Retro der Woche 09/2023

Die Karnevalszeit ist vorbei, die Schachfiguren haben den Alkohol auch wieder ausgedünstet (Retro der Woche 08/2023) — verblüffen uns aber vielleicht auch heute mit ihren Spaziergängen übers Brett. Und das sind sehr gut überlegte und nüchterne Wege, die sie Michel in der heutigen Aufgabe gehen lässt.

Michel Caillaud
10. WCCT 2016-2017, 3.-5. Platz
Beweispartie in 19,5 Zügen (13+13)

 

Das Zählen im Diagramm sichtbarer Züge ist bei Weiß sehr schnell erledigt, und auch das Ergebnis des Zählens bei Schwarz ist ernüchternd: 4+0+3+1+2+3=13: Deutlich mehr als bei Weiß, aber immer noch sind sechs Züge frei. aber zum Glück fehlen ja ein paar Steine, und mit deren Hilfe lassen sich vielleicht noch ein paar Schlussfolgerungen ziehen?!

Bei Schwarz fehlen neben einem Bauern vom Königsflügel noch [Dd8] und [Lf8]. Um nun die beiden weißen Doppelbauern (kommt Bg3 wohl von f2 oder von h2?) zu erzeugen, müssen sich entweder die beiden fehlenden Offiziere dort geopfert haben — dann sind nur noch zwei Züge frei — oder ein Offizier auf c3 und [Bg7] auf g3, dann bleibt nur noch ein weißer Zug frei.

Und nun fällt uns vielleicht auch auf, dass bei Weiß neben einem Bauern noch ein Turm (offenbar [Th1] fehlt — und noch [Lf1], der zuhause geschlagen werden musste. Und nun sind ein oder zwei freie schwarze Züge plötzlich gar nicht mehr viel!

Wer kommt denn als Schlaftäter auf f1 überhaupt in Frage? Nur der sTh2! Der kann dann nicht in drei, sondern in fünf Zügen via f1 und h1 nach h2 gelangen.

Was ist aber mit dem weißen König, wenn der schwarze Turm nach f1 kommt? Hinauslaufen? Schwer vorstellbar mit dem sSe4, der ja relativ früh dort hingezogen haben muss (vor f6, vor dem Auszug von König und Dame. Also sich irgendwie auf d1 verstecken mit Schachschutz auf e1?

Wenn ihr nun versucht zu lösen, werdet ihr feststellen, dass das allein noch nicht reicht — und das, was dann noch „on top“ kommt, katapultiert die Aufgabe gleich in deutlich höhere Sphären…

Lösung


Überraschend ist der zusätzlich erforderliche Schachschutz auf g1! Und damit haben wir nicht einfach nur ein paar Rückkehren (das wäre beim WCCT mit den geforderten mehrfachen Platzwechseln auch zu wenig gewesen), sondern — erstmals überhaupt einen vierfachen (!) Lois, also „Platzwechsel hin und zurück“. Schaut euch dazu die Stellung nach dem 12. weißen Zug an und dann die Diagrammstellung…

Und so hat auch das deutsche „Richterkollektiv“ kommentiert: „This seems to be the first fourfold cyclic Lois, which is a great technical achievement. The motivation of the shielding of the white king from a check on f1 is well-known. However, the path of the black rook via h1 with an additional shield on g1 is beautiful and original.“ Ich bin ehrlich gesagt immer wieder begeistert, wen ich mir die Aufgabe anschaue!

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