Retro der Woche 47/2023

Wir verbinden die Kompositionen von bernd ellinghoven, der Anfang dieser Woche verstorben ist, meist mit Märchenschachaufgaben oder längeren Hilfsmatts, in denen er sich, häufig zusammen mit Fadil Abdurahmanović, um Darstellung neudeutscher Ideen bemüht hat — die von bernd so genannte “Hilfsmatt-Revolution”.

Aber er war auch ein großer Freund der Retroanalyse, bewunderte etwa das Werk von Wolfgang Dittmann, wie man in seinem Kommentaren zu dessen “Der Blick zurück” nachlesen kann. Selten kam er allerdings zum Komponieren von Retros — meist zusammen mit Co-Autoren. Eines dieser Ergebnisse, das wesentlich Märchenschachelemente enthält, möchte ich euch heute zeigen.

bernd ellinghoven & Hans Peter Rehm
Messigny 2002, O. Ronat gewidmet, Ehrende Erwähnung
h#2 b) sLe4 nach d4 — Elsässisches Anticirce (3+15)

 

Wir erinnern uns: Bei Anticirce verschwindet das Schlagobjekt, der Schläger wird circensich wiedergeboren. Allerdings muss sein Wiedergeburtsfeld frei sein, ansonsten ist der Schlag nicht zulässig.

Das Attribut “elsässisch” bringt nun den Retroaspekt ins Spiel: bei “elsässischen” Aufgaben muss jede Stellung nicht nur gemäß der Märchenbedingung(en) legal sein, sondern auch gemäß der orthodoxen Regeln. Und das führt häufig zu spanenden Lösungen, in denen ansonsten mögliche Züge an der orthodoxen Legalität scheitern. Und das werden wir natürlich auch hier erleben.

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Retro der Woche 39/2020

Das Elsass lohnt immer, aber besonders jetzt im Herbst, einen Besuch: Vogesen und Rheintal, Straßburg und hübsche kleine Dörfer, Riesling und Zwiebelkuchen.

Aber auch schachlich hat das Elsass eine Menge zu bieten: So kommen Natch und iNatch hierher -– und das ursprüngliche „Elsässische Circe“, das Jean Zeller (27.7.1909-3.1.2002), natürlich Elsässer, vor 40 Jahren einführte und auf Vorschlag von Michel Caillaud diesen Namen trägt; ich hatte es 2013 hier im Blog schon vorgestellt.

Die Regel ist eigentlich recht einfach und macht es zu einem spannenden Grenzgänger zwischen Märchenschach und Retros:

Die Stellung einer Circeschach-Aufgabe muss im Diagramm und nach jedem (Einzel-)Zug auch orthodox legal sein.

Natürlich bietet sich eine Verallgemeinerung an, nämlich anstelle von Circe eine andere Märchenbedingung zu nutzen. (Die Stellung einer Aufgabe mit Märchenbedingung muss im Diagramm und nach jedem (Einzel-)Zug auch orthodox legal sein.) Das geht mit fast allen Bedingungen – wieso aber ist beispielsweise „Elsässisches Duellantenschach“ witzlos?

Ich hatte „Elsässisches Schach“ in einem Vortrag beim Schwalbetreffen 2013 in Sindelfingen vorgestellt (in erweiterter Form in Die Schwalbe, Dez. 2013, S.310f erschienen); Bernd Gräfrath hat es dann für Beweispartien genutzt und darüber in feenschach (Nov.-Dez. 2013, S. 386ff) berichtet; daraus möchte ich ein Stück zitieren.

Bernd Gräfrath
feenschach 2013
Beweispartie in 7 Zügen, Elsässisches Schlagschach (12+12)

 

Bernd gibt hierzu neben der Lösung fünf Verführungen an, die unter Schlagschach-Bedingungen legal sind, aber nicht unter den orthodoxen Regeln. So ist mit Zugumstellungen im Lösungsverlauf 5.bxc8=K möglich –- eine nicht so wirklich orthodox legale Umwandlung. Und da im Schlagschach der König keine königlichen Eigenschaften hat, gibt es auch Lösungen, in denen ein König „im Schach stehen bleibt“: auch das ist im orthodoxen Schach natürlich nicht möglich.

Die einzige Lösung, die sowohl nach den Schlagschach- als auch den orthodoxen Schachregeln legal ist, ist die folgende:

Lösung

Prentos-Schlag 7.– KxLd7.

Hier ist auch die orthodoxe Beweispartie in sieben Zügen eindeutig –- das allerdings ist durch die Bedingung nicht zwingend gefordert.

Persönlich bin ich davon überzeugt, dass „elsässisches Schach“ noch viele interessante Möglichkeiten mit allen Forderungs-Typen und auch verschiedenen Märchenschach-Arten bietet -– der Retro-Anteil ist ja sozusagen „serienmäßig“ enthalten.

Interessant stelle ich mir auch Aufgaben vor, in denen eine Verführung (wie hier) gemäß der verwendeten Märchenbedingung legal, bezüglich der orthodoxen Regeln aber illegal ist und eine andere Verführung orthodox legal, bezüglich der verwendeten Märchenbedingung aber illegal ist.

Hans Peter Rehm 75

Heute gehen meine herzlichen Glückwünsche an Bühl in Baden zu Hans Peter Rehm, der heute seinen 75. Geburtstag feiert. Viel muss ich über den Supergroßmeister im Komponieren, über den hoch geschätzten Preisrichter, Autor und Buchschreiber gar nicht sagen — nur, dass er ab und zu neben seinen großartigen Drei- und Mehrzügern, Selbst- und Hilfsmatts und Märchenaufgaben zumindest bei Tagungen im Teamwork auch schon Retros gebaut hat.

Eine Aufgabe, die mir sehr gut gefällt, möchte ich hier vorstellen:

bernd ellinghoven & Hans Peter Rehm
Messigny 2002, O. Ronat gewidmet, Ehrende Erwähnung
H#2, Elsässisches Anticirce b) sLe4 nach d4 (3+15)

 

Die “elsässische “Bedingung erfordert, dass nach jedem einzelnen Halbzug die Stellung im orthodoxen Sinne legal sein muss. Beim Anticirce verschwindet das Schlagopfer, der Schlagtäter wird auf sein circensisches Ursprungsfeld versetzt, das frei sein muss.

a) 1.Tb8 Lf6 2.cxb3[+sBb7] Ld4#
b) 1.Tg8 Tb2 2.hxg5[+sBg7] Te2#

Der erste schwarze Zug blockiert ein Springer-Ursprungsfeld, der zweite schwarze Zug lässt einen eigenen Bauern wiedererstehen, damit der nach dem 2. weißen Zug den mattsetzenden Stein nicht schlagen darf: Der schwarze Läufer würde dann zum Umwandlungsstein, was aber nicht sein kann, da Schwarz noch alle acht Bauern auf dem Brett stehen hat.

Lieber Pit, auch von dieser Stelle aus wünsche ich dir zu deinem neuen Lebensjahr von Herzen alles Gute, vor allen Dingen natürlich Gesundheit!

Vorträge beim Schwalbe-Treffen

Bereits am gestrigen Donnerstag, dem ersten Tag des diesjährigen Schwalbe-Treffens in Sindelfingen, gab es schon interessanten Vorträge: Hartmut Laue (Selbstmatt-Schachbearbeiter der Schwalbe), stellte einige Selbstmatts aus dem gerade beendeten 9. WCCT vor und diskutierte dabei einige Fragen zur Ästhetik und Konstruktion von Selbstmatts; anschließend präsentierte Hubert Gockel, #2-Sachbearbeiter der Schwalbe und Organisator der Tagung, Zweizüger mit der Bedingung „Elliuortap“, bei der Steine nur dann Schlag- und damit (Schach-) Kraft haben, wenn sie nicht von einem Stein gleicher Farbe beobachtet werden.

In den Vorträgen des heutigen Freitags berichtete Dieter Kutzborski von neuen Ideen aus dem Umfeld der römischen Idee, und bernd ellinghoven stellte Beispielaufgaben für ein neues Thematurnier von Die Schwalbe und feenschach vor.

Ich selbst habe einige Aufgaben mit der elsässischen Bedingung vorgestellt, darunter auch eine von Hubert Gockel, die ich hier zeigen möchte:

Hubert Gockel
Die Schwalbe 1982
H# in 2 Zügen, Elsässisches Circe (7+10), Zeroposition: a) sLh5 nach f1; b) wSd6

 

In einer Zeroposition muss die Diagrammstellung nicht gelöst werden; zunächst müssen also die Stellungsänderungen vorgenommen werden.

In beiden Phasen kann eigentlich die schwarze Dame den Matt setzenden weißen Stein schlagen, und das sogar mit Schachgebot gegen den weißen König. Dies aber ist gerade das Dilemma: Dieses Schachgebot könnte schwarz orthodox nicht zurücknehmen, so dass dieser Schlagzug gemäß der elsässischen Bedingung nicht zulässig ist.

a) 1.Dd1 Dxd3 2.Sf5 Df3#

b) 1.Df1 Sf5 2.Sd1 f3#.

Einige weitere Aufgaben werde ich in einem kleinen Artikel für Die Schwalbe vorstellen.

(Update vom 5. Oktober 2013)

Elsässisches Circe

Vor in paar Tagen begann im Forum von MatPlus.net eine Diskussion über Elsässisches Circe. Diese Bedingung ist ziemlich genau ein Drittel Jahrhundert alt; sie wurde von Jean Zeller (er stammte aus dem Elsaß, daher auf Vorschlag von Michel Caillaud der Name der Bedingung) in 49 feenschach Januar-März 1980 (S.298-303) eingeführt.

Die Regel ist eigentlich ganz einfach, hat aber dann gelegentlich verblüffende Konsequenzen:

Nach jedem Circe-Zug muss die Stellung unter orthodoxen Gesichtspunkten legal bleiben. Auch muss das Diagramm selbst sowohl nach den Circe- als auch nach den orthodoxen Regeln legal sein.

Mit anderen Worten: Zur Diagrammstellung und nach jedem Zug muss es eine orthodoxe und eine circensische Beweispartie (die natürlich nicht eindeutig sein muss) geben, die zu dieser Stellung führt.

Das ist also eine Märchenbedingung, die für uns Retro-Freunde sehr interessant ist — und ich bin mir sicher, auf diesem Gebiet sind noch sehr viele interessante Sachen möglich!

Ein kleines und einfaches Beispiel aus dem oben zitierten Artikel möchte ich hier vorstellen:

Jean Zeller
feenschach 1980
Hilfsmatt in 3 Zügen, Elsässisches Circe (7+3)

Die Stellung ist orthodox legal (wLa6 ist ein Umwandlungsläufer), und es gibt auch keine Zweifel an der circensischen Legalität der Stellung. Wäre die sDh1 ein Turm, löste sich die Aufgabe auch ohne Circe in zwei Zügen (1.Th8 Ta1 2.Tb8 Lc8#), aber die schwarze Dame ist ein denkbar schlechter Block.

Aber irgendwie muss ja die neue Bedingung zum Tragen kommen — und dann finden wir ein Mattbild mit schwarzen Blocks auf a7 und b8 und Lb7#, wenn denn das Schlagen des Läufers aus irgendwelchen Gründen nicht möglich wäre. Das kann natürlich nur elsässisch begründet werden, und dann ergibt sich die Lösung

1.Dh2 f3 2.La7 Tf2! 3.Db8 Lb7#, denn nun entstünde nach einem Schlag des Läufers und dessen circensischer Wiedergeburt auf f1 eine illegale Stellung, da der wTf2 niemals orthodox in diesen Käfig hätte gelangen können — also Matt.

Übrigens lässt sich die elsässiche Bedingung auch mit anderen Bedingungen (z.B. Madrasi, Anticirce, etc.) verknüpfen, und da lassen sich bestimmt noch interessante Sachen entdecken!

Nachtrag 31.8.13:
Beim Blick in WinChloe fand ich die Nebenlösung 1.Lxf2 Ld3 2.La7 Tf7 3.Lb8 Le4# — ganz ohne Circe, von “elsässisch” ganz zu schweigen… Das lässt sich natürlich leicht reparieren, z.B. +wBf5 oder +sBe7.