Retro der Woche 13/2023

Vor gut zwei Wochen hatte ich auf das Vlaicu Crişan 50 Turnier hingewiesen; dort werden in der 2. Abteilung Verteidigungsrückzüger verlangt, bei denen die Vorwärtsverteidigung eine zentrale Idee bildt. Heute möchte ich euch eine Aufgabe zeigen, in der die Vorwärtsverteidigung nicht im Mittelpunkt steht, sondern subtil mit für Korrektheit sorgt. Die Aufgabe zeigt noch einige weitere Feinheiten, die zur Eindeutigkeit der Lösung beitragen.

Wolfgang Dittmann
The Problemist 1981 (V)
#1 vor 6 Zügen, VRZ Proca (12+10)

 

Wir erinnern uns: Beim Typ Proca des Verteidigungsrückzügers bestimmt die gerade zurücknehmende Partei, ob ihr Zug ein Schlagzug war und welcher Stein geschlagen wurde — hierbei muss natürlich stets die Legalität der Stellung gewahrt bleiben.

Ich orientiere mich bei meinen Angaben eng an denen des Autors selbst in seinem „Der Blick zurück“; dort wird diese Aufgabe als Nr. 129 präsentiert.

Eigentlich muss Weiß ja nur den Schwarzen zur Rücknahme von Kd8-c8 (oder Kd8xSc8 — warum kein anderer weißer Stein?) zwingen, und schon kann er mattsetzen. Aber wie kann das gelingen?

Sicherlich nur durch Retro-Zugzwang bei Schwarz: Das ist nicht so schwer zu erraten, da Schwarz ja nur seinen [Bf7] zurückziehen kann, der nun als umgewandelter Läufer auf f1 steht.

Wollt ihr das direkt selbst versuchen zu lösen? Achtet doch da mal darauf, wie alternative Zugreihenfolgen bei Weiß, wie mögliche störende Entschläge durch Schwarz vermieden werden — oder seid ihr auf den einen oder anderen Fehlversuch hereingefallen?

Lösung

1.Td1-e1! f2-f1=L 2.d2-d3! f3-f2 3.Kb1-a1 f4-f3 4.Kc1-b1 f5-f4 5.0-0-0! (nun muss der sK ziehen, da 5.– e(g)6xXf5?? oder 5.– f6-f5?? illegal ist) 5.– Kd8xSc8 (versperrt die 8. Reihe) 6.Sd6-c8 & vor 1.Txb8# oder 5.— Kd8-c8 6.h2-h3! & vor: 1.Txb8#

Die möglichen Fehlversuche erläutert der Autor selbst:

„In der schlichten Stellung sind einige Feinheiten untergebracht. Die scheinbaren Nebenlösungen 1.d2-d3? oder 1.Kb1-a1?, die wie eine harmlose Zugumstellung aussehen, werden überraschend durch die Vorwärtsverteidigung von Schwarz widerlegt, mit der Schwarz durch zurück 1.– f2-f1=L & vor 1.– f2:e1=D# den Spieß umdrehen kann. Diese Gefahr ist nach dem 1. Retrozug vorüber; die Widerlegung des scheinbaren Duals im 2. Zug (2.Kb1-a1? e3xLf2!) beruht darauf, dass der schwarzfeldrige weiße Läufer erst nach der Rücknahme d2-d3 für einen Entschlag durch den sB ausfällt. Im 2.-4. Retrozug darf der sB entschlagen, aber nur D oder S, was jedes Mal zu Kurzmatts führt (die wD setzt auf c7 matt, der wS geht nach e6 mit folgendem Txc7#). Die Pointe ist, dass nach der Rochade-Rücknahme der sBf5 nicht mehr entschlagen darf, weil nun die wD als Entschlagsobjekt ausfällt! Auch 5.– f6-f5?? ist illegal, weil danach der wTb7 nicht mehr zurückkommt. Eine kleine nachträgliche Korrektur habe ich vorgenommen: In der früheren Fassung (The Problemist 11/1981, verbessert ebd. 01/1982) stand der wB auf h6. Aber das hatte nach der ebenfalls möglichen Antwort 5.– Kd8-c8 (schlaglos) den Dual 6.h5-h6 oder 6.f2xS(T,D)g3 zur Folge, während in der obigen Stellung Weiß nun nach 5.– Kd8-c8 nur noch 6.h2-h3! zurücknehmen darf, weil 6.f2xXg3?? illegal wäre; denn der Rückweg des wTb7 nach h1 muss frei bleiben. Bei Beachtung all dieser Retro-Motive fällt es kaum auf, dass hier auch ein Rochade-Platzwechsel über die lange (!) Rochade realisiert ist.“

Ist euch dieser Platzwechsel aufgefallen?

Sicherlich nicht der tiefste und komplexeste orthodoxe Proca von Wolfgang Dittmann, ich mag dieses Stück aber wegen seines vielfältigen, unterschiedlichen Argumente für die Eindeutigkeit der Lösung. Dies alles zu integrieren, erfordert schon eine Menge technischer Fähigkeiten, über die Wolfgang ja zweifellos verfügte.

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