Retro der Woche 51/2018

Die kostenlose Internet-Zeitschrift Quartz deckt ein weites Spektrum des Problemschachs ab, und dabei spielen orthodoxe ebenso wie märchenhafte Retros eine bedeutende Rolle; ich kann euch die Lektüre ans Herz legen.

Heute möchte ich euch das Stück zeigen, das Preisrichter Thirry Le Gleuher aus 44 Urdrucken der drei Jahre 2007 bis 2009 ganz an die Spitze gestellt hatte.

Éric Pichouron
Quartz 2007-2009, 1. Preis
Beweispartie in 19,5 Zügen (14+12)

 

Zwei Dinge fallen beim Blick auf das Diagramm, ohne dass man sich schon Gedanken um die Lösung machen muss, ziemlich schnell auf: Beide Damenläufer mussten zu Hause geschlagen werden; ebenfalls (vielleicht in diesem Zusammenhang?) ist der weiße Turm auf a8 recht auffällig. Und da [Dd8] vor [Ke8] herausmusste, war der schwarze König schon draußen, bevor der weiße Turm ins schwarze Lager eindrang – oder er brauchte einen Schachschutz.

Zählen wir wie üblich die im Diagramm sichtbaren Züge: Bei Schwarz sind wir schnell fertig 2+1=3, also 16 freie Züge; bei Weiß sieht man 3+2+6+1+3+4=19 Züge – ein weißer ist also noch frei. Dieser freie Zug kann auf verschiedene Weisen erklärt werden: Irgendwo ein verborgener Wartezug im weißen Spiel – oder wBe5 ist der [Bc2]: Der brauchte nämlich drei Züge nach e5 statt zweien des [Be2]. (Warum können wir ausschließen, dass [Be2] und [Bf2] überkreuz geschlagen haben?)

Da Schwarz so viele freien Züge hat, können wir versuchen, die prinzipielle Reihenfolge der weißen Züge zu erkunden. Relativ früh muss Bf4 erfolgen, um [Ke1] (und dann auch [Dd1] heraus zu lassen, und ebenso muss das Feld e2 recht früh frei werden (durch Schlag des [Be2] oder durch Bauernzug), um [Lf1] und anschließend [Th1] frei spielen zu können. Ebenso muss [Lc1] verschwunden sein, bevor [Ta1] ziehen kann. Der kann aber nicht über c1 nach draußen kommen: [Sb1] muss vorher gezogen haben, und wenn er nicht die c-Linie verstellen will, braucht er drei Züge nach c3 – die hat er aber nicht zur Verfügung.

Also muss [Ta1] über e1 nach draußen gekommen sein. Wenn dann [Be2] auf e4 oder e5 steht, braucht der Turm nach c8 oder nach h5 mindestens fünf Züge. Wir hatten oben nur jeweils drei Züge angesetzt, nur ein Zug ist dann noch frei – Widerspruch! Daher kommt Be5 von c2, und Weiß hat keine Züge mehr frei!

Daraus folgt nun direkt, dass [Bc7] schlagfrei auf c1 umgewandelt haben muss, nachdem auf diesem Feld der Läufer geschlagen wurde. Vorher muss also Bc2xd3 erfolgt sein. Für das Schlagen sowohl des [Be2] als auch des [Lc1] kommen nur [Dd8] oder einer der Original-Springer in Frage. Wir haben schon gesehen, dass beide Steine sehr früh verschwinden müssen, und dafür ist [Sb8] am schnellsten: Er kann im dritten und vierten Zug beide weißen Steine schlagen und sich bereits im 5. Zug auf d3 opfern.

Damit stellen sich dann „nur noch“ die Fragen nach der Umwandlungsfigur auf c1, welcher Stein auf der e-Linie geschlagen wurde – und wie [Dd8] und [Ke8] herauskommen. Die Umwandlung auf c1 muss nun ebenfalls recht schnell erfolgen: Weiß benötigt die freie c-Linie für dann schnell folgendes Th1-c1xc8xa8. Daher hat Schwarz keine Zeit, mit dem [Ke8] herumzulaufen, sondern es bedarf eines echten Schachschutzes auf c8 oder b8. Der kann von einer Dame oder einem Springer gegeben werden.

Und wenn ihr dann herausgefunden habt, warum es nicht mit der doch eigentlich viel schnelleren Dame klappt, dann habt ihr quasi schon die Lösung…

1.f4 Sc6 2.Kf2 Sd4 3.Kg3 Sxe2+ 4.Kh4 Sxc1 5.h3 Sd3 6.cxd3 c5 7.d4 c4 8.Ld3 c3 9.Se2 c2 10.Dg1 c1=S 11.Dh2 Sb3 12.Tc1 Sa5 13.Txc8 Sc6 14.Txa8 Sb8 15.Sbc3 Da5 16.Te1 Kd8 17.Sc1 Kc7 18.Te5 Sc6 19.Th5 Se5 20.dxe5.

Sehr elegantes Spiel: Der Pronkin-Springer (c1=S-b8) opfert sich anschließend als Ceriani-Frolkin Springer auf e5; quasi alles ist determiniert durch das Spiel auf der c-Linie.

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