarzen Feldern erfolgen, aber auch der [sLc8] fehlt, muss der auf b3 geschlagen worden sein. Wir können also axb durch a2xLb3 konkretisieren.
Weiterlesen

Retro der Woche 21/2013

In der Diagrammstellung den Inhalt verbergen ist eine der wesentlichen Künste eines Komponisten von Beweispartien: Auf mich wmachen besonders Beweispartien Eindruck, bei denen man nicht sofort sieht, war der Inhalt ist — und selbst wenn man es ahnt, nicht sofort erkennt, weshalb eigentlich nur dieser Inhalt das Problem ausmachen kann, weshalb nicht irgend eine andere Lösung funktioniert.

Solch ein Stück ist die Aufgabe, die ich als heutiges Retro der Woche herausgesucht habe.

Gianni Donati
3. The Problemist Supplement Thematurnier 2002, 1. Preis
Beweispartie in 20 Zügen (15+13)

Zählen wir die weißen Züge, so kommen wir auf mindestens 19, die prinzipiell klar sind, wenn man berücksichtigt, dass der fehlende [wLf1] auf c6 gestorben ist — und die 19 sind auch nur realistisch, wenn man davon ausgeht, dass [wTa1] in drei Zügen nach f6 oder g6 gelangen konnte.

Bei Schwarz sind nur zwei Züge sichtbar, und es kommt auch theoretisch maximal eine Umwandlung durch Schwarz [sBh7] in Frage, so dass immer noch viele Züge offen bleiben.

Also ein Rundlauf- oder Rückkehr-Thema? Nicht unwahrscheinlich, aber welcher Stein — und warum sollte der so lange laufen?
Weiterlesen