Retro der Woche 42/2022

Und schon wieder eine Beweispartie — das ist heute wie schon in der letzten Woche der Aktualität geschuldet, aber gleichzeitig, das kann ich schon versprechen, gibt es heute auch ein „Sahnestück“ zu genießen!

Beim 11. WCCT war in der Retro-Abteilung folgendes, von der Ukraine vorgeschlagene, Thema vorgegeben (Ich gebe es in Kurzfassung, die englische Originaldefinition findet sich etwa im WCCT-Booklet.): Auf Partieanfangsfeld A des Steines X, der (oder sein Zwillingsbruder) geschlagen wird, erscheint ein in X umgewandelter Bauer derselben Farbe (Pronkin-Effekt), das er wieder verlassen darf. Auf A entsteht auch ein Ceriani-Frolkin-Stein (natürlich der anderen Farbe).

Silvio Baier
11. WCCT, Abteilung H, 1. Platz
Beweispartie in 30 Zügen (13+13)

 

Das Zählen der sichtbaren Züge (1+0+2+2+1+4=10 bei Weiß, 2+1+0+1+2+6=12 bei Schwarz, wo wir Rochade eingerechnet haben und daher zwei S-Züge brauchen) bringt uns erschreckend wenig weiter. Aber vielleicht hilft uns das Betrachten der sichtbaren Schlagfälle?

Bei Weiß fehlen drei Bauern: [Ba2] sowie zwei vom Königsflügel; die können alle nicht direkt geschlagen worden, müssen also per Umwandlung verschwunden sein. Damit haben wir schon 25 weiße Züge — und damit noch fünf, um die Umwandlungssteine oder ihre Original-Pendants loszuwerden.

Auch bei Schwarz fehlen drei Bauern, aber wegen der weißen Bauernstruktur müssen sich „nur“ zwei davon umgewandelt haben; der dritte kann einfach geschlagen worden sein. Bei Schwarz wissen wir sogar genau, welche Bauern fehlen: [Be7], [Bg7] und [Bh7], denn der auf f4 hatte kein Schlagobjekt, kommt also von f7. Damit haben wir bei Schwarz 22 Züge identifiziert; es bleiben also allem Anschein nach acht Züge zum Beseitigen der beiden Umwandlungssteine.

Ist das so richtig? Nicht unbedingt: Zur Ermöglichung der Rochade würde ja ein einziger Springerzug (Sg8-f6) reichen — wenn Sg8 ein Pronkinstein ist!

Da wir ja das vorgegebene Thema kennen, vermuten wir vielleicht wegen der noch freien Züge gleich zwei Pronkinsteine bei Schwarz — bei Weiß würde „Pronkin“ zeitlich eng. Und dafür käme eigentlich nur sDe7 (der Pronkinstein darf sein Zielfeld ja verlassen) oder sTa8 in Frage. Beide möglichen Originalsteine könnten sich in zwei Zügen auf c3 schlagen lassen. Damit wären noch sieben Züge frei, um die beiden schwarzen Umwandlungssteine im Pronkin-Sinne zu führen.

Da ein Pronkin-Springer mindestens vier Züge in die Schein-Heimat benötigt, bleiben für Turm oder Dame drei Züge frei: 2.Dd8, 3.De7 oder 1.Tx5/6, 2.Ta5/6, 3.Ta8.

Wollt ihr nach diese Vorüberlegungen versuchen zu lösen? Leicht ist es sicherlich trotzdem noch nicht, aber es lohnt sich!

Lösung


Ein wahres opus magnum — und von allen vier wertenden Ländern (Deutschland durfte natürlich nicht …) auf Platz eins gesetzt: Von Argentinien, Frankreich und den USA allein, von der Ukraine zusammen mit der zweitplatzierten Aufgabe von Dirk Borst.

Schon bei der nationalen Auswahl hatte diese Aufgabe bei allen Wertern vorn gestanden, und wir waren uns ziemlich sicher, dass dieses Stück mit seiner zweieinhalbfachen Themadarstellung — in der modernen Notation CF(Q,Q,B) & PR(r,s), angereichert mit Allumwandlung und Rochade — weit vorn landen würde.

Was es dann auch tat … Und das lag sicher nicht nur an der Zweieinhalbfach-Setzung, sondern auch an den Pronkins: Der Springer ist dafür eh die schwierigste Figur wegen seiner mindestens vier erforderlichen Züge “nach Hause” — und auch der sonst häufig recht banale Turm-Pronikin (a1=T, Ta8) ist hier deutlich komplexer (e1=T, Te5, Ta5, Ta8).

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