Retro der Woche 22/2018

Nachdem ich in der letzten Woche hier den Silbermedaillengewinner des 6. FIDE World Cup vorgestellt hatte, ist heute die Aufgabe an der Reihe, die Gold gewonnen hat: Ich kann versprechen, dass dies ein echter Leckerbissen ist!

Mit den Erläuterungen kann ich es mir dieses Mal recht einfach machen: Die des Preisrichters Hans Gruber sind sehr gut, sodass ich mich an ihnen orientieren werde – aber natürlich auf Deutsch.

Andrej Frolkin
6. FIDE-Turnier, 1. Preis
Löse auf (14+14)

 

Schwarz hat offensichtlich zweimal geschlagen: exf6 und hxg, bei Weiß sieht man einen Schlagfall: exf3, außerdem ist wLh8 durch Umwandlung des [Bh2] schlagfrei entstanden. Sowohl bei Weiß als auch bei Schwarz fehlt der schwarzfeldrige Läufer und der b-Bauer; die Bauern konnten nicht direkt geschlagen werden, ebenso [Lf8] nicht auf f3 wegen der Felderfarbe. Also müssen beide b-Bauern umgewandelt haben, um aneinander vorbei zu kommen, musste dabei wBbxa erfolgen – und zwar schlug er [Lf8]. Damit sind alle Schlagfälle erklärt, und der letzte Zug war demnach (schlagfrei) 1.Df1-h1+.

Den komplexen Käfig im Osten und Süden des Bretts können wir nur mit der Rücknahme von e7xf6 auflösen, aber das geht erst, nachdem [Lf8] zurückgekehrt ist.

Das lässt sich doch relativ leicht bewerkstelligen? Versuchen wir also R 1.Df1-h1+ b2-b1=S 2.a7-a8=S b3-b2 3.a6-a7 b4-b3 4.a5-a6 b5-b4 5.b4xLa5 Lb6-a5 6.b3-b4 Lc5-b6 7.b2-b3 Lf8-c5 8.Kg5-h5 e7xf6+ – und wir sind fertig?! Nein, das geht nicht, denn auf g5 steht der weiße König auch durch sSh3 im Schach, also ist Kg5-h5? Illegal.

Dieser Hauptplan (ich wähle bewusst diesen neudeutschen Begriff!) müssen wir also vorbereiten, um das gerade entdeckte Hindernis zu beseitigen, und dazu (Vorplan) lösen wir sSh3 durch einen weißen Stein – wie man leicht sieht, kann das nur ebenfalls ein Springer sein – ab. Dabei müssen wir nur auf ein neues Hindernis achten, nämlich das dann drohende weiße Retropatt. Deswegen müssen wir auch noch den wSh6 befreien und durch einen schwarzen Kollegen ersetzen.

R 1.– Sc3-b1! 2.Sb6-a8 Se4-c3 3.Sd5-b6 Sd6-e4 4.Sf4-d5 Sg5-h3 5.Sh3-f4+ (Das Haupt-Hindernis ist beseitigt) 5.– Sf5-d6 6.Sg8-h6 Sh6-f5+ (Und nun ist auch das neue Hindernis (Retropatt) beseitigt. Jetzt nehmen die befreiten Springer die Positionen des anderen Springerpaares ein.) 7.Se7-g8 Se4-g5 8.Sd5-e7 Sc3-e4 9.Sb6-d5 Sb1-c3 10.Sa8-b6 Damit ist die Position nach 1.Df1-h1+ erreicht, aber mit einem weißen Springer auf h3 und einem schwarzen auf h6.

Und jetzt funktioniert der Hauptplan reibungslos: 10.– b2-b1=S 11.a7-a8=S b3-b2 12.a6-a7 b4-b3 13.a5-a6 b5-b4 14.b4xLa5 Lb6-a5 15.b3-b4 Lc5-b6 16.b2-b3 Lf8-c5 17.Kg5-h5! e7xL/Sf6+, und die Stellung löst sich nun leicht auf.

Beide umgewandelten Springer werden also durch die Original-Springer ersetzt (Hans Gruber nennt dies „Pseudo-Antipronkin-Thema“), das ist ein hübscher Effekt, aber sicher nicht allein ausreichend, um die Aufgabe bei diesem bedeutenden Turnier auf den ersten Platz zu setzen. Nein, der Preisrichter schreibt dazu: „Dies scheint das erste Käfig-basierte Retro mit neudeutsch-logischem Spiel zu sein, mit klarem Hauptplan und sauberem Vorplan. Es ist eine geniale Idee, solch ein Manöver in einem Hilfsspiel-Retro darzustellen. Eine herausragende Leistung immenser Originalität in einem klassischen Genre.“ Ich möchte ergänzen, dass die verwobenen beiden Vorpläne zweckökonomisch im Sinne der neudeutschen Schule sind, also nur den Zweck erfüllen, das Hindernis auszuschalten und keine versteckte (zusätzliche) Stellungsverbesserung zu erreichen.

Vom Gedanken erinnert dies natürlich an die „Hilfsmatt-Revolution“, in der ja versucht wird, neudeutsches Gedankengut im Hilfsmatt darzustellen. Ich hoffe, dass von Andrejs Aufgabe der Anstoß ausgeht, dieses Themenfeld im klassischen Auflöse-Retro intensiv zu erforschen!

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