Retro der Woche 45/2016

Nach welchen Kriterien schätzt ihr die Schwierigkeit einer Aufgabe, beispielsweise einer Beweispartie, ein, bevor ihr sie löst? Zügezahl – länger gleich schwerer? Viele / wenige sichtbare Züge bei einer oder beiden Seiten? Nach dem/n Autornamen?

Falls ihr diese Aufgabe bisher noch nicht kennt: Wie schätzt ihr ihre Schwierigkeit ein?

Andrej Frolkin & Kostas Prentos
Messigny 2010, 1.-2. Preis
Beweispartie in 16,0 Zügen (14+14)

 

Allzu lang ist das Stück nicht, bei Schwarz sieht man eine Menge Züge, bei Weiß erst einmal keinen einzigen, da sich die 14 weißen Steine alle zu Hause befinden. Die Autorennamen sprechen eurer Meinung nach eher für leicht oder eher für schwer? So oder so sicher für Qualität!

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Per Olin 65

Unsere heutigen Glückwünsche gehen in das kleine Dorf Antskog, knapp 100 Kilometer westlich von Helsinki zu Per Olin, der sein 65. Lebensjahr vollendet.

Per ist ein bekannter Autor von Beweispartien und beschäftigt sich intensiv auch mit deren Verallgemeinerung in Form von A→B und Chess960; hierzu hat er u.a. in feenschach einige interessante Artikel veröffentlicht.

Heute möchte ich aber eine hübsche, schon 20 Jahre alte “klassische” Beweispartie von Per vorstellen:

Per Olin
Suomen Tehtäväniekat 1996
Beweispartie in 22 Zügen (13+14)

 

Schnell sieht man, dass die sBb6c6d6 jeweils von der rechten Nachbarreihe kommen, dabei müssen sie die einzig fehlenden weißen Steine Bf2g2h2 geschlagen haben, die sich natürlich vorher umgewandelt haben müssen. Ebenso sieht man schnell, dass all diese Umwandlungen auf g8 erfolgen mussten.

1.h4 f5 2.h5 Kf7 3.h6 Ke6 4.hxg7 Sh6 5.g8=T Kd5 6.Tg6 Lg7 7.Tb6 cxb6 8.g4 Dc7 9.g5 Td8 10.g6 Lh8 11.g7 Sg4 12.g8=T h5 13.Tg6 h4 14.Tc6 dxc6 15.f3 Ld7 16.fxg4 Le8 17.g5 Sd7 18.g6 Tac8 19.g7 Db8 20.g8=T Da8 21.Tg6 Tb8 22.Td6+ exd6.

Besonders gefallen mir der verzögerte dritte Excelsior sowie die netten Manöver im Nordwesten, die Schwarz genau ausreichend lang beschäftigen.

Für die Halbzeitpause

Pascal Wassong, der Autor des aktuellen Retro der Woche, kann nicht nur komplexe Aufgaben bauen, sondern auch sehr elegante Kleinigkeiten.

Seine niedliche Beweispartie passt, finde ich, gut zur heutigen Eröffnung der Fußball-Europameisterschaft, vielleicht in die Halbzeitpause? Viel Spaß jedenfalls!

Pascal Wassong
Messigny 1995, 1. ehrende Erwähnung
Beweispartie in 4,5 Zügen b) wBa2 > h2 (14+12)

Neues Konstruktionsturnier des SVW

Wir hatten hier schon häufiger auf Beiträge der Problemschach-Rubrik des Schachverbandes Württemberg hingewiesen, die Wolfgang Erben so großartig und publikumswirksam betreut.

Nun ist dort die Erscheinungsweise der Informationen umgestellt worden, sodass nun der Problemschachteil als eigenständiges “elektronisches Druckwerk” unter dem Namen “Problemschach für Tiger” erscheint — angelehnt an die mpk-Blätter des Münchener Problemkreises, von dessen Home Page die Hefte zukünftig kostenfrei heruntergeladen werden können.

Die ersten Ausgaben für Mai und Juni könnt ihr auch hier aus dem Blog laden.

Besonders die Mai-Ausgabe ist interessant: Dort wird der (bereits 5.) Problemschach-Wettbewerb des SVW ausgeschrieben; der erste Preis beträgt stattliche 100 Euro! Gefordert ist die Konstruktion einer möglichst kurzen Circe-Partie, die die Anfangsstellung am Brettmittelpunkt gespiegelt erspielt, also sKd1, wDe8 etc. Es wird eine Beispielpartie angegeben, die aber ziemlich lang ist…

Einsendeschluss ist der 30. November 2016 — viel Spaß und Erfolg beim Konstruieren!

Nachtrag 28.5.16:
Da hatte ich zunächst nicht richtig hingeschaut, denn richtig ist sKd1, wDe8 etc. — das bekommt man durch Spiegelung am Brettmittelpunkt bzw durch Drehung um 180 Grad. Ich habe das im Text nach dem Hinweis von Urs Handschin korrigiert!

Argentinisches Schach

Bohrte man von Peking aus ein Loch mitten durch die Erde, käme man in der Nähe von Buenos Aires in Argentinien wieder heraus. Dies ist der Grund für den Namen Argentinisches Schach, das Manfred Rittirsch dieses Jahr in Andernach vorgestellt hat: Es ist quasi die Antiform des Chinesischen Schachs.

Beim Argentinischen Schach läuft es also anders herum: Hier zieht eine argentinische Dame, wenn sie nicht schlägt, wie ein Lion, also wie ein Grashüpfer, nur beliebig weit hinter den Sprungstein; argentinischer Turm und Läufer entsprechend. Schlagend ziehen sie wie die orthodoxen entsprechenden Steine.

Eigene Namen haben die Steine auch:

  • Argentinische Dame: Senora (SE)
  • Argentinischer Turm: Faro (FA)
  • Argentinischer Läufer: Loco (LO)
  • Argentinischer Springer: Saltador (SA)

Letzteren müssen wir noch erklären: Der schlägt (nicht wie ein normaler Springer, sondern … [Korrektur 7.5.2016]) wie eine Kombinationsfigur aus Mao und Moa und zieht wie eine Kombinationsfigur aus Maohüpfer und Moahüpfer; ein SAg1 kann also nur schlagfrei nach f3 ziehen, wenn auf f2 oder auf e2 ein Stein steht.

(Informationen und Definitionen zu quasi allen Märchenbedingungen und -Steinen findet ihr im Schwalbe-Märchenschachlexikon.)

Mit argentinischen Schach kann man natürlich auch Retros bauen – Manfred hat bei der Präsentation der neuen Bedingung bereits eine Beweispartie vorgestellt, die ein argentinisch-eigenes Thema zeigt (die “argentinischen Steine” sind im Diagramm nach rechts gekippt dargestellt):

Manfred Rittirsch
Andernach 2016
Beweispartie in 8 Zügen, Argentinisches Schach (13+16)

 

1.e4 FAa4 2.LOe3 FAxe4 3.FAa4 FAh4 4.SAa3 FAd4 5.FAh4 FAxh4 6.LOc5 FAh8 7.h4 FAxa4 8.SAh3 FAa8 mit Platzwechsel der beiden schwarzen Faros bei schwarzer Home Base.

Es macht sicher Spaß, sich mit dieser neuen Bedingung zu beschäftigen, die nun in Andernach „natürlich“ Gegenstand eines Kompositionsturniers ist. Und selbstverständlich können die argentinischen Steine auch “einzeln” als Märchenfiguren genutzt werden, ohne dass sofort alle Steine argentinisch werden. Aber das ist ja z.B. mit den chinesischen Steinen nicht anders.

Nachtrag 11./12.05.2016:
Manfred teilte mir mit, dass Thomas Maeder eine Nebenlösung gefunden hat, nämlich 1.e4 FAa4 2.LOe3 FAxe4 3.FAh4 FAxh4 4.FAa4 SEd4!5.LOc5 SEb6 6.SAa3 FAxa4 7.h4 FAa8 8.SAh3 SEd8. Manfred arbeitet an einer Korrektur, die ich dann sicher hier veröffentlichen werde.

Retro der Woche 42/2015

„Proof Games of the Future“, also Beweispartien, in denen mindestens zwei Themen mindestens doppelt gesetzt sind, sind in den letzten Jahren der große Renner, solche Aufgaben landen sehr oft auf den führenden Rängen der Preisberichte renommierter Retrospalten.

Aber vielleicht gerade deshalb freue ich mich über Abwechslung, über hervorragende Beweispartien, die nicht in dieses Grundschema fallen, die aber trotzdem exquisiten Inhalt zeigen.

Ein solches Stück ist die Aufgabe, die ich heute ausgesucht habe.

Eric Pichouron
StrateGems 2011, 2. ehrende Erwähnung
Beweispartie in 20,0 Zügen (13+12)

 

Bei Schwarz sind wir sehr schnell mit dem Zählen der sichtbaren Züge fertig; bei Weiß lohnt sich die Mühe eher.

Dort kommen wir auf 4+0+4+2+4+7=21 — doch das kann nicht sein, da die Stellung in 20 Zügen erspielt werden muss.

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Retro der Woche 32/2015

Am Freitag habe ich erfahren, dass nun das FIDE-Album 2007-2009 endgültig erschienen ist; mir selbst liegt es allerdings noch nicht vor.

Daher weiß ich auch nicht, ob die Aufgabe, die ich für heute ausgesucht habe, dort enthalten ist — es würde mich aber wundern, wenn nicht!

Nicolas Dupont
Die Schwalbe 2009, 4. Preis
Beweispartie in 27 Zügen (15+11)

 

Bei Schwarz fehlen in seiner Homebase-Stellung genau fünf Bauern, von denen wegen er weißen Bauernstruktur nur der [Bg7] auf seiner Linie geschlagen worden sein kann. Die weißen Schläge sind offensichtlich axb, cxb, exf, gxf und hxg. Damit mussten sich außer dem [Bg7] alle anderen vier fehlenden schwarzen Bauern umwandeln, um entweder als Umwandlungssteine zu sterben oder geschlagene Originalsteine im Diagramm zu ersetzen.

Mit diesen Schlag-Überlegungen wissen wir auch bereits, dass nur [Bd2] bei Weiß fehlt.

Betrachten wir nun die sichtbaren Züge:

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Retro der Woche 31/2015

„Das kann doch nicht so schwer sein!“ werden sich manche Schwalbe-Löser im Jahre 2004 gedacht haben, als sie die vorliegende Aufgabe sahen. Allerdings hat sich das aus trügerisch herausgestellt, wie einige Löserkommentare zeigten: „An dieser Aufgabe hatte ich — trotz der geringen Zügezahl — am meisten zu beißen.“ oder „Ging dicht an die Grenzen meiner Lösungs-Leistungsfähigkeit und beweist, dass die Schwierigkeit nicht immer proportional mit der Zügezahl zunehmen muss.“ schrieben zwei erfahrene Löser.

Woran liegt die Schwierigkeit?

Klaus Kiesow
Die Schwalbe 2004, Lob
Beweispartie in 11 Zügen (15+12)

 

Sofort fällt auf, dass der bei Weiß einzig fehlende [Bf2] auf h6 gestorben ist. Zwei prinzipiell unterschiedliche Wege führen potenziell zu seinem Tod: direkt (via f4xg5xh6) oder indirekt, indem er sich umgewandelt hat und dann nach h6 gezogen hat. Die dritte Möglichkeit, dass ein weißer Original-Offizier auf h6 geschlagen wurde und der Umwandlungsstein diesen ersetzt, können wir aufgrund der Zügezahl schnell ausschließen.

Betrachten wir zunächst die erste Alternative: Bei Schwarz fehlen die beiden Springer, der [Bc7] sowie der [Lc8], der zu Hause geschlagen werden musste. Lassen sich die beiden schwarzen Springer auf g5 und h6 schlagen, benötigen sie zusammen fünf Züge, darüber hinaus sind noch fünf schwarze Züge im Diagramm sichtbar.

Weiß hat acht Züge Zeit, die beiden schwarzen Steine der c-Linie abzuholen. In vier Zügen kann Sb1 auf c8 sein — das klappt also, wenn er zwischendurch noch den [Bc7] „mitnimmt“. Der aber hat nur einen Zug übrig, müsste also auf c7, c6 oder c5 geschlagen werden. Das allerdings kann bei der Zügezahlbegrenzung bei Weiß nicht klappen, das funktioniere nur, wenn [Bc7] bis c4 ziehen könnte!

Also muss [Bf2] umgewandelt haben — und damit beginnt die Schwierigkeit.

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