Retro der Woche 46/2015

Heute möchte ich mit euch zurück in die „Jungsteinzeit“ der Beweispartien — in eine Zeit, als sich die Beweispartien als eigenständige Retro-Form etablierten, als man nämlich entdeckte, welche Reize in deren Eindeutigkeit stecken konnten.

Schauen wir uns die heutige Aufgabe also einmal genauer an.

Nikita Plaksin & Michel Caillaud
feenschach 1982, 1. ehrende Erwähnung
Beweispartie in 25,5 Zügen (12+13)

 

Betrachtet man die Stellung ein wenig genauer, merkt man sofort, dass sTa2 ein Umwandlungsstein ist, denn über die erste Reihe konnte er wegen [Lc1] niemals nach a2 gelangt sein. Wegen des schwarzen Doppelbauern auf der a-Linie muss sich also [Bd7] auf a1 umgewandelt und dazu auf a2 [Ta1] geschlagen haben — und damit sind auch alle schwarzen Schlagfälle erklärt.

Bei Weiß fehlen neben [Ta1] noch [Bf2], [Bg2] und [Bh2], die allesamt nicht direkt geschlagen worden sein können; sie müssen sich also alle drei umgewandelt haben. Neben exXd3 stehen Weiß noch zwei Schläge zur Verfügung, und damit ist klar, dass sich die drei Bauern alle auf g8 umgewandelt haben.

Neben den 15 Bauernzügen für die Umwandlungen sehen wir noch zwei weitere Bauernzüge, je einen Springer- und Turmzug (Ta2) sowie drei Züge für den Platzwechsel [Ke1]/[Dd1], so dass für das Loswerden der drei Umwandlungssteine nur noch vier Züge übrig bleiben — und damit hat man sicherlich schnell einen Verdacht bezüglich des Themas: drei Ceriani-Frolkin-Läufer.

Allzu schwer sollte dann die Lösung nicht mehr fallen:

1.h4 Sa6 2.h5 Sc5 3.h6 Se4 4.hxg7 h5 5.g4 Sh6 6.g8=L Lg7 7.g5 Lf6 8.g6 Lh4 9.g7 f6 10.Lb3 Sg5 11.g8=L Sh3 12.Lgc4 d5 13.a3 dxc4 14.Ta2 Dd3 15.exd3 Ld7 16.Ke2 OOO 17.f4 Tdg8 18.f5 Tg6 19.fxg6 cxb3 20.g7 bxa2 21.g8=L a1=T 22.Lc4 Ta2 23.La6 bxa6 24.De1 Kb7 25.Kd1 Lc8 26.Se2.

Das dreifach gesetzte Ceriani-Frolkin-Thema ist bereits nach dem 23. schwarzen Zug erfüllt, aber die Autoren wollten es sich offensichtlich nicht nehmen lassen, den Platzwechsel im weißen Palast und die Rückkehr des [Lc8] noch zu vollenden.

Nun gab es allerdings, ebenfalls in feenschach veröffentlicht, gar schon eine Vierfachsetzung von Ceriani-Frolkin-Läufern in einer Beweispartie — aber nicht eindeutig. Und wie reagierte das Löse-Publikum?

Zu der Vierfachsetzung schrieb Hans Heinrich Schmitz: „Das Entscheidende sind natürlich die 4 Entschläge und Entwandlungen der wLLLL, und die sind elegant begründet und voller Witz. Und ihre Reihenfolge und manches andere ist unabdingbar– aber vieles eben nicht, und Fabel bis Deichelbohrer haben da appetitanregend gewirkt, Eindeutigkeit als Würze zu empfinden und zu wünschen, wie wie sie seit jeher bei Mattproblemen auch in Nebensachen (=Nebenspielen) angestrebt wird.“

Interessant auch die Replik von bernd ellinghoven gewesen: „Nu ja, … die von HHS gewollte Eindeutigkeit würde viele schöne Retroideen un-darstellbar machen — wie höchstwahrscheinlich fast alle Stücke mit diesem ‘Frolkin-Thema’ (und das wäre doch schade, oder?).”‘

Zum Glück hat bernd sich da geirrt, und Hans Grubers Kommentar zu unserer heutigen Aufgabe war entsprechend begeistert: „MC zeigt’s uns allen: auch bei der Darstellung des Frolkin-Thema’s kann man eindeutige KBPs’s machen, hier Typ LLL. Das setzt neue Kategorien für die Komposition von Aufgaben zum Frolkin-Thema (und der Kritiker HHS hat mal wieder recht behalten, als er seinen Unmut äußerte, weil bei Aufgaben dieses Typs nie die KBP eindeutig war!); ob dieses gravierenden Fortschritts hat die Aufgabe (zumal mit dem neckischen PW wD-wK gewürzt) eine hohe Note verdient: 4.5/III.“

Ungefähr seit dieser Zeit, also ab 1982, sah man kaum noch nicht-eindeutige Beweispartien, und die Beweispartie, wie wir sei heute kennen, begann ihren Siegeszug in der Retrowelt. Ihre wesentlichen Förderer waren sicherlich Hans Heinrich Schmitz als Kommentator/Kritiker und Michel Caillaud als Komponist, dem dann viele folgten.

2 thoughts on “Retro der Woche 46/2015

  1. Danke, Thomas, für diesen Beitrag! Besonders die drei Zitate (dich ich noch nicht kannte) fand ich interessant. Es ist immer spannend, die ersten Reaktionen auf Neuerungen zu lesen (das galt z.B. auch – um Beispiele aus anderen Sphären zu nehmen – für die ersten Reaktionen auf Darwins Evolutionstheorie und auf die ersten impressionistischen Gemälde).

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