Retro der Woche 17/2023

Die Geschichte der eindeutigen Beweispartien ist ja verblüffend kurz, und so gab es noch vor 30 Jahren echte Pionierarbeit und Rekordjagden in den unterschiedlichsten Gebieten — besonders natürlich im Bereich „einheitlicher“ Umwandlungen, etwa in gleiche Steine oder gleiche Art des „Verschwindens“.

Aber natürlich ist man bei solchen Rekordsuchen nicht auf Umwandlungen angewiesen, wie Andrej Frolkin mit der heutigen hübschen Aufgabe zeigt.

Andrej Frolkin
Europe Echecs 1993
Beweispartie in 22 Zügen (14+13)

 

Mit dem Blick aufs Diagramm habt ihr vielleicht schon eine Thema-Vermutung? Ich tippe mal, die ist nicht falsch — aber auch nicht ganz präzise!?

Sicherlich fällt euch schon beim ersten Blick der weiße König auf, der mindestens elf Züge gemacht haben muss, um nach a6 zu gelangen: Dazu muss er ja den Umweg über die h-Linie absolvieren. Um den Marsch starten zu können, muss Schwarz aber erst einmal den Lf1 beseitigen, der sich ja selbst nicht vom Fleck bewegen konnte.

Welcher schwarze Stein hat das erledigt?

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Retro der Woche 16/2023

Bei Aufgaben mit einer Forderung wie beim heutigen Stück oder auch ähnlichen kann es einfach um das Finden desjenigen Zugs gehen, der im Sinne der Vorwärtslösung zurückgenommen werden muss, ohne dass das mit retroanalytischen Überlegungen verknüpft ist — oder es geht um echte Retroanalyse.

Steht über dem Diagramm der Name des Kriminalbeamten Josef Haas (28.1.1922 – 11.11.2003), so könnt ihr euch sicher sein, dass dann eine Aufgabe des zweiten Typs vorliegt, so auch heute.

Josef Haas
Die Schwalbe 1973, 2. Preis
Weiß nimmt einen Zug zurück und setzt in einem Zug matt (13+8)

 

In der Diagrammstellung sehen wir bereits einen Mattzug, nämlich 1.Kc2#, quasi ein „Satzmatt“, denn Weiß muss ja zuvor noch einen Zug zurücknehmen.

Wieso kann das nicht ein fast beliebiger weißer Zug sein (Läufer oder Dame bleiben auf ihrer Diagonale, Te1-d1 oder irgendwelche anderer)?

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Retro der Woche 15/2023

War bei dem Stück, das ich am Karfreitag gezeigt habe, noch einfach zu erkennen, wie die beiden Eier in die Nester gekommen waren, ist das heute deutlich komplizierter — und sehr rizvoll, wie ich finde!

Und spätestens zum Schluss werdet ihr entdecken, dass sich hier noch mehr versteckt, als es auf den ersten Blick scheint…

Roberto Osorio, Jorge Lois & Oscar Cuasnicú
Probleemblad 2004, 3. Lob
Beweispartie in 21,5 Zügen (15+15)

 

Zwei offensichtliche „Ostereier“, also Themafiguren entdecken wir schnell: wTd8 und sDd1 müssen ja irgendwie ins jeweils andere Lager gekommen sein, und da ganz offensichtliche, offen liegende Wege nicht existieren, sollten wir zunächst einmal Stellungsmerkmale zu identifizieren.

Offenbar fehlt auf beiden Seiten jeweils ein Offizier, also kennen wir die beiden Schlagfälle bereits: bxTa3 und bxLc6. Und damit tun sich auch bereits mögliche Wege für die beiden Ostereier auf: Irgendwie muss wohl die b-Linie die Schneise für beide bilden?!

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Retro der Woche 14/2023

Ich finde es immer wieder faszinierend, wie kleine Änderungen der Diagrammstellung große Auswirkungen auf die Lösungen haben können. Bei Retroaufgaben ist dies recht schwierig, dies mit wirklich signifikante Änderungen im Spiel interessant darzustellen, da ja „eigentlich“ zwei sehr ähnliche Stellungen eine sehr ähnliche Historie haben müssen.

Heute möchte ich euch ein Stück zeigen, in dem „unterschiedliches Retrospiel“ aus meiner Sicht sehr überzeugend demonstriert wird.

Bernd Gräfrath
feenschach 2003 , 5. Lob
Geringste Zahl der Königszüge? b) Df1>g1 Schlagschach (14+14)

 

Beim Schlagschach verliert ein König bekanntlich seine königliche Eigenschaft, darf also geschlagen und auch erwandelt werden. Und wie der Name schon andeutet, müssen mögliche Schlagzüge durchgeführt werden; bei mehreren Möglichkeiten besteht „freie Auswahl“.

Natürlich fällt sofort der schwarze König im weißen Lager auf, und schnell ist klar, dass er entweder der Originalkönig sein muss oder durch Umwandlung des [Bc7] entstanden ist. Und nun ahnen wir vielleicht schon, was die Zwillingsbildung nun bewirkt? Und noch ein Hinweis für eure eigenen Lösungsansätze: Überlegt euch auch, wie der weiße Springer unter der Schlagzwang-Bedingung nach a8 gelangen konnte?

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Retro der Woche 13/2023

Vor gut zwei Wochen hatte ich auf das Vlaicu Crişan 50 Turnier hingewiesen; dort werden in der 2. Abteilung Verteidigungsrückzüger verlangt, bei denen die Vorwärtsverteidigung eine zentrale Idee bildt. Heute möchte ich euch eine Aufgabe zeigen, in der die Vorwärtsverteidigung nicht im Mittelpunkt steht, sondern subtil mit für Korrektheit sorgt. Die Aufgabe zeigt noch einige weitere Feinheiten, die zur Eindeutigkeit der Lösung beitragen.

Wolfgang Dittmann
The Problemist 1981 (V)
#1 vor 6 Zügen, VRZ Proca (12+10)

 

Wir erinnern uns: Beim Typ Proca des Verteidigungsrückzügers bestimmt die gerade zurücknehmende Partei, ob ihr Zug ein Schlagzug war und welcher Stein geschlagen wurde — hierbei muss natürlich stets die Legalität der Stellung gewahrt bleiben.

Ich orientiere mich bei meinen Angaben eng an denen des Autors selbst in seinem „Der Blick zurück“; dort wird diese Aufgabe als Nr. 129 präsentiert.

Eigentlich muss Weiß ja nur den Schwarzen zur Rücknahme von Kd8-c8 (oder Kd8xSc8 — warum kein anderer weißer Stein?) zwingen, und schon kann er mattsetzen. Aber wie kann das gelingen?

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Retro der Woche 12/2023

Vor ein paar Tagen hat mich eine Mail, die ich bekommen habe, an einen alten Aufsatz von mir erinnert, den ich im Jahr 1996 in feenschach veröffentlicht hatte. Eine der Aufgaben daraus, aus dem „frühen Mittelalter der Beweispartien“ von vor 32 Jahren, möchte ich euch heute zeigen.

Michel Caillaud
Phénix 1991, 5. ehrende Erwähnung
Beweispartie in 17,5 Zügen (14+13)

 

Schon auf den ersten Blick erkennt man, dass uns das Zählen der im Diagramm sichtbaren Züge kaum weiter bringt. Selbst die sichtbaren Doppelbauern scheinen nicht viel hilfreiche Information abzugeben — auch, weil nur jeweils ein Schlag sichtbar ist, die anderen verborgen sind.

Aber bei etwas genauerem Hinschauen fällt dann doch etwas auf:

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Retro der Woche 11/2023

Den Grund, weshalb ich heute genau diese Aufgabe als „Retro der Woche“ ausgesucht habe, werde ich euch am Ende des Beitrags verraten; nun aber gleich medias in res:

Mario Parrinello
Probleemblad 2005
Beweispartie in 19,5 Zügen (13+13)

 

Vielleicht möchtet ihr ja raten, was das Themafeld dieser Aufgabe ist, bevor wir mit der Analyse beginnen?

Wieder einmal haben wir eine Beweispartie vor uns, bei der das Zählen der sichtbaren Züge einer Partie schnell erledigt ist: fünf bei Weiß ist genau ein Viertel aller Züge — und wir wissen ja aus langer Erfahrung, dass dies ein Indiz für Umwandlungen oder Rundläufe dieser Partei sein kann.

Bei Schwarz ist das Zählen der sichtbaren Züge schon ergiebiger: 1+0+4+0+5+5=15 — damit sind auch noch vier schwarze Züge frei.

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Retro der Woche 10/2023

Die gerade erschienene März-Ausgabe des Problemist enthält einen ausführlichen Artikel zum Schweizer Markus Ott (30.01.1960–01.10.2021): Er war ein hervorragender Komponist, der besonders für seine Hilfsmatts und Märchenaufgaben bekannt ist.

In seinen „jungen Jahren“ hat er allerdings auch einige interessante Retros gebaut; ein klassisches Stück aus dieser Zeit möchte ich euch heute zeigen.

Markus Ott
feenschach 1982, 3. Lob
Erster Zug des weißen Turms? (5+11)

 

Anfang der 1980er Jahre wurden in feenschach möglichst ökonomische klassische Auflöse-Aufgaben untersucht, in denen nicht nach dem letzten, sondern nach dem ersten Zug eines Steins gesucht wurde. Eine Vielzahl interessanter Stücke ist dabei entstanden.

wKb8 konnte offenbar nur via g6, f7, e8 auf die achte Reihe gelangen, daher kann Schwarz die offensichtlichen möglichen Züge h7-h6 oder f7xXe6 noch nicht zurücknehmen. Die Rücknahme eines Königszuges würde in ein illegales Retroschach führen, sodass Schwarz nicht als letzter gezogen haben kann; also müssen wir mit der Rücknahme eines weißen Zuges beginnen.

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