Retro der Woche 07/2021

Beim traditionellen Champagne-Turnier anlässlich der WCCC Treffen (dreimal dürft ihr raten, welche Art von Preisen Organisator und Preisrichter Michel Caillaud dabei vergibt) gibt es immer wieder interessante Themen und hochklassige Aufgaben. 2019 hatte Michel das Thema „Bristol“, also Bahnungen, gestellt; den Gewinner der Beweispartien-Abteilung hatte ich als Retro der Woche 37/2019 bereits vorgestellt, heute möchte ich mit euch das zweitplatzierte Stück anschauen. Michels allgemeine Definition der Bahnung für dieses Turnier war

Ein Stein, weiß oder schwarz, verlässt (in einem Retro-Zug) Feld x.
Ein anderer Stein gleicher Farbe spielt (in einem Retro-Zug) in dieselbe Richtung und überquert dabei Feld x.

Ivan Denkovski
Champagne Turnier 2019, 2. Preis
Beweispartie in 27,5 Zügen (14+15)

 

Mit Kenntnis des Themas könnte man beim ersten Blick aufs Diagramm meinen: „Aha, die Türme auf der dritten Reihe bilden das Thema, dazu gibt es noch die Bahnung von Dame und Läufer auf h3 und g4. Ach ja, lange Rochade, und dafür muss die Dame irgendwie nach Osten kommen. Und dafür soll man so viele Züge benötigen?“

Schauen wir uns das einmal genauer an, zunächst wollen wir uns mit der Schlagbilanz beschäftigen.

Bei Weiß fehlen die beiden Läufer, bei Schwarz [Bh7]. Der kann nicht direkt geschlagen werden, da Weiß ja auf f3 geschlagen hat. Also muss er auf g1 umgewandelt haben und auf seinem Weg dorthin [Lf1] geschlagen haben, [Lc1] wurde offensichtlich auf f6 geschlagen. Der Umwandlungsstein steht noch auf dem Brett, denn vor der Umwandlung musste ja gxXf3 geschehen, um den Weg nach g1 frei zu machen.

Überlegen wir nun, was auf f3 geschlagen und dann durch Umwandlung ersetzt werden konnte: Läufer scheidet wegen der Felderfarbe aus, ein Springer braucht in Summe acht Züge, aber Dame oder Turm kommen mit fünf Zügen aus, z.B. Dd7-f5-f3 und Dg1-g2-h3 oder Te8-e3-f3 und Tg1-b1-b3. Wurde auf f3 die Dame geschlagen, so benötigen die beiden Türme zusammen sechs Züge, damit kommen wir auf 1+5+6+3+6+7=28 schwarze Züge – zu viel! Bei einem Schlag eines Turms auf f3 klappt es allerdings: 1+2+8+3+6+7=27 Züge – freie Züge für Schwarz haben wir nicht mehr.

Also ist Tb3 der Umwandlungsstein, er muss von g1 via b1 dorthin gelangt sein. Und damit haben wir natürlich sofort einen neuen Verdächtigen als thematisch Bahnungslinie: das kann nun nur die erste Reihe sein! Und damit hat sich auch unsere Vermutung der langen Rochade in Luft aufgelöst.

Nun stellt sich sofort die Frage, wie (zumindest) Dame und König den Umwandlungsturm durchlassen konnten? Bei Überlegungen zur Zugreihenfolge zeigt sich, dass e2-e3 erst spät erfolgen kann, da vorher, aber auch recht spät, noch Te8-e3-c3 erfolgen muss; das bequeme Ausweichfeld e2 steht Weiß also nicht zur Verfügung. Stattdessen müssen beide bis zur h-Linie ausweichen.

Auch mit diesen Erkenntnissen ist es noch nicht ganz leicht, die Lösung zusammenzustellen; ich empfehle euch aber, genau das nun selbst zu tun:

Lösung

Preisrichter Michel Caillaud erwähnt darüber hinaus noch den (formalen) Bristol des weißen Königs und dessen Rückkehr nach e1, den Rundlauf des [Sg1] sowie den schon erwähnten Phoenix-Turm; ich ergänze noch den (nicht besonders spannenden, aber trotzdem thematisch nett ergänzenden) Bristol von [Dd8] und [Lc8] sowie die weiße Pseudo-Rochade. Eine sehr inhaltsreiche Aufgabe!

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