Thomas Rayner Dawson

Heute vor 70 Jahren, am 16. Dezember 1951, starb in London Thomas Rayner Dawson (* 28. November 1889 in Leeds). Dawson, der vielleicht kreativste Geist des Problemschachs, hat viele heute als selbstverständlich betrachtete Märchenbedingungen (z.B. Serienzüger, Längstzüger) und -steine (z.B. Grashüpfer, Nachtreiter, neutrale Steine) erfunden. Viele Bücher hat er geschrieben, war quasi Zeit seines Lebens Problemschach-Redakteur, beispielsweise beim Chess Amateur, The Problemist, Fairy Chess Review, British Chess Magazine. Darüber hinaus war er ein sehr produktiver Komponist — und ging „nebenbei“ auch einen seriösen Beruf (Chemiker in führender Position in der Kautschukindustrie) nach.

Gerade für uns Retrofreunde war er sehr produktiv: Bereits 1915 schrieb er mit Wolfgang Hundsdorfer Retrograde Analysis, DEN Klassiker der frühen Retro-Literatur. Auch in seinen anderen Büchern tauchen immer wieder prominent Themen der Retroanalyse auf. Besonders ist er für uns verbunden mit der Erfindung der Beweispartie sowie des Illegal Cluster.

Nun möchte ich euch einladen, ein nicht so bekanntes Illegal Cluster von Thomas Rayner Dawson zu seinem Gedenken „zwischendurch“ zu lösen.

Thomas Rayner Dawson
The Problemist 1933
Ergänze ttllbbb zu einem Illegal Cluster; b) sD nach h8 (1+2)

 

 

Und wie immer: Die Lösung folgt in etwa einer Woche hier.

Lösung

a) sTg7h6 sLg8h8, sBf7g6h5
b) sTg7g8, sLf8h7, sBe7f7g6

Zwei nicht auflösbare Käfige mit hübscher Zwillingsbildung.

Schwalbe-Dezember-Doppelheft

Im Rheinland heißt es: “Drei Mal ist Tradition!” Und so ist traditionell Die Schwalbe wieder einmal als Doppelheft erschienen: 120 Seiten problemschachlicher und abwechslungsreicher Lesestoff!

Natürlich gibt es Berichte vom Treffen in Wasserburg, von den dortigen Vorträgen, die Einladung zum Treffen 2022 in Jena, und auch speziell für uns Retrofreunde ist natürlich eine Menge dabei: Sicher wollt ihr euch lösend und kommentierend auf die Urdrucke stürzen, auf verschiedene Beiträge zu Konstruktionsfragen oder auf den von Arnold Beine zu “Pronkinfigur schlägt Schnoebelenfigur”.

Nur den allerletzten Artikel solltet ihr euch für die Weihnachtsfeiertage aufheben…

Retro der Woche 50/2021

Vor zwei Wochen habe ich hier den berühmten Beweispartie-Längenrekord von Karl Fabel aus dem Jahr 1947 vorgestellt und dabei erwähnt, dass er 35 Jahre lang Bestand hatte. Dann musste ein junger Mann aus Frankreich kommen, der zur Zeit der Veröffentlichung von Fabels Rekord noch lange nicht geboren war, erst zehn Jahre später auf die Welt kam, sich dann aber sehr schnell als Riesentalent zeigte, der speziell die Beweispartie neben dem gleich alten (jungen — beide sind Jahrgang 1957) Andrej Frolkin und anderen Pionieren nach vorn, zu ihrer heutigen Blüte brachte: Michel Caillaud.

Michel Caillaud
Die Schwalbe 1982, 1. Preis, Karl Fabel zum Gedenken
Beweispartie in 47 Zügen (11+15)

 

Eine gewisse Ähnlichkeit weisen die beiden Stellungen schon im Diagramm auf: weißes Material auf der achten Reihe, schwarzes im Südwesten, ähnliche Bauernstrukturen; weitere Ähnlichkeiten werden wir entdecken, wenn wir uns die Lösung anschauen.

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WCCI 2019-2021 Ankündigung

Kürzlich wurde das WCCI (World Championship in Composing for Individuals) auf der WFCC-Seite angekündigt. Wie immer wird es in den acht üblichen Kategorien ausgerichtet; jeder ist eingeladen, zu diesen Kategorien vier bis sechs eigene Aufgaben per Mail im PDF-Format an den Turnierdirektor Valery Kopyl (email: v.kopyl(at)i.ua) bis zum 20.1.2022 einzusenden, die in den Jahren 2019 bis 2021 veröffentlicht worden sind; Gemeinschaftsaufgaben (das verrät schon das “I”) sind nicht zugelassen.

Die Aufgaben werden von fünf Richtern “wie beim Skispringen” wie im FIDE-Album bewertet, das beste und schlechteste Resultat wird gestrichen. Aufgaben, die acht Punkte und mehr erreichen, sind fürs Album vorqualifiziert. Die Richter der Retro-Abteilung sind: Dmitrij Baibikov (ISR), Vlaicu Crișan (ROU), Andrej Frolkin (UKR), Thierry Le Gleuher (CAN) und Vidmantas Satkus (LTU).

Schaut euch bitte die genauen Regeln auf der oben verlinkten Seite an; viel Erfolg wünsche ich euch bei dem Wettkampf!

Mario Richter 60

Heute feiert in Berlin Mario Richter seinen 60. Geburtstag. Lieber Mario, für dein neues Lebensjahr(zehnt) wünsche ich dir alles denkbar Gute — und heute einen schönen Feier-Tag!

Mario ist kein besonders fleißiger Komponist (die PDB enthält 51 Stücke von ihm, davon 50 Retros), sondern er tritt besonders hervor als profunder Löser, Prüfer, Kommentator und Preisrichter: Ich freue mich, ihn für die Jahre 2022-2024 für die „Mathematik/Sonstiges“ Rubrik der Schwalbe gewonnen zu haben.

Beim Prüfen lässt er sich oft von seinem selbst geschriebenen Programm „Rawbats“ unterstützen, das, wenn ich es richtig verstehe, sehr flexible Möglichkeiten zur Angabe heute so genannter „Constraints“ bietet, also aus der Stellung, aus Retroanalyse als sicher abgeleitete Einschränkungen der (Rück-)Zugmöglichkeiten. Auch wenn die so geprüften Aufgaben nicht im eigentlichen Sinne „C+“ sind, sondern „HC+“, also in Koproduktion von Mensch und Rechner geprüft, ist dies doch eine ungeheuere Hilfe, komplexe Retros (mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit) korrekt zu bekommen.

Das heutige Stück „für Zwischendurch“ entstand vor vielen Jahren per Mail bei Diskussionen um verschiedene Isardam-Rekorde. Hier ist die simple Frage, wie der weiße König in sein Gefängnis in der Ecke gelangen konnte? Wer sich an die Isardam-Regeln nicht mehr erinnert, schaut einfach ins Märchenlexikon der Schwalbe.

Mario Richter & Thomas Brand
Die Schwalbe 2008
Letzter Zug? Schwarz am Zug, Isardam (1+3)

 

 

Und wie immer: Die Lösung folgt in etwa einer Woche hier.

Lösung

R: 1.Kh2xLh1 S~xLf3++

Durch den doppelten Entschlag der Läufer (einmal schwarz, einmal weiß) wird das (orthodoxe) Schachgebot des schwarzen Turms neutralisiert: Schlüge der den weißen König, würden sich ja, was bei Isardam verboten ist, die beiden Läufer beobachten.

Retro der Woche 49/2021

Bleiben wir noch ein wenig bei Klassikern der Retroanalyse. Heute möchte ich euch nicht nur eine gute Aufgabe von Thomas Rayner Dawson vorstellen, sondern dabei besonders auf ein Konzept eingehen, das er schon sehr weit entwickelt hat, das auch heute noch fruchtbar eingesetzt wird: Das der Retro-Opposition.

Thomas R. Dawson
The Chess Amateur — dedicated with love to my wife
Wer gewinnt? (11+15)

 

Leicht zu sehen gewinnt der, der am Zug ist — so würde man heute vielleicht einfach fragen, aber zu der Zeit war noch die Verbindung zum Vorwärts-Problem, hier also einer „Studie“, sehr eng; die Emanzipation dazu geschah erst nach dem 2. Weltkrieg.

Aber was ist nun mit „Retro-Opposition“ gemeint? Da möchte ich zwei Definitionen zitieren, die auf den ersten Blick sehr unterschiedlich sind, sich aber als äquivalent herausstellen. So etwas kommt ja gelegentlich auch in der Mathematik vor.

Dittmann (Der Blick zurück, S. 50) definiert: „Zwei verschiedenfarbige Figuren kommen sich hier in der Weise in die Quere, dass sie aus Tempogründen zur gleichen Zeit dasselbe Feld — oder zwei von einander abhängige Felder — betreten müssen.“

Frolkin (in Velimirović & Valtonen: Encyclopedia of Chess Problems) formuliert es so: „In a particular phase of the retro-play, it can be proved which side is to play, despite there being mobile units on both sides.“

Nun schauen wir uns die Aufgabe genauer an und versuchen dabei, unser Thema zu entdecken.

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Retro der Woche 48/2021

Nachdem wir in der letzten Woche bereits eine Retro-Tour in die Geschichte der Retroanalyse unternommen hatten, möchte ich das heute fortsetzen und eine sehr bekannte, klassische Beweispartie (wieder) zeigen. Viele werden sie kennen, aber ich finde, die anzuschauen kann kaum langweilig werden.

Als Thomas Rayner Dawson 1913 die erste Beweispartie (P0002274) vorstellte, dachte er hauptsächlich an möglichst lange Konstruktionen, weniger an thematische Inhalte, wie wir sie heute an Beweispartien lieben. Direkt nach dem Krieg beschäftigte sich dann Karl Fabel mit dieser Rekordjagd, deren Ergebnis er in seinem Buch „Am Rande des Schachbretts“ veröffentlichte; sein Ergebnis ist auch heute noch faszinierend.

Karl Fabel
Am Rande des Schachbretts 1947
Beweispartie in 41,5 Zügen (13+14)

 

Erschreckend wenig Züge kann man direkt aus der Diagrammstellung ableiten; bei Weiß sind dies gerade einmal 8+3+1+6+0+5=23: 19 Züge sind also noch frei. Ok, wir müssen noch berücksichtigen, dass ein Turm und zwei Springer bei Weiß verschwinden müssen, dennoch bleibt viel frei. Wir werden nachher sehen, wie Fabel die daraus resultierende eigentlich extreme Nebenlösungsgefahr bannt.

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Retro der Woche 47/2021

In den letzten Wochen hatten wir uns hier hauptsächlich mit ganz neuen, ziemlich frisch veröffentlichten Stücken beschäftigt — vielleicht ein guter Grund, mal wieder in die Geschichte der Retroanalyse zu schauen.

Alexei Alexejewitsch Troizki (* 14. März 1866 in Sankt Petersburg; † 14. August 1942 in Leningrad während der Blockade durch deutsche Truppen) ist hauptsächlich als Studienkomponist bekannt — manche bezeichnen ihn als den Begründer des modernen Studienschachs. Ihn kennen auch vielen Partiespielern wegen seiner erschöpfenden Analyse des Endspiels „Zwei Springer gegen einen Bauern“. Die Endspieldatenbanken fast hundert Jahre später bestätigten eindrucksvoll die Präzision seiner Untersuchungen.

Troizki hat aber auch einige hervorragende Retros gebaut; eines davon möchte ich heute zeigen. Es erschien im Jahr 1915 in dem berühmten Buch Retrograde Analysis von Thomas R. Dawson und Wolfgang Hundsdorfer in der White’schen Christmas-Serie. Dieses Buch und die Autoren hatte ich anlässlich seines hundertsten Geburtstag in der Schwalbe vorgestellt.

Alexei Troitzki
Retrograde Analysis 1915
Weiß zieht und gewinnt (11+12)

 

Das ist sicher nicht schwer zu lösen, und wer das ganz allein schaffen möchte, ohne meine Überlegungen zur Stellung, der möge nun einfach den folgenden Text noch nicht ausklappen!

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