Retro der Woche 07/2022

Mal wieder ein nettes Märchen-Retro gefällig? Nein, das wird nicht besonders schwer, und „die Klassik“ überwiegt – trotzdem bekommen wir sehr Märchentypisches zu sehen!

Die kopfstehende Dame im heutigen Diagramm ist ein Grashüpfer: der zieht wie eine Dame, benötigt aber genau einen Sprungbock, hinter dem er landet. Ist der Landeplatz durch einen Stein der anderen Farbe besetzt, so wird dieser geschlagen. Bei allen Märchensteinen in Retroproblemen wird vorausgesetzt, dass sie durch Bauernumwandlungen entstanden sind.

Nikita Plaksin
feenschach 1981
Letzte 9 Züge? (13+12)

 

Der schwarze Grashüpfer ist offensichtlich durch Umwandlung des [Bb7] entstanden. Er bietet im Diagramm dem weißen König Schach, hat aber (als Grashüpfer) keinen letzten Zug; also muss er gerade umgewandelt haben: R 1.d2xXe1=G+.

Betrachten wir die weißen Steine, sehen wir, dass bei Weiß drei Bauern fehlen: [Bg2], [Bh2] und (wahrscheinlich) [Ba2]. Die aber müssen sich alle drei umgewandelt haben, da sie sonst nicht geschlagen werden konnten.

Warum?

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Retro der Woche 47/2021

In den letzten Wochen hatten wir uns hier hauptsächlich mit ganz neuen, ziemlich frisch veröffentlichten Stücken beschäftigt — vielleicht ein guter Grund, mal wieder in die Geschichte der Retroanalyse zu schauen.

Alexei Alexejewitsch Troizki (* 14. März 1866 in Sankt Petersburg; † 14. August 1942 in Leningrad während der Blockade durch deutsche Truppen) ist hauptsächlich als Studienkomponist bekannt — manche bezeichnen ihn als den Begründer des modernen Studienschachs. Ihn kennen auch vielen Partiespielern wegen seiner erschöpfenden Analyse des Endspiels „Zwei Springer gegen einen Bauern“. Die Endspieldatenbanken fast hundert Jahre später bestätigten eindrucksvoll die Präzision seiner Untersuchungen.

Troizki hat aber auch einige hervorragende Retros gebaut; eines davon möchte ich heute zeigen. Es erschien im Jahr 1915 in dem berühmten Buch Retrograde Analysis von Thomas R. Dawson und Wolfgang Hundsdorfer in der White’schen Christmas-Serie. Dieses Buch und die Autoren hatte ich anlässlich seines hundertsten Geburtstag in der Schwalbe vorgestellt.

Alexei Troitzki
Retrograde Analysis 1915
Weiß zieht und gewinnt (11+12)

 

Das ist sicher nicht schwer zu lösen, und wer das ganz allein schaffen möchte, ohne meine Überlegungen zur Stellung, der möge nun einfach den folgenden Text noch nicht ausklappen!

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Retro der Woche 41/2021

Ähnlich wie StrateGems, von dessen Pünktlichkeit ich in der letzten Woche berichtet hatte, kann man sich auch beim spanischen Problemas darauf freuen, sich pünktlich zum Quartalsbeginn an einem neuen Exemplar erfreuen zu können.

Problemas ist eine sehr vielsprachige Zeitschrift (natürlich spanisch und englisch, gelegentlich auch mal französisch oder deutsch), die allerdings nicht gedruckt, sondern ausschließlich (kostenlos) im Internet erscheint: Natürlich könnt ihr die .pdf-Datei auf euren Rechner, auf euer Tablet laden, um die Exemplare stets griffbereit zu haben.

Das heutige Beispiel (aus dem Januar-Heft) zeigt die inhaltliche Breite, die komplett vom #2 über Studien und Märchenschach bis hin zu (auch nicht-orthodoxen) Retros reicht; der Verfasser ist regelmäßiger Mitarbeiter von Problemas.

Andrej Frolkin
Problemas 2021
Letzte 6 Züge? 2+2 Grashüpfer (15+11)

 

Die kopfstehenden Damen sind Grashüpfer, die auf Damenlinien ziehen, aber einen Sprungbock brauchen, um direkt dahinter zu landen und dabei ggf. einen gegnerischen Stein zu schlagen. sGa1 könnte also Ga4, Gd4 oder Gxc1 ziehen. Bei Retros gilt die Konvention, dass Märchensteine als durch Bauernumwandlung entstanden angesehen werden.

Bei Weiß fehlt nur [Lf1], der offensichtlich mittels e6xLf5 geschlagen wurde — mehr Schlagfälle stehen Schwarz auch nicht zur Verfügung.

Damit müssen auch die beiden schwarzen Bauernmärsche zu den Umwandlungen in Grashüpfer schlagfrei verlaufen sein. Um zu sehen, wo Weiß möglicherweise geschlagen hat, sollten wir erst einmal bemerken, dass der schwarze König im Schach steht. Das kann Weiß nicht mit Gc6-e8+ zurücknehmen, da der schwarze König ja bereits von c6 aus im Schach gestanden hätte; also muss Weiß entwandeln: R 1.e7-e8=G#.

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Retractor 2.0

Im Jahr 1998 hatten Theodore Hwa und Chad Whipkey von der Stanford Universität das Windows-Programm “Retractor” entwickelt, das in der Lage war, orthodoxe Auflöse-Retros und Last-Mover zu testen — nicht, wie man Hilfsmatts vollständig testet, sondern in einem sehr weiten Bereich von “Wissen” über (il)legale Stellungen, ohne dass es ein 100%iger Computertest sein kann.

Ein sehr wertvolles Programm, das nur leider nicht mehr unter den heutigen Windows-Versionen lauffähig ist. Nun hat es Theodore Hwa als Browser-Anwendung bei zunächst leichter funktionaler Erweiterung — mehr ist geplant — als Retractor 2.0 mit (natürlich englischer) Dokumentation veröffentlicht; ich kann es nach kurzen Spielen damit (das letzte Zwischendurch-Retro war in geschätzt einer Sekunde gelöst / bestätigt) euch nur herzlich empfehlen!

Letzte fünf Züge?

Heute möchte ich euch einladen, euch “zwischendurch” ein nicht allzu schweres Retrostück anzuschauen mit der klassischen Forderung “Welches waren die letzten n Züge?” Hier gibt es eine inhaltliche Besonderheit, die vom Finnen Matti Myllyniemi wohl hier erstmals dargestellt worden ist.

Matti Myllyniemi
Suomen Tehtäväniekat 1955, Thematurnier 1. Preis
Welches waren die letzten 5 Einzelzüge? (6+7)

 

 

Sicher habt ihr den Inhalt entdeckt?! Und die Lösung gibt es hier wie immer in einer Woche.

Lösung

R: 1.bxc3ep+ c2-c4 2.Ke6xSd6 exf6ep+ 3.f7-f5, und davor Sf5(x)e6+

Diese Aufgabe mit weißen und schwarzen ep-Schlag schaffte es bis ins FIDE-Album 1945-1955 (Nr. 1363)!

Retro der Woche 06/2021

Zurzeit bin ich u.a. damit beschäftigt, den Retro-Preisbericht 2018 für feenschach vorzubereiten. Mit der ersten Sichtung bin ich nun fertig, und aus den Aufgaben, die es „in die zweite Runde geschafft haben“, möchte ich heute eine Aufgabe vorstellen. Ob und wie sie ggf. platziert wird, weiß ich noch nicht — und selbst wenn ich es wüsste, würde ich es hier noch nicht verraten…

Gerald Ettl
feenschach 2018
Letzte 22 Einzelzüge? (15+11)

 

 

 

 

Im Diagramm fallen schnell drei Details auf:

  • Weiß muss mit der Rücknahme beginnen, da der schwarze König im Schach steht.
  • Weiß verfügt über einen Umwandlungsspringer.
  • Der einzige Schlag des Schwarzen war Bh7xXg6.

Nun betrachten wir die weißen Schlagfälle: Drei Schläge durch Bauern sieht man, nämlich axb und gxf und fxe. Hinzu kommt der Schlag des Weißen im letzten Zug – und dann wurde der fehlende [Bc7] durch eine weiße Figur geschlagen.

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Retro der Woche 04/2021

24.1.2021: Mario Richter hat die Aufgabe leider gekocht; siehe seinen Kommentar. Die Aufgabe wird natürlich ihre Auszeichnung verlieren.

Seit etwa der Mitte des letzten Jahrzehnts beschäftigen sich hauptsächlich ukrainische Autoren (Andrej Frolkin, aber auch Michail Kosulja) mit „Rebus-Problemen“, in denen im Diagramm nur Buchstaben angegeben werden, aus denen dann auf die Diagrammstellung geschlossen werden muss; häufig gibt es zur gefundenen Diagrammstellung dann weitere (retroanalytische) Fragen. Eine solche Aufgabe findet sich beispielsweise im Retro der Woche 10/2017.

Der feenschach Retro-Preisbericht für 2017 ist im letzten Heft (243, Januar 2021) erschienen; Richter Hans Gruber stellte ein solches Rebus-Problem auf den zweiten Platz; einziger Preisträger ist hier ein komplexer Anticirce-Verteidigungsrückzüger des kürzlich verstorbenen Günther Weeth.

Michail Kosulja
feenschach 2017, 1. ehrende Erwähnung
Bestimme die Steine! Letzte 4 Einzelzüge? (30)

 

Wie löst man solche Aufgaben am besten? Als generelle Regel kann man versuchen, die Bauern und die Könige als erste zu bestimmen, um dann anhand der Stellungs-Spezifika, häufig durch ein Ausschlussverfahren, die Offiziere zu bestimmen. Häufig hilft bei solchen Aufgabe die Unterscheidung von Groß- und Kleinbuchstaben, die dann die Farbverteilung symbolisiert; hieraus konnte der Autor in unserer heutigen Aufgabe verzichten. (Bei den Lösungsangaben habe ich mich am Preisbericht orientiert.)

Machen wir zunächst Inventur: Auf dem Brett befinden sich je 7 B,F, je 2 A,C,E,G,L,R sowie je 1 D,H,S,W. Da nur zwei Steine fehlen, können nicht so viele Umwandlungen erfolgt sein, dass B oder F Umwandlungssteine sind; sie sind also Bauern.

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2021

Allen Retrofreunden wünsche ich
ein gutes neues Jahr 2021!

Beinahe schon traditionell schauen wir am Neujahrstag 100 Jahre zurück: Die PDB weist für dieses Jahr genau 16 Retros auf, immerhin ein Drittel mehr als noch für das Jahr 1920. Allerdings tauchen im Jahr 1921 elf Autoren auf, von denen nur ein einziger für mehr als eine Aufgabe steht — und das ist nicht weiter überraschend Thomas Rayner Dawson.

Von ihm heute ein etwas komplexeres Stück, bei dem es natürlich nicht nur um die Vorwärtsforderung geht! Viel Freude beim Lösen des vielleicht ersten Retros im neuen Jahr — und natürlich gibt es die Lösung wieder in einer Woche hier.

Thomas R. Dawson
The Times 1921
#2 (16+12)

 

 

 

Lösung

1.f5xe6ep+ Lxb8 2. Txf6#

Schwarz ist fast retropatt; als letzte Züge gehen nur R: 1.– e7-e5 2.Te5-e3+ Se3-g4+ 3.g4xLf5+ Ld7-f5 etc. Hünsche Folge von Kreuzschachs

Und wieso geht nicht R: 1.– e7-e6? Weil dann 2.Te5-e3+ Se3-g4+ 3.Bg4xSf5+?? illegal wäre, da Schwarz seinen dritten Springer nicht entwandeln könnte.