Retro der Woche 51/2021

Nachdem ich vor drei Wochen hier den Fabel’schen Längenrekord von 1947 und letzte Woche dessen Überbietung von Michel Caillaud aus dem Jahre 1982 vorgestellt hatte, will ich heute die Geschichte der Beweispartie-Längenrekorde weitererzählen.

Karl-Heinz Bachmann verbesserte 1987 mit einigen technischen Kniffen in ähnlichem Schema den Rekord auf 48 Züge (P0002277) – und dann kam ein Riesensprung: Dimitri Pronkin und Andrej Frolkin schraubten den Rekord auf unglaubliche 57,5 Züge!

Das konnte natürlich nur mit einer gänzlich anderen Grundidee funktionieren, denn das Fabel-Schema hatten Caillaud und Bachmann großartig ausgeschöpft. Pronkin und Frolkin hatten die aberwitzig erscheinende Idee, das Thema mit einer Anhäufung von Umwandlungen anzugehen.

Dimitri Pronkin und Andrej Frolkin
Die Schwalbe 1989, Preis
Beweispartie in 57,5 Zügen (14+14)

 

Eine auf den ersten (und auch noch den zweiten und dritten) Blick schier unglaubliche Stellung mit jeweils acht Türmen – die beiden anderen Bauern müssen jeweils geschlagen werden, um Schneisen für die Umwandlungsbauern zu schaffen. Also nicht nur ein Längenrekord, sondern auch eine materialökonomische Aufgabe, die durch die Einheitlichkeit der Umwandlungen und die „aristokratische“ Stellung ohne Bauern nicht einfach „nur“ ein unglaublicher Rekord ist, sondern auch seine ästhetischen Reize hat.

Wie kann man die Aufgabe lösen?

Wollt ihr dazu meine Antwort haben? Die lautet schlicht und ergreifend „gar nicht!“ Ich kenne einige wenige, die sie glaubhaft in einigen Tagen gelöst haben – ich muss gestehen, dass ich nicht dazu gehöre.

Jetzt vor den Feiertagen würde ich euch auch nicht empfehlen, einen solchen Löseversuch zu starten. Stattdessen wäre meine Empfehlung, die Lösung mehrfach durchzuspielen: Beim ersten Male recht zügig, um einen Überblick zu gewinnen, beim zweiten Male langsam, dabei darauf achten, wie das schwarze und das weiße Spiel ineinandergreift. Bei den nächsten Malen konzentriert euch auf die Frage, wieso die Türme nach ihren Umwandlungen oder von ihren Anfangsfeldern kommend genau auf dieses Feld ziehen mussten, weshalb die möglichen anderen Diagrammfelder nicht funktionieren. Das könnt ihr unabhängig für Weiß und Schwarz machen.

Und bei den nächsten Malen würde ich, wieder nach den Farben unterteilt, Überlegungen zur Zugreihenfolge anstellen: Wieso kann Weiß, wieso kann Schwarz keine Züge umstellen?

Lösung


Für mich einfach umwerfend großartige Beweispartie-Kunst, und ich werde sicher nie verstehen, wie diese Aufgabe mit nur 10,5 Punkten ins FIDE-Album gekommen ist: 4+4+2,5 gaben die Richter. 2,5 Punkte bedeuten: „Ich habe nichts dagegen, wenn die Richterkollegen sie im Album haben wollen, aber sonst ist es auch nicht so tragisch.“

Im Jahr 2017 erschien in der Schwalbe mit dem dritten Autor Werner Keym eine Überbietung auf 58,5 Züge, die sich dann als nebenlösig erwies.

Wie sind eure Schätzungen und Erwartungen: Wie lange hat der Rekord mit 57,5 Zügen noch Bestand – oder ist es ein Rekord für die Ewigkeit?

7 thoughts on “Retro der Woche 51/2021

  1. Klasinc didn’t give anything over 3 points (at least for the compositions that ended up in the album, I haven’t checked the Annexe). So for him, 2.5 is a high score.

  2. What an incredible achievement! Can it be improved?

    Composed over three decades ago the record has been composed without any computer assistance for correctness checking. Much mental energy has been put into assuring the correctness. Imagine if the same amount of energy could be used into instructing the computer in composing instead of just checking the work. Think if brilliant brains could be combined with computers of unlimited efficiency interacting in finding an even longer unique proof game. Compare with the situation in endgames: the result, with optimal play, of any endgame with 7 pieces or less is known. This is not the result of human endgame composing and the computers verifying the results; the computers have been given the central role in finding the results.Thus, an amateurish view is that with more involvement of artificial intelligence in proof game composing things will change.

    My guess is that a new record will be found before half of the eternity has elapsed.

  3. This master piece has been analyzed by so many people over the years that it is reasonable to assume that it is correct.
    I find it unlikely that this record will ever be surpassed.

  4. Eine Wahnsinnsaufgabe – den Richter hätte man definitiv überstimmen müssen… 10.5 Punkte für die Aufgabe sind ein schlechter Witz.

    Wir haben zwar ein FIDE-Album Aufgabe Inflationsproblem, aber evtl bräuchte es einen Joker pro Richter oä, für den Fall, dass ein anderer Richter den Wert eines Problems wie diesem nicht erkennt.
    Oder es wäre Aufgabe des Turnierleiters, solche Fälle zu erkennen (evtl die einfachste Variante).

    Eine solches Meisterwerk sollte sich klar von der Konkurrenz abheben, und das tut sie zumindest im Album nicht.

    • Zum Glück entscheidet über Wert und Qualität einer Aufgabe weder ein Preisbericht (mein Lieblingszitat in diesem Umfeld ist Grasemanns lakonisches “Mein bestes achtes Lob”) noch das Album. Hier ist der Direktor bei einer Bewertungs-Differenz von mehr als einem Punkt wie hier aufgefordert, die Richter zum erneuten Nachdenken ihrer Punktwertung zu bringen. Das muss aber nicht zwingend zu einer Änderung führen.

      Übrigens ist beispielsweise H36 im Album 2010-2012 (die berühmte “Zwei-Königs-Beweispartie”) nicht nur mit identischer Bewertung wie hier ins Album gekommen, sondern ist im Informalturnier ohne jegliche Auszeichnung geblieben: “interessant nur für Programmierer”. Ändert das etwas an meiner Begeisterung für beide Stücke? Nein, natürlich nicht!

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