Retro der Woche 37/2021

In der letzten Woche gab es die erste ehrende Erwähnung im Retro-Preisbericht für 2018 von feenschach zu sehen; heute möchte ich euch den ersten Preis aus diesem Turnier zeigen.

Ich habe „zeigen“ geschrieben, weil ich nicht unbedingt davon ausgehe, dass ihr euch selbst aufs Lösen stürzt, obgleich das natürlich klasse wäre. Deshalb verstecke ich wie üblich auch wieder die Lösung — und die kommentiere ich dabei auch noch ein wenig: Ähnlich, wie ich es in dem Preisbericht gemacht habe.

Günther Weeth
feenschach 2018, 1. Preis
#1 vor 10 Zügen, VRZ Høeg, Anticirce (5+13)

 

Beim Verteidigungsrückzüger nach Niels Høeg bestimmt, wir erinnern uns, die Gegenseite, ob und wenn ja was entschlagen wurde. Und bei Anticirce wird der Schläger auf seinem Partieanfangsfeld wiedergeboren; ist das besetzt, so ist der Schlag unmöglich. In der Diagrmmstellung kann also nur der weiße König — er steht als einziger auf seinem Partieanfangsfeld — entschlagen. Im ersten Moment meint man vielleicht, das sei eine deutlich Lösungsvereinfachung? aber das ist es nur bedingt, da der weiße König ja quasi überall auf dem Brett geschlagen haben könnte.

(Ich orientiere mich in der Lösungsangabe und -kommentierung stark an meinem Preisbericht in feenschach 244.)

Günther Weeth hat sich in den letzten Jahren intensiv bemüht, dem Anticirce-Verteidigungsrückzüger weitere interessante Seiten abzugewinnen. Neben seinen „magischen Wandersteinen“ und in letzter Zeit der Verbindung mit Circe sei hier die Untersuchung des Typs Høeg besonders erwähnt, der noch einmal zusätzliche Komplexität bringt: Bei jedem Entschlag müssen die Interessen der Gegenseite berücksichtigt werden.

Diese Aufgabe zeigt sehr eindrucksvoll vier Entschläge, von denen einer die für Weiß erforderliche Mattfigur aufs Brett bringt. Besonders subtil aber, dass auch deren „Entschläger“ zunächst in einem vierzügigen Manöver aufs Brett gebracht werden muss. Für das geplante Matt Dd1# muss aber nicht nur die Diagonale h5–d1 (im Rahmen des Entschlags der Dame) verstopft, sondern auch Sb3 weggelenkt werden — mit dem neuen Hindernis der eingeschalteten Da4. Sehr tiefsinnig, wie Schwarz dann gezwungen wird, auf f7 (da war doch schon mal was?!) zu entschlagen, sodass Weiß auch das neue Hindernis ausschalten kann. Und wie es sich für einen hervorragenden AC-VRZ gehört, muss auch der Vorwärts-Mattzug anticircensische Feinheiten berücksichtigen.

Vielleicht haben euch die Angaben zum Lösungsverlauf ja doch ermuntert, selbst nach der Lösung zu schauen? Das fände ich toll!

Lösung

R 1.Kf4xBf5 [Ke1] (Schwarz hat keine andere Wahl, da er das Schach nur mit der Rücknahme eines Bauernzuges aufheben kann.) 1.– f7-f5+ 2.Ke3-f4 Lh2-g1+ 3.Ke2-e3 g4xDf3 [Bf7]+ (Beim Typ Proca würde 3.– g4xf3e.p. [Bf7]+ parieren.) 4.Kf1-e2 Lg1-h2+ 5.Kg2-f1 Tg7-g6+ 6.Kf2-g2 Lh2-g1+ 7.Ke1-f2 Lg1-h2+ 8.Ka7xTa8 [Ke1] (Schwarz ist zum Turm-Entschlag gezwungen, da anders das Doppelschach durch Lg1 und Tg7 nicht aufgehoben werden kann.) 8.– Tf8xSf7 [Ta8]++} (Weiß wählt den Springer als Entschlagobjekt, da nur er das Feld d8 erreichen kann.) 9.Lb7-a6 Sa5-b3+ (Schaltet à la Palitzsch-Dresdner sich selbst als Verteidiger aus, dafür sDa4 als Ersatzverteidiger ein.) 10.Sd8-f7 & vor: 1.Dxh1 [Dd1]\# (nicht 1.Dd1+? Ka2!).

Meine Zusammenfassung zu diesem Stück:
„Ein opus magnum höchster Qualität und wagnerianischer Komplexität, in dem der Lösungsverlauf sauber logisch gestaffelt ist, ohne dass man von „neudeutsch“ sprechen könnte: „Zweckökonomie“ als fundamentaler Gedanke der neudeutschen Schule ist bei diesem Aufgabentyp kaum nachzuweisen. Das ist natürlich keine Qualitätsaussage — für mich auch so das bemerkenswerteste und tiefste Stück dieses Jahrgangs.“

Ich hoffe, es hat euch auch gefallen?!

3 thoughts on “Retro der Woche 37/2021

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