Retro der Woche 22/2024

Wie schon angekündigt möchte ich heute noch einmal auf den Retro-Preisbericht Probleemblad 2021-2022 von Hans Gruber und Dirk Borst zurückkommen; vor drei Wochen hatte ich bereits den ersten Preis demonstriert, vor zwei Wochen dann ein Buchstabenproblem – und heute möchte ich auf das zweitplatzierte Stück, wieder eine orthodoxe Beweispartie, eingehen.

Eric Pichouron, Michel Caillaud & Nicolas Dupont
Probleemblad 2021-2022, 2. Preis
Beweispartie in 19,0 Zügen (15+16)

 

Nur [Lf1] fehlt, der offenbar auf a6 geschlagen wurde. Ansonsten fallen im Diagramm besonders die Türme auf der achten Reihe auf: Den weißen auf b8 kann man sich noch gut von h1 kommend vorstellen, wie allerdings Tg8 – wahrscheinlich von a8 kommend – hier gelandet sein könnte, ist nicht so offensichtlich. So viel sei verraten: Das ist das eigentliche Thema dieser Beweispartie.

Doch zunächst zählen wir einmal die sichtbaren Züge von Weiß: 3+2+5+3+0+5=18 – hinzu kommt noch Lf1-a6, sodass alle weißen Züge erklärt sind. Damit ist auch das Zählen von 3+2 Zügen für König und Tc2 korrekt: Mit Rochade würden die beiden Figuren nur 2+2 Züge brauchen, das aber würde Platz machen des Sb1 und dessen Rückkehr, also in Summe einen Zug mehr, erfordern.

Bei Schwarz lassen wir die Türme einmal außen vor, dann sehen wir 1+1+?+4+4+3=13 Züge – also haben wir noch sechs freie Züge, um [Ta8] nach g8 zu bringen. Das muss über die achte Reihe erfolgen, denn „außen herum“ würde nicht funktionieren: Der Turm könnte den Norden zwar über die b-Linie verlassen, aber weiter im Osten nicht wieder dorthin zurückkehren.

Also müssen die anderen schwarzen Figuren ihm Platz schaffen, dafür müssen sie selbst (temporär) die achte Reihe räumen. Bei den Läufern und Springern sieht man das direkt, aber Dame und König müssen jeweils Platz machen. Damit bleiben dem Turm dann trotzdem noch vier Züge übrig, um nach g8 zu gelangen.

Das aber wollt ihr nun sicherlich selbst untersuchen?

Lösung


Hans und Dirk schieben in ihrem Preisbericht: „Turm a8 rutscht über die achte Reihe, legt dabei drei Pausen ein, tauscht dabei mit vier Offizieren (Lc8, Dd8, Ke8, Sg8) die Plätze. Das erscheint uns hochoriginell, und tatsächlich konnten wir nichts Ähnliches finden, nicht einmal unter den Beiträgen zum 10. WCCT, wo das Thema ja „mehrere Steine tauschen ihre Plätze“ lautete. Das weiße Spiel erscheint nicht bemerkenswert, aber die Konstruktion ist extrem clever und das höchst überraschende Turmmanöver ist keineswegs von Anfang an offensichtlich.“

Den versteckten Tipp der beiden, sich einmal mit der Konstruktion zu beschäftigen, kann ich nur unterstreichen: Allein das Timing der Damenbewegung ist verborgen begründet. Und besonders einheitlich wird die Lösung durch die genaue Taktung der schwarzen Züge: Jeweils „Offizier macht Platz – Turm nimmt dessen Standfeld ein – Offizier nimmt das Standfeld des Turms ein“ in drei schwarzen Zügen direkt hintereinander folgend.

Auch wenn ich normalerweise kein besonderer Fan solch formaler Themen bin: Das ist großartig und trickreich dargestellt!

3 thoughts on “Retro der Woche 22/2024

  1. Eine schöne Beweispartie mit sehr paradoxem Thema. Sie erinnert mich an Michel Caillaud & Eric Pichouron, P517 StrateGems 95, 07-09/2021: 1. b4 g6 2. Lb2 Lh6 3. Dc1 Lxd2+ 4. Kd1 Sh6 5. b5 Lb4 6. Lc3 O-O 7. Le1 Kh8 8. Sc3 Tg8 9. Db1 Df8 10. Kc1 Dg7 11. Sd1 Dc3 12. b6 Dh3 13. gxh3 axb6 14. Lg2 Txa2 15. Lc6 bxc6 16. Sf3 La6 17. Tf1 Lc4 18. Sg1 Le6 19. c4 Td2 20. Ta3 Sa6 21. Tc3 Ta8 22. Da1 Sb8 23. Kb1 Taa2 24. Tc1+ Tab2+. Der Geist ist ähnlich dem Retro der Woche, die Umsetzung aber ganz anders = zyklischer Platzechsel KDL, danach KDS und nochmals danach KDT.

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