Retro der Woche 43/2021

In der letzten Woche hatte ich hier den ersten Preis der Beweispartie-Gruppe im Schwalbe-Informalturnier 2019 vorgestellt, heute geht es um das Pendant aus der Gruppe B „Rückzügr und andere klassische Retroprobleme“. Nein, keine Panik ob der sehr märchenhaften Forderungen, der Preisrichter Thomas Kolkmeyer beruhigt uns schon mit seiner Vorbemerkung zu dieser Aufgabe: „Hier stimmt einfach alles: Das Problem reizt zum Lösen, es ist überschaubar und ganz logisch.“

Andreas Thoma
Die Schwalbe 2019, 1. Preis Gruppe B
#1 vor 28 Zügen VRZ Høeg, Anticirce Cheylan (7+9)

 

Ich lade euch also herzlich ein, das zu erkunden. Aber erst noch einmal zur Forderung: Im Verteidigungsrückzüger (VRZ) hat Weiß das Ziel, nach der abwechselnden Rücknahme der angegebenen Züge (hier also 28 weiße und, da Weiß beginnt, 27 schwarze) die Vorwärtsforderung (hier also #1) zu erfüllen; Schwarz versucht, das abzuwehren. Beim Typ Høeg bestimmt die Gegenseite jeweils, ob und welcher Steih geschlagen wurde — natürlich alles im Rahmen der Legalität. Im Anticirce wird der schlagende Stein auf seinem entsprechenden Feld der Partieausgangsstellung wiedergeboren, das frei sein muss, damit ein Schlag möglich ist. Im Typ Cheylan darf nicht auf das eigene Partieausgangsfeld geschlagen werden, das wird als „besetzt“ angesehen.

Anhand des Kommentars, der Beschreibung von Preisrichter Thomas Kolkmeyer kann man, glaube ich, recht gut der Lösung folgen; ein wenig mit Verteidigungsrückzügern vertraute können danach sicher selbst Löseversuche unternehmen, die anderen sollten sie vielleicht zwei- oder dreimal nachspielen, um dann auch die Feinheiten der Lösung zu entdecken.

Zunächst einmal fällt auf, dass wTd8 und wLf8 die schwarze Dame und den schwarzen Läufer momentan kraftlos machen, beide könnten nicht schlagen, da ihr Startfeld besetzt ist. Die Rücknahme von 1.Kf2-g1 würde den weißen König also nur in ein Einfach-Schach durch den sBg3 stellen, und das könnte Schwarz durch g4-g3+ zurücknehmen — und wie noch?? Richtig, durch Df7-f6+, denn auf f7 verstellt die Dame das Startfeld des Bauern g3 nach dessen (virtuellen) Schlag auf f2!

Nun die Beschreibung von Thomas Kolkmeyer:

„Weiß kann nur zusätzliches Material bekommen, wenn er Schwarz zum Entschlagen zwingen kann. Aber leider steht kein schwarzer Stein auf seinem Ursprungsfeld. 28 Züge sind eine Menge und nur sinnvoll zu nutzen, wenn Weiß mit Remispendeln arbeitet. Dass es dann schließlich fünf Pendel werden und dass nur der weiße König die ganze Arbeit macht, bringt mich doch zum Staunen. Ganz langsam steigt der weiße König immer eine Reihe höher, begleitet jeweils vom sBf3. Sehr witzig ist, dass die schwarze Dame immer das Schlagen des weißen Königs durch einen schwarzen Bauern verhindern muss. Zwischendurch wird geschickt der schwarze König nach c5 gelenkt. Und schließlich im 27. Zug muss zur Remisvermeidung der sBd6 eine weiße Figur entschlagen. Jetzt kann Weiß eine weiße Dame fordern, womit das Material ausreicht, um den schwarzen König matt zu setzen… Gratulation an den Autor!“

Lösung

1.Kf2-g1 Df7-f6+ (1) 2.Ke3-f2 De7-f7+ 3.Kf2-e3 Df7-e7+ (2) 4.Ke3-f2 De7-f7+ 5.Kf2-e3 g4-g3+ (erzwungen; 1. Pendel) 6.Lg7-f8 Df8-e7+ 7.Kf3-f2 Df7-f8 (1) 8.Ke3-f3 De7-f7+ 9.Kf3-e3 Df7-e7+ (2) 10.Ke3-f3 De7-f7+ 11.Kf3-e3 g5-g4+ (erzwungen; 2. Pendel) 12.Kg3-f3 Df8-e7+ 13.Kf4-g3 Df7-f8+ (1) 14.Ke3-f4 De7-f7+ 15.Kf4-e3 Df7-e7+ (2) 16.Ke3-f4 De7-f7+ 17.Kf4-e3 g6-g5+ (erzwungen; 3. Pendel) 18.Ke5-f4 Kc5-d5+ (1) 19.Kf5-e5 Df7-e7+ 20.Ke5-f5 De7-f7+ (2) 21.Kf5-e5 Df7-e7+ 22.Ke5-f5 d7-d6+ (erzwungen; 4. Pendel) 23.Ke6-e5 De7-f7+ (1) 24.Kf5-e6 Df7-e7+25.Ke6-f5 De7-f7+ (2) 26.Kf5-e6 Df7-e7+ 27.Ke6-f5 c7/e7:Dd6 (erzwungen; 5. Pendel) 28.Sa7-c6 & vor: 1.Tc1#.


Zwei Löserkommentare aus der Schwalbe möchte ich hier noch zitieren:

Klaus Wenda: „Komplexe, tiefsinnige Verknüpfung von nicht weniger als fünf Remispendeln. Als Anticirce Høeg Retraktor vermutlich eine Pionierleistung, die in diverse Anthologien Eingang finden wird. Fünf hintereinander geschaltete Pendel habe ich bisher unter der Bedingung Anticirce Proca erst einmal in einem inzwischen oftmals nachgedruckten Preisträger von Vlaicu Crişan gesehen: 7. FIDE World Cup 2019, 1. Preis Retros.“ (Diese Aufgabe könnt ihr im entsprechenden Preisbericht bewundern!)

Und Silvio Baier: „Sind fünf Pendel Rekord? Auf jeden Fall auch so ein grandioses Stück, was an systematische Bewegungen in Studien erinnert.“ Ich finde, ein sehr passender Vergleich!

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