Retro der Woche 20/2025

In dieser Woche erschien die zweite Ausgabe von Probleemblad in diesem Jahr und darin die Lösung einer Aufgabe, die ich schon im aktuellen WCCI gesehen und für eine Vorstellung hier vorgesehen hatte.

Vor zwei Wochen hatte ich hier bereits einen Verteidigungsrückzüger von Joaquim Crusats vorgestellt; heute soll ein zweiter kommen. Ich hoffe, ihr findet diese Forderung, die den „Kampf“ in die Retroanalyse bringt, genauso interessant wie ich?

Joaquim Crusats
Probleemblad 2024
-8 & #1, VRZ Proca (14+12)

 

Der schwarze Doppelbauer auf der a-Linie zeigt, dass die beiden fehlenden weißen Steine (ein Bauer und ein Springer) von der c-Linie aus geschlagen wurden. Bei Weiß sehen wir die Schläge fxg, gxh und cxd7; bei Schwarz fehlen [Bh7], die beiden Springer und die Dame; ein Schlag ist also noch frei.

Wenn wir suchen, wie Weiß mattsetzen könnte, verfallen wir vielleicht gleich auf ein Damenmatt auf der achten Reihe — ja, warum geht nicht einfach R 1.Sb5-d4 Tc8-d8 2.Dd8-e7 & 1.Qxc8#? Das ist illegal, da Schwarz davor keinen letzten Zug hat! Und 2.Dd8xSe7, (droht 2…S-e7+ 3. & 1.Dxc8#) scheitert an 2…Sd5-e7+ und der Vorwärtsverteidigung …Sb4#.

Also sollten wir versuchen, diesen Hauptplan vorzubereiten.

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Retro der Woche 12/2025

Wieso die Spezialform des Serienzug-Hilfsmatts, mit der wir uns heute beschäftigen wollen, mit dem Attribut “konsequent” beschrieben wird, hat sich mir noch nie so ganz erschlossen. Vielleicht wegen “konsequenter Amnesie”? Jedenfalls definiert sie das Schwalbe-Problemschachlexikon so:
“Ein Serienzüger, bei dem nach jedem Zug die Retroanalyse der Stellung neu durchgeführt wird (also ohne Kenntnis früherer Züge und Analysen). Beispielsweise wird eine Rochade wieder möglich, wenn König und Rochadeturm auf ihre entsprechenden Felder ziehen (weil in der neuen Analyse ‘vergessen’ ist, dass beide bereits gezogen haben).”
Damit sind nette Spielereien mit Mehrfachrochaden möglich — aber auch tiefsinnigere Retro-Überlegungen, wie in dem Stück, das wir uns heute gemeinsam anschauen wollen:

Thierry Le Gleuher
The Problemist 2022, 3. Lob
Konsequentes Serienzughilfsmatt in 31 Zügen (7+11)

 

Weiß hat nach 31 schwarzen Serienzügen ja nur den Mattzug; das schränkt die Möglichkeiten des Mattsetzens schon deutlich ein. Der wLb6 taugt hier zum Mattsetzen überhaupt nicht, da dazu der schwarze König sein Eckfeld verlassen müsste — das aber funktioniert nur ohne den Läufer.

Das einzig vorstellbare Matt ist axb7#. Das aber setzt voraus, dass sTa7 das Mattfeld b7 nicht mehr deckt. Heraus kommt er aber nur, wenn er nicht den wBa6 schlagen will, nachdem wLb6 verschwunden ist. Dann aber muss a7 dem schwarzen König auf andere Weise unzugänglich gemacht werden. Weiß kann das Feld nicht selbst decken, also muss es durch Schwarz blockiert werden. Wer kommt dafür in Frage?

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Retro der Woche 06/2025

Vor einiger Zeit schon hatte ich mich bereit erklärt, als einer der fünf Richter der Retroabteilung des 12. WCCI (World Championship in Composing for Individuals) für die Jahre 2022 bis 2024 zu fungieren. Vor einigen Tagen erhielt ich die 126 (!) Aufgaben von 28 Teilnehmern, die ich nun in den kommenden Wochen „à la FIDE-Album“ bewerten muss.

Das Gute daran ist natürlich, dass ich dabei auch einige Aufgaben entdecke, die ich euch hier vorführen kann – und damit will ich gleich heute beginnen.

Vidmantas Satkus
Champagne-Turnier Batumi 2023, 2. Preis
Hilfsmatt in 2 Zügen, (11+15)

 

Wenn solch eine Aufgabe in einem Retro-Turnier auftaucht, ist es vielleicht ganz sinnvoll, anstatt sogleich mit Löseversuchen zu beginnen, die Stellung genauer zu betrachten. Beginnen wir also mit den Schlagfällen.

Schwarz fehlt nur ein Bauer, Weiß hat den fehlenden schwarzen Stein mittels axb geschlagen – das Schlagopfer kann kein Bauer gewesen sein. Also muss sich der fehlende Bauer umgewandelt haben.

Bei Weiß fehlt von jeder Steinart jeweils ein Vertreter, wir sehen aber nur zwei schwarze Doppelbauern im Diagramm. Nehmen wir einfach an, deren Schläge seien cxd und exf gewesen. Macht euch bitte am Ende unserer Überlegungen klar, dass die genauso bleiben, wenn gxf geschehen sein sollte. Also sind noch drei Schläge frei?

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Retro der Woche 18/2024

Bei der Löse-Europameisterschaft in Hagen hatten einige Schachfreunde auch Bücher angeboten, und da habe ich ein wenig eingekauft. Das „Альъом России” (Album Russia) für die Jahre 1992 bis 1994 reizte mich, und ich habe dort schon einige sehr interessante Aufgaben, nicht nur bei den Retros, gefunden – viele Quellen sind hier kaum bekannt oder zugreifbar.

Auffällig ist, dass das Album mit seinen 456 Aufgaben, davon 24 Retros, keine einzige Märchenschach-Aufgabe enthält…

Für heute habe ich ein Stück ausgesucht, das mir sehr gut gefällt, das auch, so glaube ich, nicht allzu schwer zu lösen ist.

Juri Lebedew & Andrej Frolkin
Schachmatnaja Komposizia 1993, 3. Preis
Letzte 11 Einzelzüge (9+15)

 

Beginnen wir mit der Inventur: Bei Weiß fehlen neben einem Turm und dem schwarzfeldrigen Läufer fünf Bauern, bei Schwarz fehlt nur ein Bauer.

Schon bei einem flüchtigen Blick auf die Stellung bemerkt man den im Schach stehenden weißen König. Damit ist die Frage, wer denn mit der Rücknahme beginnt, bereits geklärt: Das muss Schwarz sein. Wie aber ist das Schach durch den Läufer auf a6 zu erklären – der Läufer kann nicht schachbietend dort hingezogen haben, und es ist auch kein schwarzer Offizier zu sehen, der im letzten Zug ein Abzugsschach gegeben haben könnte.

Die einzige Möglichkeit stammt vom sBc3 – aber direkt kann er die Batterie nicht abgefeuert haben. Also: En-Passant-Schlag. Und damit haben wir bereits die ersten drei Züge für unsere Rücknahme R 1.– b4xBc3ep+ 2.c2-c4 b5-b4+.

Bei dieser Aufgabe will ich die Lösungsfindung komplett vorstellen, daher solltet ihr, wenn ihr selbst komplett lösen möchtet, was ich jedem empfehlen kann, nicht sofort auf „Weiter“ klicken…

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Retro der Woche 01/2023

Nach zwei orthodoxen Retros aus dem FIDE-Album 2016 — 2018 möchte ich das neue Jahr mit einem weiteren Beispiel daraus „märchenhaft“ beginnen. Ihr ahnt sicher, dass auch in diesem Album die Anticirce-Verteidigungsrückzüger den Märchenteil dominieren; ich möchte aber heute ein anderes Stück vorführen, eine Beweispartie mit der Bedingung „Madrasi“. 1979 erfunden, wurde sie schon als populärer Nachfolger der Circe-Familie angesehen, doch in den letzten Jahren ist es erstaunlich ruhig um Madrasi geworden. Dabei ist die Regel eigentlich ganz einfach:

“Ein Stein, welcher von einem gegnerischen Stein gleicher Gangart beobachtet wird, ist gelähmt. Wird der beobachtende Stein geschlagen oder die Beobachtungslinie unterbrochen, ist die Lähmung aufgehoben. Ein paralysierter Stein kann also nicht Schach bieten. Zwei Regeln muss man zudem wissen:
– ein doppelschrittig ziehender Bauer ist e.p.-schlagbar,
– eine Rochade (= Königszug) mit einem gelähmten Turm ist möglich.”
(zitiert aus kunstschach in begriffen)

Michel Caillaud
Die Schwalbe 2018, 4. Preis
Beweispartie in 29,5 Zügen, Madrasi (16+11)

 

Schauen wir uns die Stellung zunächst „mit orthodoxer Brille“ an: Bei Schwarz fehlen die fünf Bauern [Bd7] bis [Bh7], bei Weiß sehen wir fünf Bauernschläge: [Bc2] bis [Bg2] stehen auf dem Brett jeweils ein Feld weiter östlich. Das schließt nicht aus, dass z.B. [Bf2] nicht geschlagen hat, dafür [Be2] zweimal, die eigentliche Bilanz ändert das nicht.

Bei Schwarz die sichtbaren Züge zu zählen (1+0+0+1+1+0=3 mit vorausgesetzter Rochade) ist nicht der Mühe wert; bei Weiß ist das schon spannender: 2+1+4+4+6+13=30 — alle weißen Züge werden gebraucht, und die Züge von König, Dame und den Bauern (theoretisch bis auf wBh6) sind determiniert.

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Retro der Woche 31/2022

31.07.22: Vergessene Lösung nachgetragen…

Heute möchte ich euch wieder eine spezielle Idee der Retroanalyse anhand einer Aufgabe vorstellen, die ich in der neuesten Ausgabe von Problemas wiederentdeckt hatte: Es geht um die Zulässigkeit von en passant Schlägen. „Da ist doch alles klar“, könnte man sagen: „Wenn der Doppelzug eines Bauern als letzter Zug eindeutig nachweisbar ist, ist dieser Spezialschlag zulässig — sonst halt nicht!“

Joaquim Crusats
Wolobujew-60 Turnier 2018, 2. ehrende Erwähnung
h#2,5 a posteriori (11+14)

 

Also ein Hilfsmatt in zweieinhalb Zügen: Weiß beginnt im Vorwärtsspiel und setzt mit Unterstützung des Schwarzen matt. Wenn wir nachweisen könnten, dass g7-g5 der letzte schwarze Zug gewesen wäre, gibt es ein paar Matts, z.B. 1.– fxg6 ep 2. Td8 g7 3.Td7 g8=T/D#.

Aber natürlich können wir im Diagramm nicht nachweisen, dass unser Wunschzug auch der letzte des Schwarzen gewesen ist; der könnte auch Ta4-a8 gewesen sein. Doch halt!

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Retro der Woche 47/2021

In den letzten Wochen hatten wir uns hier hauptsächlich mit ganz neuen, ziemlich frisch veröffentlichten Stücken beschäftigt — vielleicht ein guter Grund, mal wieder in die Geschichte der Retroanalyse zu schauen.

Alexei Alexejewitsch Troizki (* 14. März 1866 in Sankt Petersburg; † 14. August 1942 in Leningrad während der Blockade durch deutsche Truppen) ist hauptsächlich als Studienkomponist bekannt — manche bezeichnen ihn als den Begründer des modernen Studienschachs. Ihn kennen auch vielen Partiespielern wegen seiner erschöpfenden Analyse des Endspiels „Zwei Springer gegen einen Bauern“. Die Endspieldatenbanken fast hundert Jahre später bestätigten eindrucksvoll die Präzision seiner Untersuchungen.

Troizki hat aber auch einige hervorragende Retros gebaut; eines davon möchte ich heute zeigen. Es erschien im Jahr 1915 in dem berühmten Buch Retrograde Analysis von Thomas R. Dawson und Wolfgang Hundsdorfer in der White’schen Christmas-Serie. Dieses Buch und die Autoren hatte ich anlässlich seines hundertsten Geburtstag in der Schwalbe vorgestellt.

Alexei Troitzki
Retrograde Analysis 1915
Weiß zieht und gewinnt (11+12)

 

Das ist sicher nicht schwer zu lösen, und wer das ganz allein schaffen möchte, ohne meine Überlegungen zur Stellung, der möge nun einfach den folgenden Text noch nicht ausklappen!

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Retro der Woche 17/2021

Vor zwei Wochen hatte ich hier eine der beiden Aufgaben vorgestellt, die sich im Ceriani-Gedenkturnier, dessen Preisbericht vor genau 50 Jahren in Die Schwalbe erschien, die beiden Preise teilte; heute ist nun die andere Aufgabe an der Reihe.

Deren Autor, Josef Haas (28.1.1922—Nov. 2003), war Kriminalbeamter, und seine Retros zeigen immer wieder die Notwendigkeit kriminalistischen Gespürs für das Erschließen der Lösung; die Auswahl seiner Retro-Aufgaben, die er im Jahr 1999 im Eigenverlag veröffentlichte, träge den bezeichnenden Titel „Tatort Schachbrett“ – übrigens eine sehr empfehlenswerte Lektüre!

Josef Haas
Ceriani-Gedenkturnier, Preis ex aequo
Weiß nimmt 1 Zug zurück und setzt in 2 Zügen matt. b) wBb7 > h2 (11+11)

 

Bei Aufgaben dieser Art ist nicht nur das Finden der beiden Lösungen interessant, sondern auch stets die Begründung, weshalb die Lösung des einen Teils nicht im anderen funktioniert — solange dies nicht durch die Zwillingsbildung schon mechanisch ausgeschlossen ist.

Die Aufgabe ist recht komplex, deswegen greife ich hier gern auf die Lösungsangaben von Karl Fabel zurück, die er in „Meisterwerke der Retroanalyse“ (bearbeitet von Werner Keym in sechs immer noch sehr lesenswerten Folgen im Schwalbe-Jahrgang 1981 erschienen) veröffentlicht hat. Dabei bleibt euch immer noch etwas an „Eigenarbeit“ für das komplette Verständnis der Aufgabe. Aber die lohnt, das verspreche ich euch!

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