Retro der Woche 04/2019

Vor einigen Tagen erhielt ich das Phénix Heft mit meinem Retro-Preisbericht 2015-2016. Aus dem Bereich der „klassischen Retros“ hatte ich hier bereits den 1. Preis und den 3. Preis gezeigt; heute möchte ich euch einen Verteidigungsrückzüger aus diesem Turnier vorstellen.

Andrej Frolkin & Joaquim Crusats
Phénix 2015-2016, 3. ehrende Erwähnung
-9 & #1, VRZ Proca (13+13)

 

Beim Verteidigungsrückzüger versucht Weiß die Vorwärtsforderung (hier: Matt in einem Zug) zu erfüllen, spätestens nachdem die angegebene Anzahl von Rückzügen gemacht worden ist; Schwarz versucht sich gegen das weiße Ziel (natürlich nur mit legalen Rückzügen) zu wehren. Beim Typ Proca bestimmt die rückziehende Seite, ob und welcher Entschlag mit der Rücknahme verbunden war; auch hier sind natürlich nur legale Entschläge gestattet.

Was haben Autoren, Löser und Preisrichter nur übersehen? Das lässt sich doch direkt in einem Zug lösen: R: 0-0-0 & vor: 1.Txa2#. Obwohl: Konnten die hochklassigen Autoren das übersehen? Und auch der Preisrichter? Vielleicht lohnt es, die Stellung genauer zu betrachten…

Die weißen Bauern haben alle fehlenden schwarzen Steine geschlagen: axb, b2xc3, e2xf3. Damit müssen auch [Bg7] und [Bh7] drei Mal geschlagen haben: Einer muss auf f3 verschwinden oder umwandeln, , der andere muss sich nach h2 im wahrsten Sinne des Wortes durchschlagen. Daher konnte [Th1] den Südosten nicht verlassen, ohne das Rochaderecht zu verlieren: Aslo kann wTh6 nicht [Th1] sein.

Da Weiß noch über alle acht Bauern verfügt, kann er also auch nicht durch Umwandlung entstanden sein, damit bleibt nur: Th6 ist [Ta1] – und Td1 ist [Th1].

Damit ist klar, dass Weiß nicht sofort die Rochade zurücknehmen darf, da auf d1 der „falsche Rochadeturm“ steht. Und die Autoren und der Preisrichter sind dann vielleicht doch nicht so schachblind, wie am Anfang befürchtet?!

Also ist der allgemeine Vorplan etwa die Rücknahme von Tg1-d1 und Td1-e1-e6-h6, doch da hat Schwarz natürlich auch noch ein Wort mitzureden.

R 1.Te6-h6 Te4-h4! 2.Te5-e6 Te3-e4 3.Te4-e5 Te2-e3 4.Te3e4 Te1-e2 5.Te2-e3 Tg1-e1! 6.Tf1-d1 Tg2-g1 7.Te1-e2 Tg1-g2 8.Td1-e1 Tg2-g1 9.0-0-0 . & vor: 1.Txa2#

Wenn sich sTh4 nicht in den Südosten drängen lassen will, dann kann, wenn beide weißen Türme wieder „unten“ sind, Weiß einfach exSf3 zurücknehmen, und damit ist dann auch e1 frei für den weißen König. [Lf1] wurde dann durch einen schwarzen Umwandlungsbauern geschlagen. Und R 5.– Tf1-e1 ist schwächer: 6.Te1-e2 Tg1-f1 7.Tf1-e1 Tg2-g1 8. 0-0-0 & vor: 1.Txa2#.

Weiß muss den kompletten achtzügigen Vorplan ausschließlich aus dem Grund spielen, um den richtigen Turm zur Rücknahme der Rochade bereit zu haben – der Vorplan ist also völlig zweckrein. Ein wie ich finde sehr schöner neudeutscher Verteidigungsrückzüger, in dem der Hauptplan originell und versteckt nur aus dem einen originellen retroanalytischen Grund des “falschen Rochadeturms” scheitert.

6 thoughts on “Retro der Woche 04/2019

  1. I had forgotten most of the details about this problem composed a few years ago. From the comments by Henrik and Vlaicu it follows that in the event that the bR refuses to enter the cage, White wins on time with e2xPf3! (then no promotion could take place on h1).

  2. “Th6 ist [Ta1] – und Td1 ist [Th1]”
    Not exactly right, as the refutation of Tf1-e1 shows. A better explanation would be something like ‘before white retracts his king for the last time to e1, there must be a rook in the southeast cage.’

  3. There is something more, which is not mentioned in the otherwise excellent analysis of this problem: how can the presence of bRg2 be explained? The answer to this question will reveal even more subtleties about the position!

    White’s right to castle can be explained only if the bRg2 is actually a promoted Rook. That means black Pawns g and h made the three captures and both passed through h2. One of them stops there, the other one is promoted on h1 and the other remains on that square.

    Both black pawns had to capture a white piece on h2 – the only possible candidates being the Queen and the dark-squared Bishop. The light-squared black Bishop was captured by at f3 by the pawn e2, while the light-squred white Bishop was captured by the pawn original h7 somewhere on g file.

    The South-East cage can be easily opened after White retracts g2-g3, enabling all black pieces (Sh1, Ph2 and Rg1) to get out via g3. That also means the retraction e2xBf3 is unique and can’t be retracted before the white light-squared Bishop returns to f1 when the black Rook enters in the South-East cage.

  4. Very enjoyable defensive retractor.
    If sTh4 stays outside, it is suggested that White retracts e2xSf3; but then Black can prevent uncastling by retracting Se1-f3, so some other e2xYf3 is needed, I think.

  5. This splendidly entertaining problem is a good hint for all of us, who are not so familiar with retractors, to widen up our spectrum! Congratulations to the authors!

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